Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.12.1883
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1883-12-17
- Erscheinungsdatum
- 17.12.1883
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18831217
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-188312174
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18831217
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1883
- Monat1883-12
- Tag1883-12-17
- Monat1883-12
- Jahr1883
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
5826 Nichtamtli her Theil. 291, 17. December schreibt er, sind einem viel größeren Rahmen entnommen, und ihre Behandlungsweise ist weniger beschränkt durch Autoritäten als bei uns." Nichol macht solgende Ausstellungen an dieser Erzählungs literatur: Sie sündigt noch immer durch ein Nebcrmaß an Schilderungen, welche die äußere Natur zum Gegenstände haben. Alle Welt will seine Reiseeindrücke beschreiben. Was noch schlimmer ist, sind die vielen, den Namen einer Novelle be anspruchenden Schriften, welche nichts als phantasievoll auf geputzte Geschichte oder Biographie enthalten. Während in der srühern Aera amerikanischer Dichtung das Abenteuerliche überwog, ist es in der gegenwärtigen die Vorliebe für die Analyse; die Verinnerlichung ist bis auf die Spitze getrieben, das Interesse wird häufig ein pathologisches. Es ist das eine Folge der erwähnten transccndentalen Strömung. Beispiele dieser Art sind die Romane von Oliver Wendel! Holmes und Sylvester Judd. Bei Julian Hawthorne, dem Sohne seines berühmten Vaters, bei Dean Howells und Henry James, welche jetzt in der Blüthe ihrer Kraft und auf der Höhe der Beliebtheit stehen, wiegt die psychologische Charakteristik vor, wobei der Hintergrund dem modernen Leben Amerikas und Europas in realistischer Behandlung entnommen zu sein Pflegt. Nichol geht auf die Werke der letzteren drei näher ein, nachdem er ihnen mit epigrammatischer Schärfe ihren Platz angewiesen hat mit den Worten: „Sie sind Nachfolger Nathanicl Hawthorne's, insofern sie der Welt und dem Dasein perplex gegenüberzustehen scheinen und entschlossen sind, auch uns perplex zu machen, der eine mit dunkeln Geheimnissen, die andern mit socialen Problemen." Die letzte Gruppe bilden die „amerikanischen Humoristen". Der reichliche englische Humor ist ans dem Boden der neuen Welt bekanntlich üppig aufgegangen. Die Vorliebe für das Humoristische könnte bei einem so ernsten Volke als etwas Räthselhaftes er scheinen, wenn nicht gerade in diesem Lebensernst ein Theil der Erklärung läge. Der Humor ist den Amerikanern ein Be- dürfniß, weil er die Seele von der bedrückenden Sorge und Hast des Daseins befreit. In ihm liegt eine versöhnende und be freiende Kraft. Es geht nichts über die Excentricität des ameri kanischen Humors; er gebcrdet sich häufig unsinnig wie ein Clown im Circus, erhebt sich aber auch in den edleren Repräsentanten zn einer Lebensphilosophie, wie wir sie bei Jean Paul und Sterne schätzen. Wir halten es daher für ein verfehltes Urtheil Nichol's, wenn er von dem amerikanischen Humor schreibt: „Transatlantischer Humor dringt selten bis zu den tieferen Strömungen des Lebens; er ist eine spärliche Blüthe bei einem von Haus aus ernsten Volke, dessen Einsicht mehr klar als tief ist; er beruht bei ihm zumeist auf Uebertreibung und einer Mischung von Scherz und Ernst, wie in den amerikanischen Neger melodien, wo ein komischer Text zu einer traurigen Musik ertönt." Kein Wunder, daß Nichol gerade bei dem ersten amerikanischen Humoristen, bei Marc Twain oder, wie er eigentlich heißt, S. Clemens am meisten irrt. Es ist schwer begreiflich, wie er dessen echt humoristische, an Shakespeare'sche Gefühlstiefe erinnernde Erzählung Lrines aucl Lsupsr so geringschätzen kann. Während amerikanische Kritiker an Marc Twain gerade das preisen, daß derselbe den specifisch amerikanischen Humor, der vordem plumper und roher sich geberdete, auf eine höhere Stufe hob, indem er ihm psychologische Feinheit, einen Sinn für das Naturschöne und eine Empfindung für das Sittliche und Gerechte gab, stellt ihn Nichol als gewandten Taschenspieler hin, der es bloß auf Effect abgesehen habe, und spricht er von dem Schriftsteller, den ein Mann wie Darwin zu seinen Lieblingen zählte, als demjenigen, „der mehr als ein anderer den literarischen Ton des englisch sprechenden Volkes erniedrigt hat!" Zur Entschuldigung Nichol's läßt sich hier nur sagen, daß die Empfindung für Humor bei kritischen Köpfen überaus verschieden ist; der Humor wendet sich eben nicht an unseren geschulten Verstand und unser anerzogenes Gefühl, sondern an unsere kindlichste, ursprünglichste Seele. Nach sichtiger, wenn auch immer etwas grämlich, urthcilt Nichol über die anderen Humoristen: Lowell, Holmes, Artemus Ward, Billings, Leland, Adeler. Erst am Schluß des Capitels, für welchen er sich Bret Harte Vorbehalten hat, werden wir wieder mit ihm ausgesöhnt. Bret Harte, der Erzähler der Goldsnchcrpcriode des fernen Westens, besitzt eine reiche humoristische Ader, die sein ganzes dichterisches Schaffen durchzieht. „Er ist", schreibtNichol, „am meisten Humorist in einem höheren Sinne, wenn er sich am weitesten vom Spaß machen entfernt — in den Prosaidyllen eines wilden Lebens, das er mehr als ein anderer mit Poesie zu verklären verstanden hat." Da Nichol in summarischer Weise alle bedeutenderen Ver fasser und deren Schriften an passender Stelle erwähnt, so ist sein Buch in bibliographischer Hinsicht ziemlich vollständig. Vermißt haben wir nur einen in neuerer Zeit in Amerika be rühmt gewordenen Autor, den Romanschriftsteller Cable, der es meisterhaft versteht, die kreolisch-französische Vergangenheit seiner Vaterstadt New-Orleans lebendig zn machen. Hätte Nichol noch Cable's Landsmann, den Negerdialektdichter Harris, in Betracht gezogen und sich der südlichen Geburt Marc Twain's erinnert, so würde er wohl seinen Satz: „Im Süden der Vereinigten Staaten ist kaum von eigener Literatur die Rede" weniger schroff hingestellt haben. Nichol schließt sein fleißiges und im Großen und Ganzen hochzuschätzendes Werk mit einem zusammenfassenden Urtheil über den Charakter der amerikanischen Literatur. Wir lernen durch dasselbe noch einmal die beste Eigenschaft der Kritik Nichol's, welche in kurzen Sätzen vortrefflich zu generalisiren versteht, kennen. Sein Endurtheil, das wir etwas verkürzt wiedergeben, lautet: „Zu den anziehendsten Vorzügen der ameri kanischen Literatur gehört ihre Frische, ihre Freiheit von Zwang, der Muth, mit dem die besten Schriftsteller sich der Erörterung von Fragen und Problemen zuwenden, vor welchen sich die ängstliche und schlaffere Gesellschaft der alten Welt scheut. Der selbstauferlegte Zwang hat seine guten Seiten, aber der Mangel an Ursprünglichkeit ist ein schwerer Verlust, und so könnten wir vieles von einer ungebundenen und abenteuerlustigen Literatur lernen. Eine andere Erscheinung der amerikanischen Literatur ist ihre Vielseitigkeit; was'ihr an Tiefe abgeht, erseht sie durch Breite. Sie wendet sich an einen riesig ausgedehnten Leser kreis, an ein Volk, wo Mann, Frau und Kind lesen können und lesen. Die Amerikaner sind das am meisten lesende Volk. Ab gesehen von den Zeitungen herrscht in der populären Literatur kein engherziger Geist; sie erhöht weder, noch verachtet sie eine Classe und übersieht beinahe gänzlich die Schranken, welche in anderen Ländern die oberen Zehntausend von den unteren Mil lionen trennen." Wovor Nichol etwas ängstlich warnen zu müssen glaubt, ist, daß der Geist demokratischer Zuchtlosigkeit und der Harlckinspoffe nicht die Herrschaft in der amerikanischen Literatur jetzt, wo so viele bisher würdig ausgefüllte Sitze leer geworden seien, an sich reiße. Robert Lutz. („Grenzboten").
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder