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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.01.1878
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 02.01.1878
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- Deutsch
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1, 2. Januar. Nichtamtlicher Theil. 3 Nichtamtlicher Theil. Die Moskauer ausländische Censur. Von Waldemar Kawerau. „Die Cultur hat mit dem Kriege die Rücksichtslosigkeit gemein, in beiden gilt's Kampf. Die Consolidirung der Macht bedingt immer auch die Grausamkeit der Annexion, und Compromisse sind hier wie da vom Uebel." Damit beendete mein Begleiter einen längeren Ex- curs über russische Reformen, sein Lieblingsthema, warf im Feuer der Rede seine eben frisch angezündete Papyrus von sich, murmelte sein „namenloses Rußland" zwischen den Zähnen, und wir trennten uns. Dies letztere Wort, das Paklin'sche Fragezeichen, mit dem Turgönjew's „Neuland" schmerzvoll abschließt, war seit langem sein steter Refrain. Wir trennten uns am Ziele meines Weges, einem kleinen düsteren Gebäude in der nach dem Grafen Scheremetjew be nannten Straße, das die Moskauer ausländische Censur in seinen Mauern birgt. Namenloses Rußland! Mir war's, als stände dies Fragezeichen mit großen Lettern über der Thüre, als wäre dies Haus selbst ein großes steinernes Fragezeichen, auf das die Antwort noch wer weiß wie lange wird warten lassen. Die Moskauer Censur nimmt zwei Zimmer ein; man betritt zuerst den Packraum, in dem die Büchersendungen geöffnet und revi- dirt werden. Dies Reich beherrscht ein Unterofficicr in der kaiser lichen Uniform, der das Schwärzen der gefährlichen Stellen be sorgt. Die seltsame Mischung von heiliger Einfalt und dem gehobenen Bewußtsein, gleich einem Cerberus die Hallen der gei stigen Freiheit zu bewachen, macht ihn zu einer charakteristischen Figur, die der Feder eines Turgenjew würdig wäre. Mit großer Routine handhabt er seine Maschine, mit dem ahnungslosesten Ge- müth, da er natürlich kein Wort seiner gedruckten Opfer versteht. In seinen Augen hat die Druckerschwärze erst Werth, wenn sie von dem tieferen Dunkel der Censurschwärze verdeckt ist. Der zweite größere Raum ist das Amtszimmer der Censoren. Die kleinen Fenster sind vergittert; draußen liegt der Schnee ans der Straße und ans den Zinnen der Dächer, und nur spärlich dringt das Tageslicht in diesen lichtscheuen Raum. Ein großer grüner Tisch in der Mitte, an de» Wänden Regale mit den Kata logen der erlaubten, der verbotenen und der mit Ausschnitten er laubten Bücher. Der Geschäftsgang ist ein ziemlich einfacher. Schon auf der Grenze wirft die Censur dem Reisenden einen Stein in den Weg. Was er Gedrucktes in seinem Koffer mit sich führt, nimmt sofort die Zollbehörde in ihre mütterlichen Arme. Die Bücher wer den, zollamtlich versiegelt, an eine der Ccnsurbehörden adressirt, von welcher der Eigcnthümer nach langen Wochen sie wieder in Empfang nehmen kann, wenn — ja wenn nicht inzwischen einige Menschlichkeiten vorgekommen sind, und dieses, oder jenes Buch durchaus nicht mehr auffindbar ist. Diese Fälle sind nicht selten. Ebenso gehen alle Bücherscndungen, welche die Buchhandlun gen aus dem Auslande beziehen, direct auf die Censur, werden an den amtlichen Censnrtagcn, deren im Winter wöchentlich zwei, im Sommer einer festgestellt sind, in Gegenwart des Censors von den Adressaten geöffnet und ans Grund der von der Petersburger- Behörde aufgestellten Listen controlirt. Denn nur diese hat die Initiative, während die beiden andern „Ccnsurbehörden für aus ländische Literatur", die Moskauer und Warschauer, nur execntive Gewalt haben. Eine Ausnahme gilt für die von der Post debitir- ten Zeitungen; für diese ist die Post-Ccnsnr die controlirende Be hörde, die mit anerkennenswerther Pünktlichkeit das Eingehende erledigt. Um so schleppender ist der Geschäftsgang der Peters burger Censur. Wochen-, ja monatelang liegen bisweilen neue Erscheinungen der ausländischen Literatur in den Schränken der Censur, ehe die Petersburger Herren Censoren Zeit gefunden haben, zu lesen und zu entscheiden. Nachdem nun die Durchsicht der neu eingegangenen Sendun gen seitens des Censors beendigt ist, beginnt die Arbeit der Schere und des Pinsels. Zur Beschleunigung des Verfahrens legen die anwesenden Buchhändler mit Hand an bei diesem Schcrgendienst. Der Censor geht, die brennende Cigarette im Munde, im Zimmer aus und ab. Am grünen Tisch ertönt nur das eintönige Geräusch der Schere. Die arme „Gartenlaube"! Sie erzählt heute von dem Deutschenhaß in Rußland; der Verfasser hat lange Zeit in Peters burg die Deutsche Zeitung rcdigirt, er hat oft mit der PeterÄnrger Censur einen fruchtlosen Verzweiflungskampf gerungen — er fällt ihr heute aufs neue zum Opfer. Der Artikel muß ganz heraus geschnitten werden. Freilich fällt das auf demselben Blatte befind liche Bild, das so harmlos und so völlig zweifelsohne uns anblickt, der Schere mit zum Opfer, aber was thut's? Die Abonnenten mögen sich über den Verlust mit der fröhlichen Gewißheit trösten, daß das Auge des Gesetzes väterlich über ihrer geistigen Nah rung wacht. „Haben Sie schon die »Gegenwart« gereinigt?" fragte einer der Herren seinen College». „„Nein, was gibt's darin Staats gefährliches?"" „Einen Brief aus Petersburg, der etwas indiscret von gewissen galanten Abenteuern des Großfürsten den Schleier lüftet. In Petersburg pseifen's freilich die Spatzen von den Dächern; aber es zu drucken — in einer deutschen Zeitschrift zu drucken! vickaaut oonsnlso!" Und so geht's fort, stundenlang, Schere und Pinsel rasten nicht. „Wie geht's heute dem »Kladde radatsch«?" „„Er wird Ihnen heute wenig Arbeit machen"", tönt es zurück, „„nur die Annoncen sind heute seinen Lesern gestattet, das Hauptblatt hat die Censur an ihr Mutterherz geschlossen und will es nicht wieder von sich lassen. Denken Sie auch nur, diese Blasphemie! Da steht zum Beispiel ein Vers: »Einstmals über jedem Lande Scheint die Sonne mild und hell, Einstmals, glaubt es mir, wird selber Rnßland constitntioncll.« So etwas schreibt man bei uns nicht ungestraft!"" Ein besonders scharfes Auge hat die Censurbchörde in erster Linie ans alle historischen Werke. Die Namen Katharina's und Peter's sind in den meisten Fällen Steine des Anstoßes, die dem betreffenden Buche unwiderruflich eine Amputation zuziehen. In jedem Conversations-Lexikon zeigen diese Artikel ein ticfdunkles, un durchdringliches Schwarz. Daß seit dem Ausbruch des orientalischen Krieges aus alle aus dem Auslande eindringenden Stimmen beson ders scharf vigilirt wird, liegt auf der Hand. Am schlimmsten er geht es dabei dem „Kladderadatsch". Aber, wenn selbst der alte Homer bisweilen schlief, wer wollte einer russischen Behörde diese Menschlichkeit vorwcrfen? So kam es vor, daß die Post-Censur Blätter passiven ließ, die nachher die „ausländische Censur" arg be- schnitt, sodaß ein Theil der Abonnenten die betreffenden Nummern intact, der andre sie in „amtlich gereinigtem" Zustande erhielt. Die historische Erkenntniß bleibt durch dies Verfahren in dem Zustande Paradiesischer Einfalt, die religiöse nicht minder, und alles, was letztere zu befördern geeignet wäre, wird unbarmherzig unterdrückt, wie denn z. B. der erste Band der bekannten Wcber'schen Welt geschichte wegen der darin enthaltenen ketzerischen Darstellung der heiligen Geschichte mit dem Jnterdict belegt ist. Daß außerdem einer gewissen Sorte schlüpfrigster Literatur, die von gewissen dunklen Existenzen in Hamburg und Berlin auf den Markt gebracht wird, der Eingang in Rußland hermetisch verschlossen wird, werden 1*
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