i- 177, 1. August 1917. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d. DI,ch>l. Buchhandel. 5067 „tz" im „Literarischen Zentralblatt": Flauberts „November" ist eine Jugendsünde, deren Veröffentlichung der Dichter aus sehr begreifliche» und guten Gründen unterlassen hat; er wird sich geschämt haben. Erst aus seinem Nachlaß ist der Urtext kurz vor Ausbruch des Krieges ans Licht gezerrt worden, unseres Erachtens sehr mit Unrecht. Denn das Buch ist nun ein mal kein Kunstwerk. Es gehört in das Gebiet der schmutzigsten Erotik. Es bringt nichts als ungestüm her ausgesprudelte Gedanken und den rücksichtslose» Bericht über die Taten eines iiebcstollen jungen Mannes, der überhaupt keine andern als geschlechtliche Empfindungen kennt und sich jedes weibliche Wesen nur ausgczogen denkt, und die Lebensgeschichte einer gleichgestimmten Dirne, dis sogar Wollustgcsühle hat, wen» sie die kalbende Kuh brüllen hört. In ungesunder Überreiztheit wird alles dies bis ins kleinste ausgemalt, so daß die Grundzüge der Dekadenz und des Naturalismus nackt und roh hcr- vortreten, und nur etliche Naturstinunungsszenen bilden das poetische Mäntelchen. Naß der Verlag das Buch als ein Meisterwerk von erstaunlicher Kraft anpreist und ihm gleich Ewigkeitswert zuspricht, ist natürlich ein Re klametrick, über den sich der Kundige nicht wundert; aber über das Begreifliche geht es hinaus, daß der Verleger ausgerechnet die gegenwärtige Zeit sür geeignet halten darf, dieses im ganzen nur ekelhast wirkende Erzeugnis tiesstehender französischer Schmutzliteratur dem „deutschen Leser" anzubietsn. Ein eigenes Wort verdienen auch die sechs Lithographien von O. Starke; zwei von ihnen sind verschwommene Naturskizzen in dicken groben Strichen, eine zeichnet den weltschmerzbewegtcn Jüngling mit ver zerrtem Antlitz und krampfhaft übereinandergeschlagenen Beinen im Bette, die drei andern sind Dirnenszenen und unbeschreiblich in ihrer Gemeinheit. Hans Bethgc in der Wiener „Zeit": Dieses Buch gehört in Wahrheit zum Herrlichsten, was Klaubert geschrieben hat. Es ist einzig in seiner Art: ein Klaubert von Ungestüm und Glut. Es ist ein Buch heißen Atems, hinflutcnd wie ein einziger, leidenschaftlicher, schmerzlich lodernder Rhythmus, ein Buch, das übcrquillt von der Melancholie des Daseins, von dunkelschwerei Trauer, von der Wehmut des Verzichten«. Wie ein November-Sturmwind erbraust diese Dichtung, die ein Jugendlicher mit der mächtigen Inbrunst seines zerrisse nen Herzens niederschrieb. Niemals war Klaubert so hin reißend, so leidenschaftlich, so voll poetischer Ekstase, so bilderreich, so taumelnd, von so zitternder Seele. »r.W. Eüdei in der „Weser-Zeitung": In der außerordentlichen Schönheit seiner Sprache wirkt dieser Roma» wie ein Gedicht in Prosa. Eü ist ein typisches Iünglingsbuch, nicht so hold und keusch, aber genau so schwärmerisch und überschwenglich, so welt schmerzlich und todestraurig wie jenes, das siebzig Jahre früher in fast dem gleichen Alter der junge Iranksurter Dichter Wolsgang Goethe geschrieben hatte. Er nannte es „Nie Leiden des jungen Werther". H. Wetzel im „Berliner Börsen-Eourier": ... ein Gefühlsausbruch, ein Gedicht in 200 Seiten Prosa, das von dem großen Glücke trunken ist, sich aus schreien zu dürfen; nichts ist erstrebt und gewollt als die Genugtuung, die eigenen Empfindungen in einer großen und traurigen Sinfonie verströmen zu lasten..., ein spä tes Geschenk, dem die allen Schönheiten sein gerecht werdende Übersetzung von vr. E. W. Fischer seinen Zauber rein und unverfälscht bewahrt hat. Or. Kr. Erbrecht im „Leipziger Tageblatt": Diese Gluten und inneren Verzehrungen und das Leuchten duftender Liebes- und Eommerstunden, alles wird hinabgcstürzt in den Strudel des Vergehens. Und die Weltlichkeit und die Genußsreudigkclt des Dichters kämpfen an gegen die Gewalten, die ihm salomonisch die Eitelkeit des Irdischen zutönen .. . Nie Geschichte der unersüllten Liebesschnsucht einer Bajadere ist eingcwoben, und nur Flaubert kann sie so schildern. Eine Sprache von tönender Pracht, von hinreißender sinnlicher Stärke brei tet sich über die Geschehnisse, und das Wort reicht in seine und feinste Vorgänge hinein ... Expressionen von wun dervoller Leuchtkraft... ein Strom aktiver und persönlicher Empfindungen. E. W. Fischer hat diesem Formglanz das deutsche Wort geliehen, und sechs meisterhafte Litho graphien OttomarStarkes erhöhe» de»Wert derAuSzabe. Börsenblatt s. den Deutschen Buchhandel. S4. Jahrgang 67S