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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.06.1917
- Strukturtyp
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- 1917-06-15
- Erscheinungsdatum
- 15.06.1917
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. ^ 137, 15. Juni 1917. dieser Art gemacht zu haben«. Solche Schöpfungen dürfen wir dann billig ihrer Entstehung nach als Stil-, Spiel- oder Kraft proben ansehen, nicht aber letzten Endes als dichterische Schö pfungen. Nachdem wir uns so über die Wesensart der geistigen Empfängnis bei der Entstehung der Literatur klar geworden sind, darf nicht unerwähnt bleiben, daß cs für die Beurteilung der Wirkung dieser Erzeugnisse des Geistes allerdings weniger wichtig ist, ob man es mit reiner Dichtung oder gewollter Er zeugung zu tun hat, als darum, ob die Form- und Gestaltungs kraft der Verfasser eine derartige war, bah sie ihren Zeitgenossen Genüge tun konnte oder gar — für unsere Zwecke — darüber hinaus in Hinsicht auf Gehalt, sei es nun sittlichen, ideellen oder künstlerisch-materiellen, Lebensfähigkeit besitzt. Als lebensfähig ist ein Buch dann anzusehen, wenn es nicht als reine Zeiterscheinung nur für den Augenblick zu den jeweiligen Zeitgenossen redet. Ein solches Buch kann und muh auch Jahre, Jahrzehnte, selbst Jahrhunderte nach seiner Ge burt noch eine verständliche Sprache reden, es muß uns außer dem Milieu, einem Zeitbild aus verflossenen Tagen, gedankliche Tiefen bieten, die auch heute noch nicht ganz ergründet sind, es muß uns Gedanken bieten, die wir selbst heute noch nicht zu Ende gedacht haben, oder solche, die jeder einzelne in seinem Leben auf seine Weise immer wieder durchdenken und durch leben mutz. Um ein Schlagwort zu gebrauchen: sie müssen trotz ihres Alters aktuell an Gehalt sein, wie es der Aristophanes etwa in der Frauenfrage, Luther in seinen Tischreden, Fichte i» seinem Vaterlandsglauben für das Deutschtum, Goethe im Faust für das Verständnis des Mensch- winproblems, des Gottsuchertums eben sind und bleiben werden. Um dies durch einen Gegensatz klarer zu machen: Bücher und Aussätze, die sich mit dem Flugproblem beschäftigen, vom biederen Ikarus über Montgolfier, über den Schneider von Ulm bis zu Zeppelin, sind und werden keine Lebensbttcher bilden, soviel Teilnahme früher oder später dafür in den Kreisen ge schichtlicher Forscher und Techniker vorhanden sein mag. Es handelt sich nunmehr um das einmal erledigte, weil er rungene Fliegenkönnen, eine Tatsache, mit der sich unsere Nachkommen als mit einer solchen Selbstverständlichkeit absurden werden, wie es heute unsererseits mit Telephon oder Eisenbahn geschieht. Ich glaube an.starken Gegensätzen gezeigt zu haben, was die ersten Erfordernisse sind, um einem Buche lebende Werte zu sprechen zu können; für uns wird es sich bei der Beurteilung um meist wesentlich unscheinbarere, darum aber verstecktere Kennzeichen für die Lebensfähigkeit handeln — es wird sich vor allem darum handeln: welche Bücher sind es für die Allgemeinheit, sodatz sie einer Auferstehung im Sinne von Adolf Bartels würdig sind. Denn das scheint mir doch gleich gesagt sein zu müssen: Lediglich literargeschicht- Uche Gesichtspunkte dürfen dafür nicht maßgebend sein. Ich glaube auch nicht, daß Bartels diesen Berufsstandpunkt bei sei nen Wünschen vertreten haben will, obwohl hier dieses heim liche Sehnen beinahe als Vater des Gedankens, d. h. der Er wähnung in der Liste, öfters unbewußt tätig gewesen zu sein scheint. Dies ist verständlich, denn eine ganz billige und jederzeit greifbare Bücherei alles dessen, was bisher in wohlseilen Aus gaben fehli oder schwer zu beschaffen ist, mutz das Begehren aller derer sein, die sich mit der Literaturgeschichte beschäftigen. Ob die Bartelssche Wunschliste vollständig ist oder — unter etwas anderem Gesichtspunkt — ergänzungsbedürstig, das hier zu erörtern, ist nicht der Platz; genug, sie ist einmal da, und wir müssen versuchen, aus dem subjektiv Guten praktisch das für die Allgemeinheit Beste zu machen. Unser deutscher Verlagsbuchhandel, der ja znm großen Teil gewillt ist, für das Ideale und Vaterländische zu wirken und selbst vor Opfern nicht zurückzuschrecken, wird im ganzen gewiß für die vielfache Anregung, die ihm mit der fraglichen Zusam menstellung gegeben ist, dankbar sein, und sicher ist sie nicht ganz auf unfruchtbaren Boden gefallen. Manche der halbverschollenen Schriften wird ohne weiteres einen Neudruck finden, umsomehr, als wir ohnedies im Zeitalter der Ausgrabungen leben; hoffen wir, daß es nicht nur für diese Bücher selbst, sondern auch für 682 die Unternehmer eine »fröhliche Urständ« sei, die sie erleben! Für manches wird sich aber kaum ein Verleger erwärmen können, da er doch nicht in der Lage ist, die nötigen Summen — es handelt sich, wie schon ein flüchtiger überblick über die Aufstel lung zeigt, um sehr grotze Summen — um eines engbegrenzten Abnehmerkreises willen auf Jahrzehnte sestzulegen. Selbst die großen Firmen, wie Reclam und Bibliographisches Institut, denen Bartels das Unternehmen anzusinnen scheint, können es aus wirtschaftlichen Gründen nur ganz nach und nach in die Wege leiten, wenn sie überhaupt wolle». Vom Ehrgeiz, eine vaterländische Tat getan zu haben, kan» ei» Geschäft nun einmal nicht leben; der Perlagsbuchhandel auch nicht. Und dann — es kommt ja nicht aufs Drucken, sondern das »Lebcndigma ch e n« verhaltener Schätze an! Was nützt die durch die Tatsache des Vorhandenseins unter stützte Pose: Wir sind Kerle, wir Deutschen, wir haben alles, gut und billig! Ganz recht, wir haben jetzt schon in dieser Art Nibe lungenlied, Gudrun, Parzibal, Tristan. Aber — aber, — wer den diese Drucke, in einem Anfall germanistisch-romantischer Begeisterung gekauft, denn auch gelesen? Kann man von einem modernen Berufsmenschen, wenn er nicht Philologe oder dergleichen ist, wirklich auch nur mit einer Spur von Recht ver langen, er solle so viele, viele Stunden seiner knappen Zeit daran wenden, aus den einer anderen Zeit, als Zeit noch nicht Geld war, entstammenden langatmigen Schilderungen von Festen, von Wort- und Schwertfehden, das herauszulesen, was etwa an heute nutzbarem völkischen Kern darin enthalten ist? Auf diesem Wege ein guter Deutscher zu werden, entspräche etwa der Forderung, statt sich taufen zu lassen, um ein Christ zu werden, den Messias von Klopstock durchzukäuen, in dem ja gewiß auch die edelsten Werte verbacken sind. — Nein, da sind wohl andere Bahnen zu beschreiten, will man das Gute mit der Be lebung unserer kostbaren Alten erreichen. Also nicht einen Neu druck zunächst von Heinrich von Veldekes »Eneit« oder Hart manns »Jwein«. Lassen Sie mich wieder ein Beispiel zeigen, was ich meine: Ich habe, aus besonderen Gründen und mit einem guten Magen begabt, das Nibelungenlied z. B. dreimal im Hochdeutschen und einmal großenteils im Urtext gelesen; es war mein freier Wille so und geschah mit einer bestimmten Absicht. Aber es war eine Arbeit und die erhoffte Ausbeute, der Genuß oder gar ethische Gewinn stehen in keinem Ver hältnis zu der aufgewandten Mühe. Trotz unzweifelhaster Schönheiten und trotz des stolzen Kitzels, solche Kerle zu den Vorvätern zählen zu dürfen als germanisch(-fränkischer) Deut scher. Hier handelt es sich auch noch um das ruhmvolle und Inter esse bietende und heischende Nibelungenlied! Wenn mich nun jemand fragt, dem ich wohlwill: Wie unterrichte ich mich, wie ergötze ich mich an dem Nibelungenlied? — Was glauben Sie, daß ich tue? Ich geb' ihm den Vilmar an die Hand, wo auf etwa 30 Seiten die Mär gar schön erzählt ist, und bezeichne ihm in einer Ausgabe der Dichtung selbst ein paar Dutzend charak teristische Strophen. Meist genügt das, den Nibelungenfreund zu unterrichten, nur selten liest einer mehr, als die vorgeschla genen Textzeilen. Auf jeden Fall aber weiß der Mann bei dieser Behandlung der Frage, was im Nibelungenlied steht; auch das völkisch und sittlich Wertvolle wird ihm viel klarer und damit wirksamer, als wenn er wirklich aus Pflichtbewutzt- sein so viel Zeit aufgebracht hätte, um sich im Laufe von Wochen durch das Epos hindurchzuquälen. Ziehe ich aus dem Gesagten die Folgerung, so wäre es, statt ungangbare oder zum Ungelesensein verdammte Textaus gaben aufzulegen, besser, die alten rede- und versseligen Herren in billige Büchlein zu stecken, die über sie berichten, die Nutz aus der Schale lösen und durch eingestreute Textstellen von mäßiger Länge den Zeit- und Lokalion geben. Philologen-Werk dürfte allerdings nicht geboten werden; das darf nur die Vor arbeit sein, die einem gewandten und dabei doch gewissen haften Erzähler das Material liefert. Solche Leute lassen sich wohl unter der Masse unserer Literaten leicht finden, und die
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