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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.05.1916
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1916-05-27
- Erscheinungsdatum
- 27.05.1916
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- Deutsch
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^ 122. 27. Mai 1916. Redaktioneller Teil. waren cs, denen die Leuchte der klassischen Literatur überkommen war. Und von hier, aus unseren Händen, ist sie erst vor kurzem an die Leip ziger Buchhändler übergegangen. Es ist nicht bloß der Katalog, der Reiseführer, die ans dieser Druckerwerkstatt hervorgehen. Hören wir auf die Klagen des Präsidenten der Soeiete des ssens d? lettre: »Wir verfügen in Frankreich über keine andere Übersetzung des Aristoteles als die von Barthölömy Saint-Hilaire, die ebenso mittelmäßig wie kostspielig ist. Die Werke von Laplace gibt es nur in der Ausgabe un serer Akademie der Wissenschaften, den Börsen unserer Studierenden unerreichbar. Und 50 Francs müssen sie ausgeben, wenn sie sich die ?rineip68 de gdometrie von d'Alembert oder den 1>Lit6 des sen- sations von Condillac anschaffen wollen. Nun, an wen wenden sie sich? An die, bei denen im laufenden Handel Laplace, d'Alembert, Condillac in einer Bändesammlung zu 50 Sous verkauft werden . . . Und wenn das alles wäre! .... Aber sollte man es für möglich halten, daß in unseren französischen Lyzeen unsere französischen Schüler unsere französischen Klassiker in Texten lesen, die in Deutschland gedruckt sind? . . . Und ist es zulässig, daß das amtliche Programm für die Lizcnziatenprüfung zum Doktorat für Sprache« und Geschichte für das Studium gewisser griechischer und lateinischer Schriftsteller nur solche Ausgaben kennt und empfiehlt, die ans Leipzig kommen?« Dem AnSlande tributpflichtig für unsere eigenen Schriftsteller, — welches restlosere Eingeständnis der Absetzung für eine Firma, die einst mals den ersten Rang eingenommen hat! Von Mustknoten-Aus- gaben, geographischen nnd noch anderen Werken, wo unsere Rückständig keit nicht weniger demütigend ist, gar nicht zu rede«! Im übrigen sind die Zahlen nur allzu bedeutsam. Frankreich reiht sich nicht einmal mehr an zweiter Stelle ein: dieser Platz wird von England einge nommen. Und in welchem Abstand marschieren wir hinter Deutsch land! Wenn die Statistiken genau sind, beziffert sich dessen jährliche Gcsamterzeugung an Büchern auf 36 Tausend, während die unsrige knapp 9 Tausend, die englische 12 Tausend erreicht. Und wir können »ns nicht mit dem Gedanken trösten, daß wir mit der Qualität un serer Ausgaben den Sieg davontragen, denn die gelehrten Ausgaben Leipzigs sind ersten Grades, nnd erst kürzlich mußte der Katalog einer unserer bemerkenswertesten Versteigerungen von Kunstwerken, nach dem er zuerst einem holländischen Drucker in Auftrag gegeben war, schließlich von einem Düsseldorfer Drucker hergestellt werden. Woher kommt dieser Niedergang, doppelt empfindlich für ein Volk, das der unumschränkte Gebieter des guten Geschmacks war und zu bleiben verlangt? Ganz sicher von gewissen Bedingungen im Frank furter Fricdensvertrag, aber auch — wir zweifeln nicht daran — vom Schlendrian unserer Buchhändler, die schläfrig immer auf demselben Wege weitertrotten und die leichte Nolle eines Vermittlers oder Lager- verwalters den Anstrengungen eines schöpferischen Kaufmanns vor ziehen. Jeder Neuerung abgeneigt, beharren sie hartnäckig immer bei denselben Bändeformen zu 3 Fr. 50, zu 7 Fr. 50, fast ohne jemals auch nur den Versuch zu machen, ein handliches Buch, gut ausgestattet und inhaltreich, herauszubringen, zu erschwinglichem Preise für Leser, deren Menge mit den Fortschritten im Unterricht gewachsen ist. Wir sprachen vorher von Klassikern. Hat man, abgesehen von Prachtaus gaben oder von Schulausgaben, wohl jemals daran gedacht, sie in verlockender Druckausstattung in den Bereich aller Leser zu bringen? Und was die alten Schriftsteller betrifft, welchen Wettbewerb hat man den Tauchnitz, den Teubner entgegenzustellen versucht, deren Außeres so wenig anziehend, deren Texte aber so zuverlässig sind und von wissenschaftlicher Bearbeitung zeugen? Wo findet man einen Voltaire, einen Diderot in bequemem Taschenformat? In Über setzungen nichts Neues seit drei Vierteljahrhunderten! In der Karto graphie haben wir uns erst vor einigen Jahren dazu bequemt, in die Fnßstapfcn deutscher Anfertigungen zu treten und die Höhen- und Tiefendarstellnng in Relief zu geben. Unser Buchdruck- und Bnch- handclsgewerbe leidet, wie so viele andre, an Schlafsucht. Und unser Oerele hat das Beispiel dazu gegeben mit seinen 450 Mitgliedern, während der deutsche Verein deren achttausend zählt.*) Wahrlich, man muß es machen wie die Marktschreier pornographi scher oder überspannt romanhafter Literatur, die auf lange hinaus ein Höchstmaß gewinnbringenden Verkaufes behaupten wird. In dieser Gattung von Bücherware hat sich Fabrikant Boche immer ausgezeichnet. Dabei hat er übrigens seinem besonderen Erfolge die hinterlistige Bosheit hinzugefügt, die durch ihn verschuldete Sittenlosigkeit auf unsre Rechnung zu setzen. Jedermann weiß heute, was davon zu halten ist, und wir würden unsern Ausdruck des Bedauerns mäßigen, wenn unsre Buchhändler nur diese besondere Kundschaft sich hätten ent schlüpfen lassen, die zwar Gewinn bringt, an der unser guter Ruf aber wenig Freude hat. *) In Wirklichkeit ist es knapp die Hälfte. Red. Anderseits, was haben wir für die Berühmtheit unserer Dichter und Denker getan, um sie dem Auslande gegenüber zu behaupten? Wie haben wir die Sache unsrer Schriftsteller, unsrer Sprache geführt? Einige öffentliche Vorträge sind veranlaßt worden, vor allem im Reiche des Dollars, mit denen mehr oder weniger begnadete Schriftsteller überall als reisende Vertreter ihrer eigenen Berühmtheit sich bekannt gemacht haben. Danach richtete man Bücherniederlagen ein, Lesezirkel. Das war schon besser. Gleichwohl werden alle diese Mittelchen mit ihrer Armseligkeit versagen, solange man sich nicht daran macht, die wahre Ursache des Übels zu bekämpfen, das heißt, dem kritischen Tief stände des öffentlichen Geschmacks ein Ende zu machen, von dem Frank reich mißhandelt wird, seit man die Geisteswerke denselben Formen handelsmäßiger Verbreitung unterworfen hat wie Spezerei- oder Apo thekerwaren. Ehemals gab es bei uns unter den Gebildeten eine literarische Meinung, deren Lebenskraft ihre schulmeisterischen Streitereien be zeugten. Kein wvhlgebildeter Mann vor sechzig Jahren, der nicht wußte, daß Hugo, Lamartine, Balzac, Michclet seiner Bewunderung würdig seien, daß deren Abstufungen zweifellos schwankten, daß aber keiner daran dachte, sie ihnen ernstlich vorzuenthalten. Zwanzig Jahre später galten Flaubert, Leconte de Lisle, Renan nach einstimmiger Überzeugung als »groß«: unter Leuten von Geschmack märe man vor dem Wagnis errötet, ihnen den gerade beliebtesten Feuilletonschreiber oder den abgeschmackten amtlichen Tagesdichter vorzuziehen. Das Aus land war auf dem laufenden dieser Auszeichnungen und bildete sich etwas darauf ein, auch seinerseits die Werke derjenigen nicht unbe achtet zu lassen, die unser Land als Meister betrachtete. Heute gibt es solche Autoren, die in keiner Bibliothek fehlen dürfen, nicht mehr. Übrigens ist auch die Gattung des gebildeten Lesers im Verschwinden. Man liest allenfalls noch, um sich zu zerstreuen, unterwegs in der Eisenbahn. Wer bleibt also übrig und an welchen Schiedsrichter des guten Geschmacks soll man einen Ausländer weisen, der sich in unsre künstlerische Erzeugung einweihen lassen will? Wenn das, was man früher das große Publikum nannte, ver schwunden ist, über welches Strahlcngebiet verlangt man dann, daß die französische Gedankenwelt noch verfüge? Gleichwohl muß ein Erfolg insofern durchgesetzt werden, daß bei unseren Verlegern die volle Anwendung aller ihnen obliegenden Sorgfalt erkennbar wird. Kaufmann vor allem andern, und zwar im beschränktesten Sinne, haben sie sich gewöhnt, ihr Geschäft nach dem Gesetz der geringsten An strengung zu betreiben, das heißt in Nachahmung der Handelsbetriebe gewöhnlicher Art. Daß ihr Unternehmen sich von anderen durch die Sondercnt seiner Erzeugnisse unterscheide, haben sie nicht begreifen wollen. Infolgedessen haben sie dieselben Mittel grober Reklame an- gewcndet wie das Warenhaus, das der Kundschaft der Leichtgläubigen nachjagt. Statt danach zu streben, die Stimmen der Kenner zu ge winnen, um ihnen in Käuferkreisen Verbreitung zu geben, und die »üonnstes A6ns« für sich zu gewinnen, haben sie sich unmittelbar an die große Menge gewendet, die nicht einmal weiß, was »lesen« be deutet. Um sie auzulocken, haben sie ihre Zuflucht zu allen Kunst griffen maßloser Reklame genommen, zu großartig übertreibenden Lobeserhebungen, die besser Unterrichtete lächeln machten, die anderen außer Fassung brachten, ohne sie zu bestimmen, die so gefeierte Ware sich anzuschaffen, zumal der Besitz eines Buches keinem nnabweislich dringenden Bedürfnis entspricht und man sich zu solcher Ausgabe ge wöhnlich nur nach reiflicher Überlegung entschließt, nachdem man sich Rats erholt hat, oder auf die Empfehlung eines bewährten Autor namens hin. Nun aber die Nolle des guten Beraters! Das ist der literarische Kritiker, der sie bis vor etwa einem Vierteljahrhundert ausgefüllt hat. Wenn er sich infolge der Sicherheit seines Urteils, besonders auch seiner Unabhängigkeit ein wohlbegründetes Ansehen erworben hatte, blieb er der unentbehrliche Vermittler zwischen dem Schriftsteller und der Öffentlichkeit. Eine Seite von ihm kam fast einem behördlichen Er lasse gleich. Dann konnte ein beachtenswertes Werk auf Erfolg in unserem Lande hoffen und über die Grenzen hinaus. In unseren Tagen ist die Kritik eine erloschene Größe. Und bei der Unmöglich keit, alles zu lesen, was gedruckt wird — denn auch viele totgeborene Bücher werden gegen erbärmlichen Druckerlohn gedruckt —, und da es nicht weiß, was cs bevorzugen soll, ergibt sich das Publikum darein, nichts zu lesen. Aber wer denn, bitte, hat die Kritik getötet, wer ist schuldig, auf diese Weise den allgemein vorhandenen Geschmack an Büchern in Ab neigung, Haß zu wandeln? Bestimmt nur die Autoren selbst und die Verleger. Sie ertrugen es nicht, daß man von ihren Werken auch nur mit der geringsten Zurückhaltung im Lobe sprach, und nahmen ein unparteiisches Urteil als persönliche Beleidigung. Seitdem haben die »Oomrnuniques« die kritischen Würdigungen ersetzt: Gefälligkeits artikel haben die alte literarische Chronik verdrängt. Das Publikum hält sich damit nicht auf, nnd ganz wie die Kniebeilgungen der soge- 675
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