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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.05.1932
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- 1932-05-06
- Erscheinungsdatum
- 06.05.1932
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- Deutsch
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W 104, k. Mai 1932. Fertige Bücher. B0rl-Ma,t s. d.Dtschn.Buchhaiid-l. 2213 in der Welt genau so viel wie das Leisten. Di« große Ver sprechung hat leider (grade in der Politik) mehr gauber krast als die reelle Tat. Der brillante Moment siegt je weils über die nüchterne Dauer — genau wie die Dauer über den Moment. Der Herzog von Liegnitz lebte von Moment zu Moment, von Lüge, von Pump zu Pump. Aber er lebte — lebte im Vollen. Mit zwölf Trompetern eroberte er von der Staatskutsche aus Land und Leute. Jeder andere, jeder Denkende, jeder Reelle, jeder Dünnere und nicht mit solcher Leiblichkeit Gesegnete — er hätte nichts, rein gar nichts mit solchen Mitteln erreicht. So ein Dünner aber war nach Neumanns Bericht des Herzogs Kanzler, Rat und Marfchall Hans von Schwei- nichen. Mit göttlichem Humor stellt ihn der Dichter als Geist des Zweifels und als ewigen Kontrapunkt dem Dicken an die Seite. Dieser grämlich-graue Mann, Kanzler ohne Kanzlei, Marschall ohne Heer, Hofmann ohne Hof (außer der Mätresse) — er lebt vom Aerger über des Herzogs Narrheit und Gewaltsamkeit; aber am meisten über seinen sieghaften Optimisnius und den alle Vernunft gcadezu empörenden Erfolg. Was Schweinichen mit seiner Staatsklugheit und fein geschliffenen Ver nunft erreicht, das fällt dem Herzog aus der Gnade eines Schlaraffen-Himmels auf den Bauch. Der magere Schweinichen haßt diesen Bauch und neidet ihn wider Willen. Er verachtet diesen Bettelherzog und bewundert zugleich in Liebe den genialen Instinkt des Hochstaplers, der sich von keinem Gewissen, keiner Würdelosigkeit klein- kriegen läßt. Der Kanzler ist die philosophische Verzweiflung am brutalen Sieg der tierischen Materie. Er, der Geist, bleibt kümmerlich vor dem Bauch der Welt; vergrämt und nach denklich — und er muß weise sein und in weiser Er kenntnis die Sinnlosigkeit der Welt bewundern und akzeptieren. Also auch er ein Narr — ein närrischer Kopf — wie jener ein närrischer Bauch. Und der Bauch wird siegen. Mag Heinrich seine vier letzten Lebensjahre auch auf der Burg in Breslau in Arrest sitzen, verdammt durch Reichsexekution — er hat halt doch sein Leben voll gelebt, und das Finale allein entscheidet nicht. Napoleon ist nicht durch St. Helena bestimmt, sondern durch die Krönung in Notre Dame . .. Die Weisheit Neumanns ist die des Kanzlers. Diese Weisheit ist tiefste Skepsis. Aber der Kanzler Hans von Schweinichen hatte keinen Humor, sondern nur Galle. Ncumann hat keine Galle, sondern in diesem Falle nur Humor. Gutwillig billigt er dem Herzog eine geniale Lebenslist zu — und weiß genau, daß diese List der Feind des Geistes ist. Aber Humor der Weisen ist in solcher Toleranz erst wahrhaft weise. Professoren können hier nicht lachen. Neumann ist Dichter: darum lacht er. Er braucht nicht im bloßen Denken zu reagieren wie der Kanzler Schweinichen und die Professoren. Sondern er reagiert in Bildern ab. Wunderbare Bilder, die an das Schönste erinnern, was von Uilenspicgel und Lamme Goedzak erzählt wird, oder was im „Don Quixote" ge» schrieben steht, der diesmal sich den Dickbauch Sancho Pansas ausgcliehen hat. Mit einer wahrhaft unzeitgemäßen und dicklichen Be haglichkeit und Breite schildert Neumann den Narrenzug des dicksten Herzogs der Welt. Der Kanzler, der Page Silvano, der Medikus Dr. Schramm und der Hofnarr — alle Narren des Lebens. Der Hofnarr der nüchternste und praktischste. Er spielt mit falschen Würfeln und ergänzt die Kasse des reisenden Hofes. Ein ganzes Jahrhundert wird gemalt: Aebte, Geld- und Kriegsfllrsien, Soldateska, der rebellische Bauer, das dumme Volk, das sich das alles gefallen läßt und auf Trompeten und Etaatskleid herein fällt. Erotik spielt bei diesem Hofstaat nur eine humo ristische Rolle. Die Leibesfülle des Herzogs verbietet die normale Annäherung an die Mätresse und an die häß liche Herzogin. Man hat in der Bedrängnis, Geld und Trunk zu verschaffen, nur wenig Blick für weiblichen Reiz. Es ist ein Männerbuch. Männer machen die Geschichte; komische Männer machen sie hier — Narren. Sympathie und Antipathie verteilt der Dichter objektiv. Auch Heinrich hat ein paar gutmütige Züge und ist im Großtun groß. Auch er denkt weich an den armen Pagen Silvano, der an der Pest starb damals in Köln, wie er an der Wand stand, die Hände vorm Gesicht, und das Blut aus der Nase durch die Finger rann und die Krankheit verriet. Dieser schwarze Tod in Köln ist Neu manns Meisterkapitel, das ihm in dieser Stimmungsart heute keiner nachschreibt. Mitten im Epos dirigiert Neu mann die Szene oft dramatisch. Zwei Schicksalsbriefe treffen zu gleicher Zeit in die entscheidende Situation. Bei aller Breite der Erzählung wird alles Organisation. Die Wiedereroberung des vom herzoglichen Bruder usurpierten Landes Liegnitz ist ein Glanzstück der epischen Steigerung des Nacheinanders. Vieles ist auch nur episodenhaft und aus Freude am grobianischen Ulk leicht hingeworfen. Aber das Buch ist mit Neumanns „Teufel" das dichterisch fülligste geworden. Neben Feuchtwangers „Iud Süß", doch in der Sprache weit überlegen, ist dieser „Rarrenspiegel" der beste historische deutsche Roman der letzten Jahre. Denn sein sinnvoller Unsinn erzeugt über dem Ge schehen des Geschichtlichen die Weisheit eines lachenden Demokrit. Es ist furchtbar, zu erkennen, daß die Bäuche ebenso recht behalten wie die Gehirne. Es ist großartig, daß ein Geistiger wie Neumann über dieser fetten Er kenntnis heiteren Geistes bleibt. Das ist Humor im Gegensatz zur lustigen Witzigkeit. Das ist das Deutsche an diesem urdeutfchen Buche — auch wenn zum Motto vom Spanier Don Quixote die Grabschrift hingesetzt wurde, die also lautet: Ob er ein Narr, ein Weiser war. Das ist nicht klar, doch offenbar Ging er zum Himmel ein. Und ein zweites Motto stammt von Falstaff-Shake speare: „Ich danke dir'», meine wackere Figur." Mit seinem dicken Heinrich gab uns Alfred Neumann das Lebenswunder eines deutschen Falstaff — den Mythus vom Schwergewicht der Persönlichkeit. Börsenblatt f. b. Deu-tschen Buchhaniücl. 99. Jahrgang. 300
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