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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.10.1915
- Strukturtyp
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- 1915-10-19
- Erscheinungsdatum
- 19.10.1915
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. ^ 243, 19. Oktober 1915. hacke, den Brotbeutel und — soweit die Zahl reichte — ein Gewehr. Dieses Gewehr hatte die Eigentümlichkeit, uns Jnstruktions- stunden zu verschaffen — wir nannten es deshalb »die Jnstruk- tionsberta«. Im Ernstfälle hätte sie gewiß tüchtig gebollert, denn sie war uralt, aber Helle Berliner Jungens exerzierten schon lieber mit der Schwungkraft des Kolbens, »det schafft besser!« Einige noch gerade die Grenze der Bewohnbarkeit haltende Holzhlltten boten meiner Halbkompagnie in Schadow das, worauf es zunächst ankam: Wände, Fußboden und Dach. Irgendein Möbelstück konnten wir nicht vermissen, denn die Gewohnheit hatte uns diese Entbehrung gelehrt. Dagegen fanden wir, we nigstens in meinem »Korporalschaftshause«, noch einige ganz gebliebene Fensterscheiben vor. Das setzte uns zunächst in Er staunen — und dann in die Lage, uns mit Hilfe einer Bretter- Verschalung lustdicht und lichtoffen abzuschlietzen. Tapeten in einem Raum ließen uns die Abart einer Ber liner »guten Stube« ahnen. Es war dann aber durchaus keine nähere Untersuchung nötig, denn die zentimeterhohe Kruste des Fußbodenbelags zeigte uns schon, daß wir in die (leider) leere Behausung eines Hühnervolkes gelangt waren, dem der russische Besitzer offenbar also »Familienanschluß« geboten hatte. Kurzerhand griffen wir zu Hacke und Spaten, hämmerten und schippten, nahmen fegende Reisigbündel und standen nach einer guten Stunde auf der rechtmäßigen Dielung, der wir allerdings gern noch ein Scheuerbad verschrieben hätten, wenn uns das Wasser der wenigen Ziehbrunnen nicht zu kostbar gewesen wäre. So packten wir uns in die Staubschicht des Hühnerkots, der uns wenigstens in diesen Nächten die Läuse fernhielt. Unser letztes längeres Quartier war in Rossienie gewesen. Da hatten wir eine Stadt voller Leben und jiddischer Betrieb samkeit vorgefunden. Nun lagen wir in Schadow, dem größeren Klex der Landkarte, und bekamen kaum einen Einwohner, ge schweige denn einen Juden zu sehen. Wir hatten die Juden »liebgewonnen«, (sozusagen!), denn wo sie waren, gab es noch immer etwas zu kaufen; war es auch meist für vieles Geld wenig. Aber wir verstanden, daß sie in ihrer Weltabgeschiedenheit nicht billiger handeln konnten, und mutzten uns oft darüber wundem, wie es ihnen überhaupt möglich war, eine bestimmte Auswahl deutscher Waren immer wieder heranzuschasfen. Es war vorgekommen, daß uns ein jüdisches Handels männlein viele Kilometer wett begleitete und die lange Marschkolonne mit einer so zähen, rasseechten Betriebsamkeit auf- und abfuhr, daß wir ihm im Mitleid um den dürren Hunger klepper, und aus einer gewissen Lust am Kaufen selbst, ein »gut- tes Geschärft« verschafften. Die Handelsobjekte eines solchen jiddischen Marketenders bestehen allerdings nur aus Zigaretten, die wie Strohfeuer brennen, und aus Schokolade, die wie schwar zer, furchtbar süßer Knusperteig schmeckt; beides trägt aber den Namen Hindenburg als »Qualität«. In Rossienie waren die Juden sogar auf den klug berechneten Kniff verfallen, ihre Fenster voll verführe risch blinkender Schultheißflaschen mit dem echten, fein säuberlich erhaltenen Fabrik-Etikett zu stellen. Als wir über durstig ankamen, stellte sich die Lösung dieser Rechnung so glän zend, daß die schmutzigen kleinen Lädchen von uns umlagert wurden. Wir standen in einer gewissen Ekstase, dem deutschen GambrinuS hier für »nur 20 H die Flasche« huldigen zu können, verkannten auch nicht die Güte der Heeresleitung, einmal über das Alkoholverbot mild hinwegzufehen — und ergaben uns nachher mit Fatalismus der magenkrümmenden Wirkung eines süß- seimigen Saftwassers, mit dem man uns das schöne deutsche Bier vorgetäuscht hatte. Alles das bot uns Schadow nicht mehr. Die Bevölke rung war mit dem russischen Heere »geflohen«: die Suggestion des Deutschenschrecks und die Peitsche des Zaren hatten sie dazu gezwungen. Wir waren schließlich froh, noch ein altes, ver hutzeltes Weiblein aufzustöbern, das uns, so unter der Hand, Weißbrot buk. Damals lernten wir Weißbrot wie Torte essen. Die Pranken des Krieges hatten in diese Stadt geschlagen; 1402 die wechselnde Einquartierung beider Heereslager hatte sie aus gesogen. Sie stand nur noch wie ein Gerippe, in das die August rosen rotes Blut webten. Ihr Herz, der Markt, lag zusammen gebrochen in steinernem Schutt, die gliedernden Straßen pulsten nicht mehr. In hölzernen Hütten wohnte das Elend; es roch nach dem Moder knechtischer Generationen. Deutsche Soldaten zogen singend im eisernen Marschtritt durch die tote Stadt. Unablässig; frontwärts. Sie kämpfen um das Heiligste, das Vaterland; sie ringen im Osten, wo die Sonne aufgeht. Aus diesem Blutdampf wird auch deine Sonne hervor- brechen, Litauen; deine Freiheit! Hörst du, was sie singen?: »Der Gott, der Eisen wachsen lieh, Der wollte keine Knechte —I« Wenn wir in diesen Tagen zu unfern Arbeitsstätten gingen, dann sahen wir in der Ferne das Gutshaus eines deutschbalti schen Brüderpaares aus den wiegenden Feldern lugen; es grüßte uns wie ein märkischer Herrensitz. Die Besitzer hatten die rus sische Staatsangehörigkeit erworben und hielten sich — sei es nun Zufall, Absicht oder Zwang — hinter ihrer Front auf. Selbstverständlich wurde der Gutshof mit deutscher Einquartie rung belegt. Die russische Regierung brachte das in Erfahrung. Kurzerhand bezichtigte sie die beiden Brüder landesverräterischer Handlungen. Sie wurden festgenommen und auf Grund scham loser Angeberei zu sibirischer Zwangsarbeit verurteilt. In einem Viehwagen mußten sie den langen Transportweg zusam men mit Schwerverbrechern zurücklegen; nicht allein: vier kur ländische Pastoren und eine junge Baronesse teilten ihren Lei densweg. Die militärische Begleitmannschaft erlaubte den Ver brechern, ihre Wut und Unflätigkeit an den sieben wehrlosen Deutschen in unbeschreiblicher Weise auszulassen; im Gegensatz zu den Sträflingen wurden die gänzlich unschuldigen »Landes verräter« sogar mit Ketten gefesselt. So vergewaltigt man im Lande des Zaren die eigenen Staatsangehörigen nichtrus sischer Nationalität! Abkommandiert! Ich weiß nicht, ob auch der Sonnengott in Rußland die Ge mächlichkeit gelernt hat; jedenfalls verrannen diese Tage mit einer lastenden Schwerfälligkeit. Wir hatten Arbeit, gewiß; wir lernten die Ruhe nicht kennen. Aber wir empfanden unser Schaffen hier als Gelegen heit, als Füllsel. Wir warteten auf den Ruf von der Front. Dahin trieb es uns. Als aber Helios sich anschickte, mit seinen matten Rossen die fünfte Mittagshöhe hinauszutraben, und Eos die rosigen, morgenkalten Finger mißmutig unter dicke Wolkenkissen steckte, da schlug das Gong des Schicksals, das mich und mein Bataillon zur Trennung rief .... Das Gong. Ich wähle das Wort, wie es mir damals im Sinne lag. Der langnachhallende Ruf dieses indischen Zeit schlages in seiner Unbestimmbarkeit, die das Geheimnis grenzt, in seinem Sagen, Sinnen und Rufen, das lockend aus hartem Schlag schwillt .... so war mir der Seelenmut, als sich mein Weg wendete. Da hatte ich nun mein Wunschziel in der Hand, zum Befehl erstarrt, daß ich als Freiwilliger dem Pionier-Bataillon von Rauch eingereiht werden sollte. Wir lagen rund 170 Kilometer von der Grenze, die Order lautete: ich werde »in Marsch gesetzt« nach Deutschland, nach Berlin und noch ein Wegsstück dahinter. Keine Eisenbahn führte aus Litauen; um Kowno, das Tor des Maschinenweges, rangen noch die Bajonette. Aber der Kompagnie-Postwagen fuhr; das mutzte mir zunächst genügen. Er fuhr nach Radsowilischki, zum Bataillonsstabe, der auch meiner Entlassung das Siegel geben mußte. Weiter —? Wen ich fragte, der zuckte mit den Achseln. Der Soldat mutz sich durchschlagen, er hat den Befehl — wie er ihn ausführt, ist seine Sache. Schon standen die Postpserde geschirrt. Meine karge Habe war schnell gepackt .... und 15 Minuten nach dem Gong schlag rollte der Wagen mit mir aus Schadow — aus der Kompagnie.
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