5786 Börsenblatt f. d Dtschn. Buchhandel. Fertige Bücher. 23V, 4. Oktober 1915. L r I.G. Cotta sche Buchhandlung Nachfolger Stuttgart und Berlin Zu Emanuel (Seidels 100. Geburtsraci am 17. Oktober 80Q^oo°8n diesen wildbewegten Zeiten die Aufmerksamkeit des um sein Dasein ringenden deutschen Volkes auf den lL>0. Geburtstag eines seiner geistig Großen lenken zu wollen, könnte wohl vermessen und vergeblich scheinen, wenn es sich nicht um den Dichter handelte, der das Mort geschaffen hat: „Und cs »tag am deutsche» Wesen Einmal nc>ch die Welt genesen!" Als wäre es heute geprägt, so trifft dieses aus tiefster Zuversicht gerufene Wort die Stimmung unserer Tage, und cs steht nicht vereinzelt da in den Werken Emanuel Geibcls, sondern es drückt den Bern des ganzen Mannes aus. Begeistert und begeisternd hat er das werdende Deutsche Reich verkündet, das gewordene mit jubelndem Dank und ernstem Mahnwort begrüßt. Doch über dem, was diesen Dichter unserer Zeit besonders nahe bringt, darf nicht vergessen werden, was ihn langst zu einem Lieblingsdichter des deutschen Volkes gemacht hat und was ihm in unserer Literatur dauernd seinen Platz unter den Ersten sichert. Mit tiefem und mannigfaltigem Gehalt ist besonders in seiner Lyrik die höchste Sprach- und Formvollendung vereinigt, und mit der feinsten Bunst die frischeste Matürlichkeit. Berndeutsch und feind aller modischen Ausländern, hat er uns doch die besten Dichtungen fremder, insbesondere der antiken Völker in klassischen Machbildungen vermittelt und daneben wie kein anderer neuerer Dichter den echten Don des Volksliedes getroffen. „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus" — das wird die deutsche Jugend auch nach weiteren hundert und aberhundert Jahren dem Lenz cntgegcnjubeln und dem Dichter danken, der ihr dieses herrliche Lied wie so viele andere geschenkt hat.