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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.08.1915
- Strukturtyp
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- 1915-08-17
- Erscheinungsdatum
- 17.08.1915
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. ^ 189, 17. August 1915. Die Zukunft des Buchhandels in den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands. Vor einigen Tagen brachten Berliner Zeitungen die Nach richt, Riga sei von der Zivilbevölkerung geräumt worden. Ich glaube nicht daran. Eine Stadt mit über 500 909 Einwohnern läßt sich nicht »räumen«. Das würde nicht einmal in Deutsch land mit seiner unübertroffenen Organisation im Eisenbahnwesen möglich sein. Und nun erst in Rußland! Vor Wochen, als unsere Truppen immer weiter nach Kurland einrückten und die Lage auch für Riga anfing kritisch zu werden, kam vom Generalgouverneur in Riga der Befehl, alle großen in dustriellen Unternehmungen weiter nach Rußland zu verlegen. Bei dem Direktor einer der größten Fabriken Rußlands, die ihren Sitz bei Riga hat, wurde eines Nachts angefragt, wieviel Waggons nötig seien, um die Vorräte, Maschinen und Einrich tungen dieses Unternehmens fortzuschaffen. Der Direktor mit sei nem Stade rechnete viele, viele Stunden und verlangte dann 1100 Waggons. Andern Tags begann man mit der Verladung. Am ersten Tage in 14 Waggons, am zweiten standen 9 zur Ver fügung und schon am dritten hatte die »Evaluation« ihr Ende erreicht. *) Der Wille zur Räumung und Vernichtung dieser schönen, äußerlich noch immer urdeutschen alten Hansestadt ist sicher vor handen gewesen. Es ist Wohl auch viel fortgeschafft und zerstört worden. Aber gänzlich von der Zivilbevölkerung geräumt ist Riga nicht, denn 500 000 Menschen lassen sich nicht wie die Ham mel verladen. Neunzehn Jahre habe ich in Riga gelebt, es ist mir eine zweite Heimat geworden. Als ich im Oktober vorigen Jahres mit meiner Familie unfreiwillig mein Heim, mein Hab und Gut verlassen mußte, da ließ ich unter den Deutsch-Balten auch viele Freunde zurück. Für diese brach mit dem Kriege eine schwere, ja ich kann Wohl sagen, furchtbare Zeit mit harten Gewissens konflikten an. Bedrückt, verfolgt, der Muttersprache beraubt, und trotzdem für Zar und Reich gegen die eigenen deutschen Volks genossen Blut und Leben einsetzen müssen — fürwahr, ein tra gischeres Schicksal läßt sich nicht gut ausdenken. Wir singen kein Lied, wir sprechen kein Wort, Wir drücken uns stumm die Hand, Und kämpfen uns staubige Wege fort, Wir — ohne Vaterland. Es ist den Deutsch-Balten oft der Vorwurf gemacht worden, sie seien politisch »verrusst«, sie hätten für das deutsche Mutterland nicht mehr viel übrig. Wo mir diese Ansicht auch entgegentrat: ich habe immer energisch dagegen Einspruch erhoben. Wie jeder deutsche Bruderstamm hat auch der Deutsch-Balte seine Eigenart. Darauf an dieser Stelle einzugehen, würde zu weit fllhreii. Ge rade in meinem Berufe als Buchhändler ist es mir möglich ge wesen, dem Balten innerlich näherzutreten. Denn sage mir, welche Bücher du liest, und ich sage dir, wer du bist. Der Deutsch-Balte hat dem Zaren auch in den schwersten Tagen die Treue gehalten, ich erinnere nur an das Revolutionsjahr 1905; im Innersten seines Herzens ist er aber deutsch geblieben, und nach all den Vergewaltigungen und Verfolgungen des letzten Jahres sehnt er die Erlösung vom russischen Joche mit allen Fasern seines Her zens herbei. über Kriegsziele sich zu äußern ist verboten. Das soll auch hier respektiert werden. Aber es sei mir gestattet, festzustellen: Die Kultur der Ostseeprovinzen ist deutsch. Auch die Kultur der Letten und Esten ist deutsch; sie verdanken sie den Deutschen. Das Land ist fast durchweg evangelisch, es bildet also ein Kulturgebiet. Das Land ist so groß wie Bayern und Württemberg zusammen und hat mit Letten und Esten kaum 3 Millionen Einwohner. Der Überschuß seiner Produktion an landwirtschaftlichen Er- *> Heute wird mir allerdings von einem Landsmanne, der soeben aus dem neutralen Auslände zuriickkehrte, berichtet, daß an der Fort- schasfung aller Fabriken, die Kriegsmaterial liefern. Tag und Nacht gearbeitet wird. 1158 zeugnissen ist so groß, daß er den Fehlbetrag der deutschen Landwirtschaft decken würde. Der größte deutsche Meister der Kriegskunst, Graf Moltke, hielt die Linie von Narwa längs des Peipussees und der Weli- kaja nach Dünaburg und dann bis zur Wilija und dem Nje- men für leicht zu verteidigen, auch gegen die größte Über macht. Daß die Kultur in den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands noch immer deutsch ist, w!rd mir der gesamte deutsche Verlags buchhandel bezeugen. Wohl die schönste, an Eindrücken reichste Zeit meines Lebens habe ich als junger Sortimenter Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre in Hamburg verlebt. Da gab es auch große Sortimente, — ich brauche keine Namen zu nennen. Aber an Jonck, Deubner, Kymmel, Bruhns in Riga und an Kluge L Ströhm in Reval, mit den Riesenlagern an deut scher Literatur, konnten die Hamburger doch nicht heran. Was wird nun aus dem deutschen Buchhandel in den Ostsee provinzen, wenn diese deutschen Provinzen nicht deutsch bleiben? Ich meine, gerade der deutsche Verlagsbuchhandel hat ein großes Interesse daran, sich diese Fragen einmal vorzulegen. Meiner innersten Überzeugung nach geht dieses große Absatzgebiet dem deutschen Buchhandel verloren, wenn, ja wenn . über Kriegs^ ziele zu schreiben ist verboten. Auch wenn der Krieg nicht gekommen wäre, das Schicksals- stündlein der Deutschen in den Ostseeprovinzen hätte doch bald ge schlagen. Die Hetze der Panslawisten, die Nowoje Wremja immer an der Spitze, hatte die russische Regierung in den letzten Jahren wieder stark beeinflußt. Sie arbeitete an einem Kolonisations gesetz und wollte in den Ostseeprovinzen 300 000 sibirische Bauern familien ansiedeln. Das hätte dem Lande in 20 bis 30 Jahren einen ganz anderen Charakter gegeben. All die bisherige Russi- fizierung der Baltenlande war Flickwerk gegenüber diesem, vom russischen Standpunkt aus betrachtet, geradezu großartigen Kolo nisationsplan. Wäre er verwirklicht Wördes, dann hätte der deutsche adlige Großgrundbesitzer, der auch dort mit dem Aka demiker, dem Literaten in erster Linie für die Erhaltung des Deutschtums gekämpft hat, nach und nach seinen deutschen Besitz an die russische Agrarbank verkauft und wäre ausgewandert. Es ist schwer, sich an das Verbot der Kriegszielerörterung halten zu müssen und Folgerungen nicht ziehen zu dürfen. Aber den Lesern dieses Blattes gegenüber ist das Wohl auch nicht nötig. Sie werden verstehen, daß dieses große Absatzgebiet dem deutschen Buchhandel verloren geht, wenn Rußland die Mög lichkeit bleibt, das Kolonisationsprojekt nach dem Kriege durchzu führen. Wohl kein Zweig des Handels in Rußland ist durch den Krieg so betroffen worden wie gerade der deutsche Buchhandel. Jede Zufuhr aus dem Auslande war mit dem Tage der Kriegs- erklärung unterbunden. Schikanen der Polizei setzten ein. Ein bekannter Buchhändler in Riga legte eine Karte vom Kriegsschau platz ins Fenster und markierte den Vormarsch der Russen in Ostpreußen mit Fähnchen. Sofort erschien die Polizei; es wurde ein Protokoll ausgenommen, und der Gehilfe, der das Staats verbrechen begangen hatte, wurde für einige Tage in Haft ge nommen. Was für geradezu unglaubliche Qualen der reichs- deutsche Buchhändler Jonck wegen seines Kartenverlags und seiner Zugehörigkeit zum Flottenverein durchmachen mußte, ist im Börsenblatte bereits erzählt worden. Der Firma Jsler in Petersburg, deren Inhaber Reichsdeutsche sind, wurden in den ersten Augusttagcn des vorigen Jahres die Auslagen vollständig demoliert und die Schil der heruntergerissen, während die Geschäfte von Deubner und Großmann L Knöbel in Moskau, deren Besitzer russische Untertanen sind — Herr Knöbel allerdings erst seit ganz kurzer Zeit —, im Juni d. I. bei einem Pogrom vollständig zerstört wurden. Ebenso erging es der Moskauer Filiale der Firma M. O. Wolfs, deren Besitzer vor zwei Jahren kaiserlich rus sischer Kommerzienrat wurde und dessen Familie seit Gene rationen dem russischen Untertanenverband angehört. Auch die Moskauer Filiale der großen Musikalien- und Musikinstrumenlen- handlung Jul. Heinr. Zimmermann hat furchtbar ge-
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