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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.05.1915
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- 1915-05-01
- Erscheinungsdatum
- 01.05.1915
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- Deutsch
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^ 99, l. Mai 1915. Redaktioneller Teil. zitieren dieselben Schriftsteller, das Thema ist geradezu bis aus den Bodensatz ausgeschöpft, und immer wieder entstehen neue Originalgenies, die England mit denselben Zitaten strasen müssen. So sind alle Motive bis zum Innersten ausgepreßt. Es ist der gleiche Grund, weshalb die Poeten so unsäglich eintönig geworden sind, die gelernten wie die ungelernten, die organisierten Literatur gewerkschaftler wie die Gelegenheitsproduzenteu der Schützen gräben und Etappenstationen. Der Stofs ist so sehr verdünnt und verknetet worden, daß sich ihm nichts wesentlich Neues mehr ausringen läßt. Aber wo sind dann die Originalautoren? Man weist mich aus die Kriegsberichterstatter hin. Gewiß, ihre Aus sätze sind immer willkommen und oft schön, aber wenn man näher zusicht, merkt man, daß sie alle dieselben natioualökonomischen und geographischen Handbücher und Reiseführer im Kriegsgepäck haben, das komponiert sich daun mit ihren Erlebnissen und Er kundungen zusammen, und das Resultat sind auch hier unausgesetzt alte Bekannte. Das geht bis in die allgemeinsame Benutzung von Lehrbüchern über Insektenkunde hinunter. Und nun beginnt das Reizende: die daheimgebliebenen Kriegsabschriststeller ver arbeiten wieder ihrerseits die gutgemeinten Origmalartikel als Quellen, produzieren wieder Bücher und Broschüren daraus, und nur der Eingeweihte sieht, daß sie aus ahnungslosen Plagiaten aus einheimischen Quellenwerken bestehen. Es ist oft sehr lustig, da seine alten Bekannten wieder zu begrüßen. Und oft ist es der einzige Genuß, den man so an den Produkten hat. Es ist eine Fortzeugung von Geburten, ein ewiger Kreislauf der Gedanken. Reizend sind auch die Fälle, in denen sich der Stammverleger und der Kriegsberichterstatter um das Kind streiten können. Der erster« wird darüber die Achseln zucken, aber der andere kommt ahnungslos und harmlos vom Kriegsschauplatz heim, um nun in Ruhe seine Artikel zu einem Buch zu machen. Aber die Arbeit ist schon vorgetan, das haben schon andere sür ihn besorgt. Hinden- burg war und ist sür die heimische Produktion solch ein schönes Objekt! Neulich passierte es aber doch, daß ein Berichterstatter partout sein Buch doch noch selber machen wollte und sehr er grimmt den Kuckuck aus seinem Nest beseitigte. So sehr haben sich in diesem Krieg die urheberrechtlichen Grenzen verwischt. Von der Frage, wieweit etwa Hindenburg selbst an seinen Aus sprüchen und Gesprächen noch Urheberrecht hat, sei ganz geschwie gen. Wenn einer Natioualheros geworden ist, dann glauben eben alle, von seinem geistigen Eigentum, auch wenn es durch Zwischen instanzen verschiedene Formen erhalten hat, ruhig etwas be anspruchen zu dürfen. Es ist mit Bismarck und dem Kaiser nicht anders. — Wie es auch sei, solche Erwägungen und Erfahrungen könnten dienlich sein, das Übermaß an Kriegsliteratur, mit dein wir überschwemmt werden, einzuschränken. Mit den anderen Faktoren, die für eine Begrenzung wirksam sind, können solche Beobachtungen recht fruchttragend sein. Es ist Zeit, daß das geistige Leben aus dieser Ebbe wieder auf höhere Regionen steigt, neben der Kriegsproduktion sollte wieder die kulturelle beachtet werden, und die Zeitschriften werden gleichfalls gut daran tun, sich wieder Arbeiten zu erschließen, die jenseits von kriegerischen Ereignissen und Stimmungen liegen, ohne daß jemals dabei die Schwere unseres tatsächlichen Kampfes vergessen zu werden braucht oder vergessen wird, weder vom Autor noch vom Leser. 3. Daß in der Kriegslprik Überproduktion herrscht, darüber ist sich alle Welt klar. Über ihren Nutzen in nationalem Sinne braucht nichts gesagt zu werden. Sie ist aus Begeisterung ge boren und schasst wieder Begeisterung. Zweiselhaft ist nur, ob in künstlerischem Sinne das unendliche Geplätscher und Ge leier, zu dem das Kriegsdichten jetzt ausartet, nicht von Unheil ist. Wenn es mit Bewußtsein Dilettanten wären, die da heute soviel zusammenreimen, so brauchte es gar keiner Aufregung darüber, aber daß die guten Leute als vollblütige, echte Dichter genommen werden wollen und auch von der Majorität als solche anerkannt werden, das macht den Fall etwas ernster. Daheim gebliebene Poeten gar, die sich immer etwas verkannt fühlen, empfinden die Schützengrabenpoesien als arge, unberechtigte Konkurrenz. Erst neulich verflieg sich ein solcher zu dem ner vösen Ausruf, er schösse doch auch nicht in feiner Stube, also sollten die Leute an der Front nicht dichten. Sie seien doch zum Schießen draußen und nicht zum Dichten. So barock braucht man aber doch nicht zu sein. Die Zeit wird das Unechte, Falsche und Schlechte auch wieder wegschwemmen, wie sie es gebracht hat. Man muß geduldig sein. Und es gibt da eine versöhnliche Erwägung, daß selbst das künstlerisch wertloseste Produkt doch noch Gutes im Gefolge haben kann. Man muß daran denken, daß vielleicht viele Hunderttausende von den Armeen, die wir im Felde stehen haben, seit ihrer Schulzeit nicht mehr mit einen: Vers in Berührung gekommen sind — da singen sie wieder die alten Marschlieder, lernen neue, da bekommen sie von ihren Kameraden Gedichte vorgelesen, da hat jede Kompagnie eine ganze Anzahl von Poeten bis zum Hauptmann hinauf, da werden die Landsturmzeitungen, die Gedichte aus den Felddruckereien an sie verbreitet, da lausen die Namen Herzog, Ompteda, Lis- sauer die ganze Front entlang, da erhalten sie von kundigeren Leuten die neue Form von Lissauer erklärt, weil sie behaupten, das sei gar kein Gedicht, weil es nicht in Reimen gebaut sei. Kurz, es sind da doch auch zugunsten eines literarischen Interesses unendliche Einflüsse am Werke. Und da und dort hastet das Interesse doch, vertieft sich, und die Kompagniepoeten, in denen doch hier und da Talente zum Vorschein kommen, strengen sich mächtiger an, um über ihre Konkurrenz in der Etappenhöhle obzusiegen, ja auch die Myriaden von Feldpostbriefen, mit denen wir überschüttet werden, sind noch Anlässe zu literarischer Übung, — daß eine strenge literarische Kritik einsetzen muß, wenn sie heimgekommen sind, ist klar, aber wir wollen hosfen, daß aus dieser Feld- und Unterstandsliteratur ein erhöhtes Interesse am Buch, eine Freude am Buch erwächst. Das geistige Leben geht ja auch sonst draußen weiter, wie nie zuvor in einem Krieg, außerordentlich viele sind aus ihre Zeitungen und Zeitschriften abonniert, von den anderen aber, die erst wieder im Felde mit den Musen Beziehungen anknüpften, wollen wir hosfen, daß sie, heimgekommen, mindestens ihren Kindern nicht wehren, an Büchern Gefallen zu finden. Ähnlich steht es mit den Folgen, die aus den ungeheuren Bücherstiftungen für die Lazarette er hofft werden dürfen. Mit Recht mußten viele unmutig werden, daß das Buch hier ausschließlich Geschenkgegenstand sein sollte, während sonst für die Lazaretteinrichtungen und -züge auch kein Schräubchen umsonst war, daß die außerordentlich reichen Stiftungen, mit denen sich der Buchhandel ehrte, doch eine ge wisse Degradierung des Buches in der Anschauung nicht geringer Kreise im Gefolge hatten. Aber auch dieser Gedanke, die Klage, daß nicht durchaus der richtige Weg beschritten wurde, muß über wunden werden von dem andern, daß auch dies Samen in die Zukunft gesät heißt. Wie viele unserer braven Feldgrauen haben im Lazarett erst wieder seit langer Zeit ein Buch in die Hand bekommen! Wie viele können erst hier die Wohltat einer ruhigen Lektüre genießen! Da wird das vorher nicht oder nicht so ge kannte Buch zum Freund, Bildungsquellen springen auf, und wir können nur hoffen, daß diese Beschäftigung mit Lesen viele zum Buche wieder hingesührt hat, daß das Interesse ain Buch für die Zeit nach dem Kriege, auch in der Weiterwirknng für die Familie, für die Kinder, hastet, daß das Buch auch hier an Ach tung gewinnt und daß der für die Kultur des Buches Gewonnene auch die Bildungsmöglichkeiten nützt, die ihm der Buchhandel bereit hält. Das wäre der schönste Dank, der dem Buchhandel aus seinen Bücherstiftungen werden könnte. 4. Bor der Nörgelsucht bleibt nichts verschont. Das haben auch die schaffenden Künstler erfahren müssen, jene, die ihre Kriegs visionen, sei es aus dem Schlachtfeld, fei es daheim, künstlerisch zu verarbeiten suchten. Die Kriegsgraphik erfährt in neuester Zeit so hämische Angriffe, daß es angezeigt erscheint, ein Wort sür sie einzulegen. Die Fähigkeit, sich an etwas Geleistetem un befangen zu freuen, scheint uns außerordentlich abhanden ge kommen zu sein. Wir glaubten den Drachen Kritiksucht erschlagen — und siehe da, er lebt munter weiter, unentwegt übt er sein giftiges, tötendes Absprechen. Wir sollten doch unfern Künstlern dankbar sein, daß sie nicht müßig in diesem Sturm der Ereignisse dastehen, sondern aus die ihnen zugefallene produktive Weise sich mit dem Inhalt unserer Zeit auseinandersetzen. Wir sollten uns freuen, daß sie selbst in dieser ihnen so ungünstigen Zeit sich io 681
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