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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.01.1929
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1929-01-08
- Erscheinungsdatum
- 08.01.1929
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- Deutsch
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Nr. 6 (N. 4). Leipzig, Dienstag den 8. Januar 1929. SS. Jahrgang. ReÄMioMÜer TÄ Lessirig und die Bücher. Von Mbliotheksdirektor vr. Wilhelm H e r s e. Es hat große Dichter und Denker gegeben, denen das Buch nichts bedeutete: Lyriker, die ihre Lieder sangen, Dramatiker, die ihre Stücke für die Bühne niederschrieben, Philosophen, wie Sokrates, die Schüler um sich sammelten und es dem Zufall überließen, ob, wann und wie ihre Schöpfungen durch Bücher der Nachwelt erhalten wurden. Lessings Verhältnis zum Buch ist das entgegengesetzte. Die Vorstellung dichterischer und wissen schaftlicher Tätigkeit ist für ihn mit der des Buches eng verknüpft; und jedes Buch hat als solches für ihn Wert. Das Wort des alten Plinius, kein Buch sei so schlecht, daß es nicht in irgend einer Beziehung nütze, hat er sich zu eigen gemacht. Während seines ersten Berliner Aufenthalts faßte er den Plan zu einer Zeitschrift »Gutes aus schlechten Büchern«, und noch in Wolfen büttel kam er darauf zurück. Der Gedanke, daß Bücher un gedruckt bleiben, verloren gehen könnten, war ihm unerträglich. »Denn einmal habe ich nun«, schreibt er im achten Anti- Goeze, »eine ganz abergläubische Achtung gegen jedes geschriebene und nur geschrieben vorhandene Buch, von welchem ich erkenne, daß der Verfasser die Welt damit hat belehren oder vergnügen wollen. Es jammert mich, wenn ich sehe, daß Tod oder andere, dem tätigen Manne nicht mehr oder nicht weniger willkommene Ursachen so viel gute Absichten vereiteln können, und ich fühle mich sofort in der Verfassung, in welcher sich jeder Mensch, der dieses Namens noch würdig ist, bei Erblickung eines ausgesetzten Kindes befindet. Er begnügt sich nicht, ihm nur nicht vollends den Garaus zu machen, es unbeschädigt und ungestört da liegen zu lassen, wo er es findet; er schafft oder trägt es in das Findel haus . . .«, in die Druckerei. Dieser Vergleich des ungedruckten Manuskripts mit dem aus gesetzten Kinde ist kein bloßes Bild, geschweige ein Scherz. Ein Buch und seine Schicksale erregten Lessings Teilnahme wie die Schicksale eines lebenden Wesens. Er achtet auf den richtigen Wortlaut, die Ausgaben, die Uberfetzungen, verfolgt seine Wir kung durch die Jahrhunderte. Die wegwerfende Art, mit der er oft von feinen eigenen Büchern spricht, darf uns nicht täuschen, denn so wegwerfend hat er noch öfter von seiner Person, seinen Talenten, seiner materiellen Lage geredet. Lessings Verhältnis zu den Büchern näher ins Auge fassen und die Wechsel darin verfolgen, heißt deshalb, ein gut Teil seiner Lebensgeschichte erzählen. Das erste Ereignis aus Lessings Leben, das wir kennen, ist die drollige Geschichte, die noch heute anschaulich bezeugt wird durch das Bild im Lessingstift seiner Vaterstadt Kamenz, auf dem er mit seinem jüngeren Bruder Theophilus zu sehen ist. Theophilus ist mit einem Schäfchen dargestellt; der fünfjährige Gotthold sollte ein Vogelbauer als Beigabe erhalten, erklärte aber entrüstet: »Mit einem großen, großen Haufen Bücher müssen Sie mich malen, oder ich mag lieber gar nicht gemalt sein.« Später wußte der jüngste der vier Söhne des Kamenzer Pfarr hauses, Karl Gotthelf, sich der Erzählung der Eltern zu er innern, daß Gotthold nicht nur mit großer Lust und Leichtigkeit gelernt, sondern auch »nichts lieber getan, als sogar zum Zeit vertreib in Büchern geblättert, wenn auch nicht immerfort darin gelesen.« Auf der Fürstenschule zu St. Afra in Meißen, die der Zwölf jährige bezog, fand diese Bücherliebe die kräftigste Aufmunterung. Sehr verschieden von den heutigen Landeserziehungsheimen legten die Fürstenschulen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhun derts noch das ganze, einseitige Schwergewicht auf büchermäßiges Wissen. Neben der pflichtgemäßen Schul- ging bei dem jungen Lessing eine ausgedehnte Privatlektüre her. Daß er schon latei nische und deutsche Gedichte verfaßte, will nicht viel heißen, -das gehörte zum damaligen Schulbetrieb. Aber auch die damals sehr seltene Kenntnis des Englischen erwarb er sich schon als Fürsten schüler, und in der Mathematik regte sich seine Produktionslust; unter seinen Handschriften aus der Meißener Zeit fand sich neben einer deutschen Euklid-Ubersetzung eine Geschichte der Mathe matik; so unreif die leider verlorene Schrift gewesen sein mag, so zeigte sie doch nach Karl Gotthelfs Bezeugung, daß der Schüler Lessing bereits die gelehrten Zeitschriften las und sich Auszüge daraus machte. Schwächere Köpfe sind auf den Gelehrtenschulen damals mit verfrühter Gelehrsamkeit oft zu ihrem bleibenden Schaden überfüttert worden. Von Lessing bekannte dagegen der Rektor in halber Verzweiflung, er sei »ein Pferd, das doppelt Futter« brauche. Weil ihn die Schule nichts mehr lehren konnte, wurde er vorzeitig zur Universität entlassen. In Leipzig steigerte sich bei dem siebzehnjährigen Studenten zunächst noch die Lernwut und Bücherleidenschaft. Ein Kommi litone, der spätere Rektor der Thomasschule Joh. Friedr. Fischer, mit dem er zusammenzog, staunte über sein Wissen in Griechisch und Latein; sie lasen zusammen den Thucydides. Daneben stürzte sich Lessing auf die Schriften des damals herrschenden Philo sophen Christian Wolf, und trug, wie ein anderer Mitstudent bezeugt, »allenthalben Bücher zusammen und las viel«. »Stets bei den Büchern, nur mit sich selbst beschäftigt«, lebte er in den ersten Semestern als Student einsamer denn vorher als Schüler. Dann aber kam der jähe Umschlag, die heftigste Krisis in Lessings Verhältnis zu den Büchern. Zwei Jahre, bevor der Studiosus Lessing in Leipzig einzog, hatte die geniale Theater leiterin Friderike Karoline Neuber dort mit einer frisch zu sammengestellten Truppe meist junger »Acteure« und »Actricen« erneut ihre Bühne aufgeschlagen. Lessing geriet in diese lustige Gesellschaft bunter Schmetterlinge und erkannte sich selbst mit Entsetzen als häßlichen Bücherwurm. Die gesunde Lebenslust regte sich in ihm, feine bisherige Lebensart wurde ihm verhaßt. »Ich lernte einsehen, die Bücher würden mich wohl gelehrt, aber nimmermehr zu einem Menschen machen.« Er warf die Bücher in die Ecke, nahm Tanz- und Fechtstunden, zechte mit den jungen Schauspielern und verliebte sich in die jugendliche Liebhaberin, die »schöne Lorenzin«. In Gedichten besang er Wein und Liebe, und mit neunzehn Jahren erlebte er den Triumph, sein Lustspiel »Der junge Gelehrte« von der Neuberschen Truppe unter dem Beifall der Leipziger aufgeführt zu sehen. Das Stück ist die Abrechnung des Dichters, die viel Selbst kritik enthält, mit dem einseitigen, dünkelhaften, dem Leben hoch mütig-fremd gegenüberstehenden Buchgelehrtentum. Der zwan zigjährige gelehrte Damis hat schon eine ganze Anzahl Büchlein voll unreifen Wissenskrams auf Kosten seines Vaters drucken lassen; das hindert ihn nicht, diesen seinen unliterarischen Vater zu verachten, der mit einem Fluch auf »die verdammten Bücher« seinem Herzen Luft macht. Damis verachtet auch seinen Freund 21
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