MN Statt einer Verlagsempfehlung eine Leseprobe aus dem neuen Roman von Gerhart Ellert: ... Die Suomi kommt mit den scheuen Schritten einer Sklavin auf die Fürsten zu und setzt die Becher auf den Tisch. Dann geht sie und kehrt mit einer Lampe zurück. Nun sieht man: ihr Gesicht ist von Angst verstört, um die Mundwinkel liegt ein kaum zurückgehaltenes weinen. Sie ist häßlich, denkt Bleda. Har Attila auf seiner Lriegs- fahrt nichts Besseres finden könnend — Und er verweilt einen Augenblick bei der Vorstellung, daß er gallische Weiber hierherbringen wird, wenn er aus dem Westen zurückkehrt. Attila sieht die Suomi kaum; seine Blicke und seine Gedanken hängen an den beiden silbernen Bechern, die vor ihm stehen. „Trinke, Bleda!" sagt er heiser. Mißtrauen springt auf. „Ich leere keinen Becher, der von deinen Frauen eingeschenkt ist, Attila!" Lin kurzes Lachen. Attilas Finger schieben beide Becher in Bledas Reichweite. „Wähle. Den anderen leere ich." „Leerst du ihn vor mir^" „wähle." Bleda greift zögernd nach dem einen Becher; Attila rasch nach dem andern. Über die Lampe hinüber sieht Bleda auf merksam und mißtrauisch zu, wie Attila den Becher bis auf den letzten Tropfen leert. Als er ihn wieder auf den Tisch setzt, ist sein Gesicht fahl und erloschen wie das eines Toten. „Nun trinke auch du —" flüstert er. Bleda trinkt in langen, durstigen Zügen. „Als Lnabe war ich in Byzanz," beginnt Attila zu er zählen mit sanfter, veränderter Stimme, „da sah ich, wie sie ihrem Gott eine Rirche bauten. Die Wölbungen und Ruppeln waren sehr hoch und ich fragte, wer die Festigkeit der Gewölbe prüfe." „was kümmern mich solche Bauten^" knurrte Bleda. Der Ropf ward ihm schwer; Attilas Stimme klang einschläfernd. „Da sagte man mir, daß der Baumeister genau prüfe, ob alles seinen Berechnungen gemäß ausgeführt sei," fuhr Attila unbeirrt fort, „dann erst lasse er die Stützen weg nehmen. ,Ls ist alstH fragte ich, ,für jeden Bau nur ein Linziger verantwortlich^ ,I< antwortete man mir, .einer muß der Bauherr sein?" Bleda antwortete nicht. Lr saß vorgebeugt, die ungefügen Hände auf dem Tisch und schien verwundert über die un gewohnte Gesprächigkeit seines Bruders. Vom Hof her hörte man Frauenlachen. Zwei Mädchen in weißen Rleidern flüchteten kreischend ins Frauenhaus, verfolgt von einigen alanischen Reitern. Die Gepidenwache vor der Treppe gebot Ruhe. Man sah ihre großen, dunklen Schatten auf ragen, sah die Spitzen ihrer Lanzen blitzen. Spukhaft er starb das Lachen. „Brüderchen —" flüsterte Attila, „kennst du die Bechers" „Ich sah sie noch nie." „Murdzuch, unser Vater, hat sie mir einst geschenkt. Sie sind viele hundert Jahre alt. Hu-han-ya und Tschi-Tschi hießen die beiden Brüder, die zuerst daraus tranken. Sie sollten die Herrschaft teilen wie wir. Sie konnten sich nicht einigen. Sie leerten die Becher; der eine trank die Herrschaft, der andere den Tod." „Attila!" schrie Bleda auf. Attila hob die Lampe hoch. Ihr flackerndes Licht beleuch tete sein eigenes fahles Gesicht und Bledas verzerrte Züge; Bledas Augen, die ihn entsetzt anstarrten, seine Stirne, auf der sich große Schweißtropfen zeigten. „Du hast gewählt", sagt Attila und ließ die Lampe sinken. „Ich wußte so wenig als du, in welchem Becher das Gift war —" Über dem Flackern der Lampe Bledas Hände, die kraftlos nach einem Messer tasten. Bläuliche Lippen, die kein Wort mehr formen können. Die schwache Lampe erlischt. Aus dem Dunkel klingt, halb traurig, halb grausam Attilas Stimme: „Tanyü, einer muß der Bauherr sein."