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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.12.1928
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- 1928-12-06
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- 06.12.1928
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Ausgleich und Gleichgewicht: dies fordern auch die Verfechter der »Neuen Typographie«. Brutales Herausheben von Linienbalken oder Zeilen wirkt immer befremdlich und unharmonisch. Es gibt ohne Zweifel heute schon sehr gelungene Arbeiten konstruktivistischer Art, die mit der »elementaren« Typographie wenig zu tun haben. Ein elementares Werk ist stets etwas Unvollständiges, in der Ent wicklung Befindliches und Anfüngertum Verdatendes. Die »Neue Sachlichkeit« und mit ihr die »Elementare Typographie« als eine ihrer extremsten Ausdrucksformcn mus; sich aber htitcn, den »Sieg der Vernunft über das Gefühl« zu sehr zu betonen, denn das ist ihre schwächste Stelle. Wir können eines gewissen, je weils der Art der Drucksache angepaszten Stimmungsreizes, der an das Gefühl appelliert, nicht entraten. Sogenannte »gefühls- be freite K u n st ü b u n g« ist kalt und unpersönlich. Sehr viele der »elementaren« Satzarbeiten sind verstandcskühl, ohne Stim mungsgehalt, oft völlig kunstlos. Die »Elementare Typographie« ist zweifellos nur Anfang und Durchgangsstadium zu einer reicheren konstruktivistischen Kunstübung, bei der Rhythmus nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Erzielung wirklicher Schönheitswerte bedeutet. Mit allen den hier angeschnittenen Problemen sucht sich Jan T s ch i ch o l d, einer der extremsten Verfechter der »elementaren« Typographie, in seinem kürzlich im Verlage des Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker erschienenen Buche »Die Neue Typo graphie. Ein Handbuch für zeitgemäß Schaffende« auseinanöerzusetzen.*) Tschichold erklärt: »Das oberste Gebot ist Sachlichkeit« und »Weglassung alles Überflüssigen ist absolute For derung«. Die Jahrhunderte alte Herrschaft des Ornaments sei ab- zulvsen, Schmuck sei kein Vorzug, sondern der Beweis einer niederen Kultur. Selbst eine fett-feine Linie müsse als Schmuck gelten und sei daher abzulehncn. Das Sachlichkeitsprinzip, das die Gestaltung der Fabrikhalle, des Generators, des Rennwagens, des Flugzeugs, der Glühbirne usw. beeinflusse, gelte es, auf die Drucksache zu übertragen. Seine Betrachtungen über die Beziehungen zwischen Funktion und Form sind richtig, keinesfalls aber neu. Die von R a o u l H. F r a n c 6 begründete »Biotechnik« sieht bekanntlich in der Übertragung der in der Natur sich zeigenden höchsten Zweckmäßigkeit, in der sog. »Funktiousform« von Tier und Pflanze, in der Beobachtung des Gesetzes vom kleinsten Kraftmaß usw. den geeigneten Weg, um zu vollkommenen technischen Hilfsmitteln, Geräten, Fahrzeugen, Ma schinen usw. zu gelangen. »Typographie ist Mitteilung«, sagt Tschi chold. Gewiß, zumeist, aber nicht immer. Es gibt Drucksachen (man denke nur an Schokoladen-, Parfüm- und andere Packungen), bei denen es weniger auf Mitteilung als auf Schmuck, auf Kaufan- reiz durch Schönheit der Umhüllung ankommt. Das fordert Schmuck, nämlich Bild, Ornament und Farbe. Man würde bei dem Versuch, feine Pralinen in einer »elementar« ausgcstattetcn Packung ver kaufen zu wollen, mit einem Fehlschlag rechnen müssen. Der Ver fasser setzt sich zunächst mit der »alten« Typographie auseinander, die er von 1450—1914 (!) rechnet. Anfänge der Neuen Typographie reichten z. T. bis 1909 zurück. Prof. Peter Behrens habe als Vorläufer der Neuen Typographie zu gelten. Der italienische Dichter und Futurist F. T. Marinetti (1909) habe durch seine »typographische Revolution« die Umstellung von der ornamentalen zur funktionellen Typographie bewirkt, indem er die verschiedenartigsten Schriften und Grade innerhalb seiner Bücher verwenden ließ, des gleichen die Dadaisten, deren Werke Tschichold zwar als »zynischen Ulk« erklärt, deren Mappe »Neue Jugend« (1917) er aber eines der frühesten und bedeutsamsten Dokumente der »Neuen Typographie« nennt. Auf solche Weise werde eine »optische Eindringlichkeit« des Satzes erzielt und die Typographie zum funktionellen Ausdruck des Inhalts gestempelt. Die Schöpfer der abstrakten Malerei und des Konstruktivismus hätten die Gesetze einer zeitgemäßen Typographie gefunden. Jedenfalls habe der Dadaismus den Auf takt gegeben. Durch die Russen Kandinsky und Mal 6 witsch sei schließlich der S u p r e m a t i s m u s entstanden, in Holland der N e o p l a st i z r s m u s, in Deutschland der Bauhausstil, der Verismus und die Neue Sachlichkeit. Die Photographie müsse als »heutige« Technik bezeichnet werden. Die sogenannte »Photomontage«, d. h. ein Zusammenstellen von verschiedenen Photo graphien, habe sich als besonders zeitgemäßer Ausdruck erwiesen. Es handele sich hierbei, so führt der Verfasser aus, um keine Mode von kurzer Dauer. Man darf dies bezweifeln, denn unser ganzer Lebens zuschnitt scheint stetem Wechsel besonders zugetan zu sein. Als eines der Hauptziele der »Neuen Typographie« bezeichnet Tschichold die Absicht, »mit elementaren zeitgemäßen Mitteln jede Arbeit sinngemäß und so vollkommen als nur möglich zu gestalten«. *) 240 Seiten mit über 125 z. T. zweifarbigen Abbildungen. In Ganzleinen geb. 6.50 RM. Der Blick des Lesers soll von einem Wort, von einer Gruppe zur anderen geführt werden. Eine sinngemäße Gliederung des Textes sei unerläßlich, desgleichen Klarheit. Er fordert das Vermeide n jeden Schemas: »Wenn man klar denkt und frisch und unbeirrt an die jeweilige Aufgabe herangeht, wird wohl meist eine gute Lösung entstehen«. Dies scheint indessen nicht so. Um optisch wirk same und interessante Lösungen nur mit Grotesk und einigen Linien zu erzielen, bedarf es eines sicheren Geschmacks und künstlerischen Empfindens. Wohl ist durch die asymmetrische Satzweise, also durch das Verschränken der Zeilen, der Phantasie weitester Spielraum ge lassen, wohl hat diese Satzweise den Vorzug, daß sie unbegrenzt ab wandelbar ist, der Bielartigkeit der Drucksachen kann aber schon des halb nicht entsprochen werden, weil nur die Grotesk verwendet werden darf. Die neue Satzweise ist viel schwerer erlernbar als die bisher üb liche, denn diese konnte mit brauchbaren Regeln auswartcu. Wer die Gesetze der Flächenaufteilung, der Proportionalität, der Farben gebung usw. nicht kennt, der entgleist bei dem Versuch, sich modern zu geben. Und diese Entgleisungen lehnt Tschichold sehr entschieden ab. Er warnt vor bloßem Nachähmen der Äußerlichkeiten, vor einem neuen technisch-symbolischen Formalismus. Auch sei jeder vorgefaßte Plan, jede Satzskizze vom Übel; es gelte, die »Erschei nungsform aus den Funktionen des Textes zu entwickeln«. Die pseudo- und schein-konstruktivistischen Lösungen liefen dem Wesen der »Neuen Typographie« zuwider. Große optische Eindringlichkeit ge währleiste der Kontrast groß-klein, hell-dunkel, wagerechl-seukrecht, rechteckig-kreisrund, geschlossen-aufgelöst, bunt-unbunt usw. Als Beispiel hierfür hat der recht vornehm wirkende Deckel seines Bu ches in Schwarz und Silber und die originelle Gegenüberstellung eines schwarzen Blattes und des weißen Jnnentitels zu gelten. Tschichold lehnt mit Recht den in Spielerei ausgearteten »Bild- s a tz« als dem Wesen der Neuen Typographie völlig zuwiderlaufend ab, desgleichen den »abstrakte n« Schmuck verschiedener Schrift gießereien. Er gibt zu, daß die Grotesk, die ttniversalschrift, »als Brotschrift nur bedingt geeignet« sei. Aus ökonomischen Grün den sei die Beseitigung der Versalien wünschenswert, aber nicht unbedingte Forderung. Die Farben dürften nicht in der Absicht des Schmllckens Verwendung finden, sondern nur in Aus nutzung ihrer physiologischen Wirkungen (Not-Nahwirknng, Blau- Fcrnwirkung). Kreise, Dreiecke, Linien nsw. müßten funktionelle Bedeutung haben. Die Einführung der Dinormen, überhaupt alle Normungsbestrebuugen werden von ihm sehr stark befürwortet. Eine Drucksache, die »vollkommen« sein wolle, müsse entschieden im Normformat gehalten sein. Zahlreiche Abbildungen und Satzbei- spielc für Typosignete (gesetzte), Normbriesbogen, Briefhüllen, Post karten, Geschäftskarten, Besuchskarten, Prospekte, Zettel, Typoplakate, Bildplakate, Inserate, Zeitschriften (richtige Einordnung des Kli schees in den Satzspiegel) und Werksatz folgen zum Schluß, desglei chen ein ausführlicher Hinweis auf die bisher erschienene Literatur über die »Nene Typographie«. Einigermaßen verwirrt legt man das zweifellos interessante Buch aus der Hand. Tschichold hat viel in diesem Buch gefordert. Er hat aber auch eine klare Atmosphäre geschaffen und rückt von vielem ab, das man ihm und seinen Anhängern bisher unterschob. Wie ein Frohlocken klingt es, wenn er vom »Sieg« der »Neuen Typo graphie« redet. »Neue« Typographie? Was ist neu au ihr und was enthält Tschicholds Buch eigentlich Neues? Die rhythmische Satzweise, die Normierung, neue Schönheitsgesetze? Die »Nene Typographie« be tont die Gegensätzlichkeit, fordert, daß man stets eine harmonische Ein heit schaffe. Ist das ein neuer Gesichtspunkt? Die Eiuschriftigkeit aber, die Ablehnung aller Schriften zugunsten der Grotesk, die Ableh nung des Ornaments? Gewiß, das ist neu, engt aber die »Neue Typographie« unendlich ein. Die »elementare Typographie« (und diese ist wohl gleichbedeutend mit der »Neuen Typographie«) hat ihre Grenzen zu eng gezogen und damit das künstlerische Schassen der Buchdrucker in Fesseln gelegt. Man wird sic sprengen oder der ganzen an sich begründeten, aus der Zeit heraus geborenen Richtung wird das gleiche Schicksal blühen wie dem Expressionismus, den man heute schon »greisenhaft« findet. Die »Neue Typographie« will nicht für das Schlechte verantwortlich gemacht werden, das unter ihrem Namen geht. Was aber ist schlecht, was gut und echt im Sinne der »Neuen Typographie«? An seinen Auswüchsen, dem »ornamentalen Gedärm«, starb der Jugendstil. Auf ihn folgte würdiges Neo-Bie- dermeier und Geviertmanier: auf expressionistisches Chaos die neue Sachlichkeit. Sollte diese eine längere Lebensdauer, vielleicht ewigen Bestand haben und mit ihr die »Neue Typographie« und die »Form ohne Ornament«? Wohl kaum! Auch hier zeigt sich die Pcriodi zität alles Geschehens. Wie uns alles Werden und Ver gehen in Natur und Kunst, im Leben der Völker und im Leben des Einzelnen in Rhythmen umbrandet, so klingt Rhythmus aus der
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