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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.01.1915
- Strukturtyp
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- 1915-01-29
- Erscheinungsdatum
- 29.01.1915
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Redaktioneller Teil. oE 23, 2g. Januar ISIS. rungen, die wir an uns zu stellen haben, glattweg auf Romanen, Kelten und andere Völker übertragen. Nur der Germane hat die Eigenschaft, objektiv zu denken und zu handeln (sie ist rein männlich). Ein Franzose z. B. wird immer aus seinen Empfindungen heraus denken, und weil wir anders sein können, sollen wir nicht mit ihnen keifen, wie literarische Waschweiber, sondern ihnen mit innerem Stolz und Kühle gegenüberstehen. Jedem Feind, der un anständig und brutal ist, wollen wir mit bajuvarischer Kraft eine hinhauen, aber wir wollen keine Pharisäer sein. Alle »nur korrekten» Menschen sind ein Greuel, und es gibt keinen bedeutenden Mann, der nicht einmal danebcngehauen hat. Wir wollen die Temperamente nicht zu Eunuchen kastrieren, wir wollen die schuldige Achtung vor geistiger Größe bewahren. Es ist eine Schmach für deutsches Wesen, daß Deutsch land immer noch nicht seine Künstler zu ehren weiß, das heißt, noch nicht über das Nachlaufen nach dem berühmten Namen gekommen ist. Welcher Tiefstand geistiger Kultur herrscht noch, daß man Schriftstellern vorwirst: ihr habt so und soviel Honorar verdient und ihr habt daher »dankbar» zu sein! Ist das nicht der Parvenüstandpunkt: für mein Geld kann ich alles haben!? Mag man einen wirklich ernsten Künstler noch so hoch bezahlen, immer ist trotz dem der Schaffende der Gebende, der das Leben um neue Werte vermehrt, der es reicher macht. Und keine Tragik des Künstlerdasetns läßt sich mit Geld bezahlen, denn jeder große Mensch ist einsam. Es gehört ja zu den Bedingungen seines Schaffens, daß er eine Isolierschicht zwischen sich und die Massenempfindungen legen mutz. Die unnahbare Kälte des Olympiers Goethe ist bekannt, Nietzsche schrie über seine Einsamkeit wie ein gepeinigtes Tier, und Spitteler schrieb als Bekenntnis in seinen »Lachenden Wahrheiten«: »Dem Dichter und Künstler großen Schlages ist sein Werk wirklich Ruh, alles andere verhängt ein Schleier. Nicht etwa wegen Begeisterung: denn ein großer Geist ist nie .begeistertst sondern wegen Pflichtgefühls, oder richtiger, wegen des Bewußtseins dessen, was er tun kann und deshalb tun mutz«. Ist es nicht fast notwendig, daß ein großer Dichter in einer poli tischen Führerrolle versagt? Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß Goethe von der Mehrzahl seiner Zeitgenossen als großer Mann eingefchätzt worden sei; es war nur eine ganz dünne Schicht der Gebildeten. Ebenso war Nietzsche nicht, solange er als Gesunder schrieb und wirkte, anerkannt, und selbst heute weiß nur eine ganz dünne Schicht, daß seine Forderung des Übermenschen etwas anderes ist als ein rücksichtsloses Sichausleben. Spitteler, ich sage es nicht, weil ich sein Verleger bin, gehört mit seinem «Olympischen Frühling« zu den Geistern vom Range Dantes, Goethes und Nietzsches. Wer empfänglich ist für den Gesang von Apollo und Artemis im »Olympischen Frühling«, weiß, daß er in dem Verfasser einem Menschen von der höchsten vornehmen Gesinnung gegenübersteht; der Schöpfer des »Prometheus« kümmert sich nicht um die Menge. Er ist der einsamsten Geister einer. Und es ist die Tragik eines Lebens, das nur sich lebte, daß er jetzt umjubelt wird von Menschen, die sein Werk nie verstehen werden, und daß diejenigen traurig über und für ihn sind, die ihn lieben, weil er ihr eigenes Leben reicher gemacht hat. Lassen Sie uns immer wieder und wieder daran denken — ich kann es gar nicht genug betonen — daß stets nur eine gebildete schmale Schicht — es ist dieselbe, die Bücher als Lebensbedürfnis empfindet — den Kultursortschritt ver mittelt im Verein mit der heraufkommenden jungen Gene- ration, zu der ich auch die Elite der Arbeiterschaft rechne. Sagen wir mit einem Bild, die elftere ist der Kopf, die Jugend Arme und Beine, die große Masse ist der Leib, ein Reservoir kommender Generationen. Die eigentliche Kulturaufgabe ist nun, dafür zu sorgen, daß mög lichst viel Jugend in dem Geist heranwächst, den die führenden Geister der dünnen Oberschicht er- it4 zeugen. Jedes Nachlaufen nach Tagesschlagworten ist dabei vom übel. Unsere Jugend, unsere sreideutsche Jugend hat die herrliche Lebenssormel für sich voran gestellt: »Wir wollen aus unserem Innern herausleben und uns aus ihm entwickeln«. Es ist die Formel der heroischen Lebensauffassung. Und wunderbar, der gleiche Geist geht durch alle Völker der europäischen Kulturwelt, nur dort noch nicht so stark ausgeprägt wie bei uns. Sogar bei den Türken. Und wenn nun einer der sogenannten »Ver räter« der Künder dieses neuen Geistes wäre, und er würde von den deutschen Buchhändlern auf Kantate 1815 geächtet, so würden die Beschließer ebenso unsterblich werden wie der selige Ballhorn, unser berüchtigter Kollege in Lübeck!! Ein Hamburger Berufsgenosse hat mir entgegen gehalten, nun, ich will niemand ächten, aber es gibt so viele gute Bücher zu lesen, daß ich überhaupt nicht damit durchkomme, und ich spare mir einfach das Lesen von Verhaeren, Rolland, Wells, um einmal ein paar andere »Sünder« zu nennen, und ziehe lieber Firdust und andere Bücher der Weltliteratur vor. Gewiß, jeder soll Bücher der Weltliteratur lesen, aber in erster Linie muß der Tatmensch der Gegenwart leben, denn alle neuen geistigen Strömungen haben ihre »Erwecker«. Diese gelten zumal für die junge Generation und sind in ihrer Wirkung nicht auf ein Volk beschränkt, da alle Völker Europas Kulturzusammenhänge haben, die eins auf das andere an gewiesen sein lassen. Jedes Volk, das sich verengt, geht zurück. Ein interessantes Beispiel dafür sind die Tschechen. Sie schlossen sich derartig von deutscher Kultur ab, daß auf einmal ihre führenden Geister merkten: »ihr werdet ja rück ständig«. Und sofort wurde wieder Deutsch in den Schulen bevorzugt, und deutsche Bücher finden von Jahr zu Jahr mehr Aufnahme. Es gibt europäische Geister, die gelesen werden müssen, und jede aus Empfindlichkeiten beruhende Abschließung würde in Kunst und Wissenschaft zur Stagnation und zur Afterkunst, die mit dem Massen schlagwort statt mit innerem Gehalt arbeitet, führen. Wollen wir doch unsere Ausgaben als Buchhändler darin sehen, daß wir den kulturellen Wert europäischer Größen objektiv erkennen und zielbewutzt, selbst wenn uns auch ein Irrtum befällt, für den geistigen Blutkreislauf im Verein mit Gelehrten und Künstlern sorgen. Und darum möchte ich zum Schluß ein persönliches Bekenntnis ob legen: Bergson und Maeterlinck sind für die kommende deutsche Kultur unumgänglich notwendig, weil wir den Rationalismus überwinden müssen, Spitteler aber hat uns dichterisch im »Olympischen Frühling« und »Prometheus« das heroische Lebensideal verkörpert, von dem Nietzsche nur geredet hat. Sein Name ist zugleich mit Fichte Schild und Feldgeschrei der kommenden deutschen Jugend. Ich habe dieser vorausgenommenen Kantate-Rede nichts Wesentliches in der Widerlegung der bisherigen Einwände zuzufügen. Mein Aufsatz hat mir nicht nur Entgegnungen im Börsenblatt, sondern auch manche direkt zustimmende Zuschrift auch aus der Schweiz gebracht, und ich denke, cs wird jeden Leser interessieren, was sie dazu denkt. Ich führe darum die Worte des Berner Kollegen Bäschlin i. Fa. G. A. Bäschlin, Sortimentsbuchhandlung, an mich an: »Gestatten Sie mir, Ihnen für Ihren Artikel über Spitteler im Börsenblatt meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Ihre Ausführungen sind wie ein frischer Bergquell und werden jedenfalls in der Schweiz freudig begrüßt werden und außerdem die Sym pathien für Deutschland vielerorts in ein ganz anderes, für Sie wertvolles Licht setzen«. Einer der kulturell führenden Männer der deutschen Schweiz schreibt mir: «Merkt denn Deutschland nicht, wie es sich mit seiner Spitteler-Hetze blamiert?«. Es schreibt das «Berner Tagblatt« in einem längeren Aussatz: »Was Diederichs zur Verteidigung Spittelers ver bringt, hat Hand und Fuß und ist geeignet, die in Deutsch-
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