Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.03.1929
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1929-03-28
- Erscheinungsdatum
- 28.03.1929
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19290328
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-192903280
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19290328
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1929
- Monat1929-03
- Tag1929-03-28
- Monat1929-03
- Jahr1929
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
X- 74, 28, März ISA. Redaktioneller Teil, Börsenblatt f.b.Dtschn. Buchhandel. Staub machten, darum kam die Wendung zum »Nur«-Aktuellen, Wie man früher meinte, daß jedes würdig tuende, der Zeit ab gewandte Werk schon deswegen wertvoll sei, ebenso glaubt nun das Publikum und auch manche Kritik fälschlich, jeder Schrift steller, welcher der Zeit zu dienen vorgibt, sei deswegen bereits wertvoll. Der Dichter, welcher seinem Volke zu Helsen vermag, läßt unsere Zeit als ein Stück der Ewigkeit wie jede Zeit erleben. Unsere Zeit hat alles von sich geworfen, was sie anscheinend hemmt, was tatsächlich oder anscheinend in unsere Not führte. Der Weg des Dichters liegt voll von solchen Trümmern, wcg- geworfen von vor sich selbst Fliehenden, Es ist des Dichters Auf gabe, diese Güter zu sichten und das Wertdauernde den Darben den nachzutragen, welche mit trotzigen Herzen anmaßlich-ver- schüchtert daraus warten. Der Dichter versteht das Publikum, aber er hält dawider, bis die Einkehr gekommen ist: wir warfen zu viel weg, bis wieder erkannt wird, daß wohl Leben Wandlung der Anschauungen, aber niemals Wandlung der Ewigkeit be deutet, Der Dichter muß kosmische Ordnung in der Unordnung der Zeit schaffen. Er kann, er muß angrcifen, aber immer nur, um wieder zu friedlicher Bindung zu führen. Wertlos ist der Dichter, der nicht den Mut zur Trennung aufbringt, weil er kraftlos, feige ist — der Schriftsteller, der nicht trennen kann, um zu binden, der alles gut, schön und edel findet, ohne die schwere Erringung der Einsicht in das kreisende Gleichgewicht der Welten zu zeigen, ohne an dessen erlebtem Segnen Icilnehmen zu lassen, ist wertlos, ist kein Dichter. Ebensowenig wie der, welcher nur aus Zerstörungslust trennt und verdammt, welcher Haß erzeugt aus Haß, ohne daraus Liebe werden zu lassen, der aus Haltlosigkeit anklagt, aus Verzweiflung, aus Unbildung, der nicht das Ver mögen hat, Einigkeit ahnen zu lassen, von allen Herzen, von allen Schichten und Klassen, von allen Herzen und Hirnen mit dem All, der nicht fähig ist, das Erlebnis zu zeugen, daß dem Gerechten auch das größte Verdammnisurtcil den Menschen, den liebenswerten, den bemitleidenswerten Menschen überall zeigt. Es sind mit Recht viele Laue, viele Langweilige, die Würde und Tiefe Vortäuschen, viel Schlaffe, die ohne innere Spannung waren, verschwunden; sie gehen zum Grunde, sie sollen zum Grunde hinab versinken, aber dieser Gewinn wird zu an dauerndem und darum gefährlichem Verluste, wenn wir nicht die Straße von denen reinigen, die sich nun vor jedem Tendcnz- schreiber verneigen, und den Dichter geflissentlich mißachten und übersehen. Der Dichter muß Tendenz haben, Tendenz ist Hal tung, Geist, Müssen, jedes große Werk der Weltlite ratur hat solche edle Tendenz. Der Dichter darf aber nur edle Tendenz haben. Viele Schriftsteller gehen falsch, sie haben so viele Stoffe verschwinden sehen, daß sie vor neuen Inhalten zu stehen ver meinen, vergangene Stoffe für dauernde halten. Der Schrift steller ist voll äußerster Nervcnempfindlichkeit, darum ist das Seelische vieler verwüstet und entartet. Blinde können aber kein verblendetes Publikum führen. Der Inhalt unseres Lebens und Erlebens hatte Bodensatz, schon lange vor dem Kriege; durch Krieg, Umsturz und Inflation wurde er mächtig durcheinandergerüttelt und -geschüttelt und da durch trüb, der Dichter ist dazu da, ihn zu klären. Den Dichter kann die Zeit nie verwirren; denn er ist der Verkünder der kos mischen Gesetzgebung, Darum ist unser Los nur äußerlich schwarz, weil es uns größte Verantwortung auflegt; wir lenken das Schicksal unseres Volkes mit. Das ist großes Vorrecht; wer Vorrecht hat, der hat aber auch größere Verpflichtung als andere. Berechtigt ist das Verlangen des Publikums, dem so lange das Ausland versperrt war oder das es nicht kennt, ausländi sches Milieu durch ausländische Bücher kennen zu lernen, er fahren zu wollen, wie der nichtdcutsche Mensch denkt, leidet und arbeitet. Dieses Verlangen, das den Horizont des Deutschen weiter wölbt, bringt zum Ziele gute ausländische Literatur, die immer bei uns Heimat hatte, hat und haben soll, besser als minderwertiges Auslandszeugl Gegen wertvolle ausländische Dichter aus kurzsichtiger Überheblichkeit und häßlichem Egoismus zu stehen, wäre undeutsch, wir lieben sie, sie sind unsere Kame- 342 raden, aber wieder hat sich berechtigtes Begehren gefahrvoll übersteigert: das Publikum darf nicht wahllos Übersetzungslite ratur cinnchmen. Unser Volk benötigt nicht Geschäftemacher, nicht Poeten, die anmaßlich abseits nur für Grüppchen arbeiten, es will schrei bendes Menschentum, Der Dichter hat nicht um die Gunst von Snobs zu buhlen, nicht Werke mit Goldschnitt und nicht Lesefutter zu produzieren, er hat der Gesamtheit zu dienen, Gehalt allen zu zeigen. Film, Rundfunk, Tonfilm und bald Fernsehen erziehen Massen zur Sehnsucht nach Dichtkunst. Witzelei und untätiges Klagen über die Not, bis wir so weit sind, wohin wir doch immer kommen wollten, geziemen uns nicht. Uns geziemen Glaube und strengste Selbstverantwortlichkett, Dazu ist der Dichter geschickt, gleichgültig ob er alt ist und darum leidet, ob er jung ist und dadurch Not trägt: Wir werden unser verarmtes Volk in gemeinsamer Notzeit nicht ver lassen, Wir dürfen es nicht, wir wollen es nicht, wir können es nicht, denn wir sind Ausdruck, Prägung unseres Volkstums; wir sind dessen Bewahrer. Wir leben und schaffen nach höheren und klareren Befehlen als nach den Wünschen von Neurasthenikern und Ungeistigen. Solange es deutsche Menschen gibt, solange unsere herr liche Sprache über den Erdball klingt, wird unser Volk uns und unsere Bücher, die unseres Volkes Ebenbild sind, nicht los! Und wenn wir noch mehr unter Gleichgültigkeit und Mißver- standcnscin leiden, wir werden desto heftiger um des Volkes Seelen ringen, die wir zu erlösen vermögen, Prof. Anna Siemsen, M. d. R. / Buch und Leser. Ein geistvoller Franzose, als er einmal gefragt wurde, ob er sich wohl auch langweile, antwortete: »Langweilen? Niemals! Dann nehm' ich mir ein gutes Buch, setz' mich ins Fenster und seh' mir die Leute auf der Straße an-. Die Geschichte scheint mir ausgezeichnet die Beziehung zwi schen dem richtigen Leser und seinem Buche wiederzugeben. Es ist die Beziehung der sicheren Vertrautheit, die ja auch zwischen Menschen die krampfhafte, ununterbrochene Unterhaltung über flüssig macht, Freundschaft zwischen Menschen erprobt sich daran, daß man miteinander schweigen kann, Freundschaft mit Büchern, daß man mit ihnen »die Leute auf der Straße besteht-, den Inhalt des Buches in sich mitklingen läßt bei allem, was man erlebt, dann zu ihm zurückkehrt zu wiederholtem Genuß, wiederholter Überlegung, zu Auseinandersetzung, Widerspruch, Verständigung. Ein solches Buch geht in unser Leben ein und wird uns Kamerad, Ratgeber, Vertrauter oder Gegner, mit dem man kämpft und Verträge schließt. Ein solches Buch können wir nicht entleihen und weitergeben. Wir müssen es besitzen, wie es uns besitzt. Und wir werden auch sein äußeres Kleid so schön und dauernd wie möglich gestalten. Wie denn John Ruskin, der rechte Typus eines solchen Lesers, erklärte, ein Buch, das nicht wert sei in bestes Leder gebunden zu werden, sei überhaupt das Lesen nicht wert; und wie das siebzehnte und achtzehnte Jahr hundert, die Zeit der beschaulichen Bücherfreundschaft, zugleich die Zeit der schönsten, geschmackvollsten, zierlichsten und dauer haftesten Bücher ist, eine Wonne für den Liebhaber. Denn diese französische Anekdote vom ruhevollen Buchge- nießer ist eine alte Anekdote. Sie setzt Menschen voraus, die Zeit hatten und Lebcnsraum und gesicherten Besitz, die sich selbst und das Leben betrachtend genießen konnten, und denen das Buch und die kleine oder große Bibliothek wertvollstes Mittel dazu war. Es ist eine alte Anekdote und doch eine Anekdote unserer, der modernen europäischen Zeit, denn das Buch als vervielfachter Träger des Wortes ist ja auch eine moderne Erscheinung, eine Erscheinung, die revolutionierend unsere Zeit mit ge schaffen hat. Bis zum Erscheinen des gedruckten Buches war das Buch Seltenheit, geheiligte Offenbarung und Urkunde wichtiger Dinge oder Luxus ganz kleiner bevorzugter Kreise. Alle Be-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder