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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.03.1929
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- 1929-03-28
- Erscheinungsdatum
- 28.03.1929
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idt? 74, 28. März 192S. Redaktioneller Teil. umspannen, — unübersehbar sind die Spaltungen, ein quirlendes Chaos scheint dem Hexenkessel zu entsteigen, aus dem unser gei stiges Volksschicksal kommt, — und dennoch spüren wir das Ge heimnis eines Webens und dennoch fühlen wir, daß die im grellen Schein des Tages gespalteten Kräfte unserer Natur sich in verborgenen Tiefen, in die unser Auge nicht zu schauen, in die aber das Ohr unseres Glaubens zu horchen vermag, zu einer neuen deutschen Bolkskultur liebend suchen. Drum ist der Ruf nach dem »guten- Buch der Ruf nach Deutschlands guten Geistern. Wer aber sind Deutschlands gute Geister, die im Geiste einander widerstreben? Was dem einen die Zkikunft ist, ist dem anderen das Sterben, — was dem einen ein Wgrund, — ist dem andern Land nach den Stürmen der Seefahrtl Hier stehen wir vor einer Aufgabe, die nur einem Giganten geschlecht lösbar ist. Hier nun geht das Wort »Toleranz- als Forderung einer ehrfürchtigen Haltung des einen vor dem widerstreitenden Glau bensgut des anderen durch unser Volk. Dies Wort -Toleranz» birgt in sich jedoch nicht nur die keusche Scham vor dem Glauben des anderen, — es birgt in sich auch das Leiden an diesem Anders- Sein. Ein solches Leiden an unseren geistigen Parteiungen ist da, — aber cs äußert sich im Anklagen des Andersgläubigen, äußert sich in Poltern und Demagogie und entbehrt zumeist jener Sittlichkeit, aus der allein ein Volk die Form seines Lebens zu erhalten vermag, — jener Sittlichkeit, die bereit ist, die Kritik wie an andere so auch an sich selbst zu legen, entbehrt zumeist der Bereitschaft, die Liebe nicht nur sich, sondern sic auch dem Nächsten zu schenken und so das Geistesleben eines im Geiste zer rissenen Volkes aus den kreischenden Dissonanzen in die Harmonie des Ringens aller um die Findung des allgemeinsamen Heils zu wenden. Das öffentliche Büchereiwescn bedarf dieser Toleranz, die jedem Glauben das Seine gibt und gleichwohl allen im Lcbens- buche Geschiedenen dieses Ringen um die höhere, alle umfassende Einheit als vornehmste Pflicht auferlegt. Wir bestehen vor jenen Buchbeständen, aus denen die Bil dung des Volkes wie aus einem Brunnen fließt. Das Buch als, der Lehrer des Volkes, — des Volkes, sage ich, d. h. des Kindes wie des Greises, des Einfältigen wie des Gelehrten, der Lehrer aller Schularten. Die Buchbestände dieser Art sind in unserem Volke unübersehbar, es sind die Bücher, die gefüllt mit »Kultur gütern» durchweg als »gute Bücher» gelten, aber nur unserer schulpflichtigen Jugend vermögen wir sie durch das Zwangssystem unserer Schule aufzuzwingen, der Erwachsene, mündig Gewor dene entzieht sich ihnen zumeist. Diese gewaltigen »Kulturgüter der uns gemeinsam verbliebenen Lebens- und Geistesgeschichte unseres Volkes liegen bereit, aber cs brennt keine Leidenschaft nach ihnen im Volke. Liegt es am Buche, liegt es am Volke? Hier stehen wir vor der Schicksalsfrage der deutschen Geistes bildung, die zugleich die Schicksalsfrage des deutschen Buches und des deutschen Volkes ist. Liegt es am Buche, — liegt es am Volk? Ist es richtig, daß Kenntnisse, an den Menschen, an Kind wie Erwachsenen hcrangebracht, nur dann zu Erkenntnissen und zu geistigem Leben zu werden vermögen, ist es richtig, daß ein »gutes- Buch nur dann vorliegt, wenn der, für den es be stimmt ist, von sich aus, von seiner naturgesetzten Erkenntnissphäre aus, das Buch als gut erkennen und zu begehren vermag, — man prüfe darnach nur einmal unsere Schul- und Bildungsbücher, — so wird man erkennen, daß ungeheure Massen sowohl wissen schaftlicher wie künstlerischer Literatur diesen einfachsten An forderungen eines Volksbuches nicht entsprechen. Rufen wir heute zum guten Buche und damit zu den guten im Buche gebannten Geistern unseres Volkes auf, so dürfen wir dies nicht, wenn wir nicht bereit sind, unsere Buchbestände und Bildungssysteme auf die Gewissensfragc, ob sie wahrhaft Kultur güter oder nur Scheingüter sind, zu durchforschen und wir müssen heute bereit sein, in Bildungseinrichtungen, Büchereien wie Schulen jene Voraussetzungen zu schaffen, die erforderlich sind, wenn wir das geistige Leben als einen von innen her gesetzten Wachstumsprozeß des Menschen anerkennen und jedes mecha nische Herantragen des Bildungsgutes in Büchern wie in Lehrgängen als eines weisen und reisen Volkes unwürdig ver werfen. Erkennen wir diesen Bildungsgrundsatz aber an, — und wer wagte ihm zu widersprechen, so stehen wir vor der zwangs läufigen Umbildung unserer ganzen Bildungseinrichtungen, — wer wagte folgerichtig nicht nur zu denken, sondern zu sein? Und doch bin ich des Glaubens, daß ein Volk nur dann zu retten ist, wenn es den Mut ausbringt, die Lebensschlußsolgerungen seiner Erkenntnisse zu wagen, unbekümmert darum, daß sich da durch das Antlitz der Erde verändern wird. Verweigert sich heute unser Volk jenem Geist, der in Bil dungseinrichtungen und Büchern ohne Blut- und Schicksalsver bindung mit diesem Volke die Eisenschienen seines »Berechti- gungswesens- in die Massen legt, sollen wir dann immerdar überzeugt bleiben von der Güte unserer gelehrten Systeme und Bücher, — sollten wir nicht auch einmal an die gesunde Witte rung unseres Volkes zu glauben uns anschicken? Schule, Buch und Volk sind schicksalverbunden. Sie gehen miteinander unter oder sie retten einander. Die Schlagworte von einer »Inflation der Bildung- gehen durch unser Volk. Lauter und lauter werden die Rufe, vor allem in jenen Schulen, die zu den Führerstellungen des Volkes emporführen, mit unnachsichtiger Strenge zu sieben. Erfordert das die Volks wohlfahrt, oder ... ist das — Verbrechen? Ist uns in unse ren volksfremden intellektuellen Bildungssystemen ein untrüg liches Sieb gegeben, durch das wir wie der Maurer den Sand so die Kindheit eines Volkes sieben, daß sie Mörtel wird nach der Größe des Korns? Oder ist uns aufgetragen, in unserem Ge wissen Rechenschaft zu geben über das Leben und die Gnaden noch des letzten Kindes unseres Volkes, das uns geschenkt ist? Was zeigt die Krise des Buches an? Den Zusammenbruch einer Kultur? Oder den Aufbruch eines Volkes zu einer neuen Geistigkeit? Dies, nichts anderes ist die Schicksalsfrage, die am Tage des Buches dem deutschen Volke zur Beantwortung vorgelcgt ist, — eine andere Fassung dieser Frage: ist es der Sinn unseres Volkslebens, daß wir Pferdestärken aus den Motoren oder Menschentum aus unseren Menschen holen? Der Wert des Menschenwerks steigt mit dem Wert des Menschen. Hierzu bedürfen wir des Lehrers, des Führers, — die un heimlichste Führung aber bedeuten nun jene Gestalten, die sich stolz Realpolitiker nennen und in deren Mundwinkel der Spott über die größte Realität der Erde: über den Geist sitzt. Deutsch lands geistige Arbeiter gelten ja im eigenen Volke vielfach als unreal. — Es scheint mir Deutschlands Zukunft davon abhängig, ob wir als Volk den Begriff des »Realen-, so wie wir ihn heute verstehen, zu revidieren und über der materialistischen Realität wieder die Realität des Geistes zu erkennen und für die Leitung des Schicksals unseres Volkes aus dieser Erkenntnis die Schluß folgerungen zu ziehen vermögen. In einem Volke, das als Volk geistiges Leben hat, gibt es keine Unterscheidung zwischen geisti gen und ungeistigen Berufen. Auch die Furche, die der Pflug des Bauern zieht, auch die Maschine, an der der Arbeiter steht, ist vom Geiste ausgenommen. — Verachten wir die Realität, die nicht Geist, — verachten wir den Geist, der nicht Realität wäre. Nur das Wesentliche verdient die Hingabe inneren Lebens. Meine sehr verehrten Frauen und Männer. — Um das Buch ist noch ein großes Geheimnis, das ich noch erwähnen muß, — eine Unerbittlichkeit, — das Buch kennt keine Zeit, kennt keinen Raum, — steht das Lied einer Liebe in ihm, so singt dies Lied, unhörbar, was nun auch immer in dem Raum geschehen mag, in dem dies Buch in einem Schrank steht oder auf dem Tische liegt. Das Buch ist von der unveränderlichen Ewigkeit, — wirf es in den Schmutz, — es singt weiter das Lied seiner Liebe, es zeigt die Wunder der Welt und die Schicksale der Menschen, — cs lehrt, hören Millionen ihm zu oder achtet kein Einziger darauf, — 33S
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