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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.03.1929
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- 1929-03-28
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- 28.03.1929
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74, 28, März 1S2S. Redaktioneller Teil, Die Bücher, die ein Volk besitzt, die es liest oder die es ver wirft, die es verstauben und zerflattcrn läßt, bezeugen wie nichts anderes unser ganzes geistiges Sein, unser Sein als Einzel- mcnschen wie als Volk schlichthin. Unsere Bücher sind nichts anderes als das zu Buch geschlagene Volk selbst, — hier steht un trüglich unser Soll und Haben und unsere Geschichte, — hier enthüllen sich die Mächte unseres Schicksals. Worin beruhen diese geheimnisvollen Beziehungen zwischen Mensch und Buch und Buch und Volk? In dem doppelten Geheimnis des Wortes und der Schrift. Denn das.Wort ist der Geist des Menschen schlechthin. Das Wort lockt aus dem erwachenden Kind das erste Lächeln oder schreckt es zu Tode, — das Wort löst die wie Alpträume quälenden Nöte des Schulknaben und fällt wie Balsam in die Wunde eines Verzweifelnden, — das Wort knüpft den Bund der Liebe und setzt die Feindschaft, — so zwischen Mann und Weib, so in den Leibern der Gemeinde, der Städte und Länder, der Stände und des Reichs. Wie die Menschen zueinander reden oder sich stumm den Rücken kehren, so ist ihre Verbundenheit und ihre Abneigung. So kann nichts geschehen zwischen uns Menschen, außer cs geschehe durch das Wort. Was der irdischen Natur die Sonne ist, der Regen, der Frost, der Sturm, daß Wachstum oder die Dürre auf die Erde kommt, so geht das Wort als Sonne, als Fcuerbrand, als er quickender Trunk, als vernichtende Wasserflut im Geschlecht der Menschen um. Diese Kraft kommt dem Wort davon, daß das Wort wir selbst, — daß es unsere Seele und unser Geist ist. Die Schrift aber ist der geheime Weg, durch den wir zu Menschen kommen in Länder und Zeiten, in die unser raum- und zeitgebundencr Leib selbst nicht zu dringen vermag. Darum geschieht durch das Buch die geheimnisvollste Ver mählung, die unter Menschen möglich ist. Der Geist eines Menschen naht sich dem andern Menschen ganz entleibt, nur als Geist, — so dringt ein Mensch in die Einsamkeit des andern bis dorthin, wo wir aus Scheu und Scham weder die leibliche An wesenheit eines zweiten Menschen noch ein lautgcsprochenes Wort zu ertragen vermöchten. Hier fallen die letzten und ge heimnisvollsten Entscheidungen geistigen Schicksals. Wo immer in diesen Stunden letzter scheuester Einsamkeit wir ein Buch in die Hand nehmen, steigt ein zweiter Mensch un sichtbar aus dem Buche und sitzt neben uns und beginnt auf uns einzuredcn, uns Dinge der Welt zu zeigen, an denen wir ent brennen, beginnt auf uns einzuflüstern, uns zu locken, uns zu schrecken, unsere Begierden wie einen unter Asche glimmenden Funken zu Heller Lohe anzufachen, — zeigt uns die Wonnen der Liebe oder drückt dem Mörder die Waffe in die Hand. Wo ein Buch auf der Straße zerflattert, liegt Schicksal bereit und steigt auf und in den ein, der dies Blatt aufhebt und hineinschaut. Und wie Gestalten durch Menschheit und Volk gehen: als Verbrecher wie als Führer zum Licht, so sind die Bücher der Same der Menschcnschicksale, bereit, in jedem Fleisch der Erde, in das sie fallen, Wurzel zu schlagen und vergiftete Frucht zu tragen oder Brot, das nährt. So scheint cs für das geistige Leben eines Volkes von erster Notwendigkeit, Gift und Brot zu scheiden und Schund und Schmutz aus dem Volksleben fortzuräumen. Das Hinwcgräumcn des Absudes des Lebens auch in der Buchwclt ist an sich eine ebenso selbstverständliche wie volks- allgcmeine Angelegenheit. Doch ist cs bei gesetzgeberischen Maß nahmen offenbar geworden, daß über die beratenen und be schlossenen Wege und Mittel, die dies verfolgen sollten, wesen hafte Gegensätze zwischen einem Teil der gesetzgeberischen Mächte und jenen geistigen Kreisen unseres Volkes zu Tage getreten sind, deren Lehrkanzel vornehmlich das Buch ist. Es will mir scheinen, als ob bestimmte Notzustände sich nur in einer Einheitsfront des .Volkes beheben ließen. Gelingt die Bildung einer solchen Ein heitsfront nicht, so bezeugt das vielleicht die Unzulänglichkeit der Mittel und Wege, die angeregt und bezeugt werden, daß diese 338 Mittel und Wege vielleicht zu sehr in einer gefühlsmäßigen über kommenen Geisteshaltung übernommen und zu wenig aus einer heutigen Überprüfung unserer gegenwärtigen Geisteslage und unserer gegenwärtigen Volk-Geistesverfassung geschöpft werden. Solche kulturellen Schicksalsfragen lassen sich dann nie und nimmermehr durch eine parlamentarische Abstimmung, sondern nur durch das ernsthafteste Eingehen des einen Bolksteils auf die Bedenken und Sorgen des andern, des widerstrebenden Volks» teilcs lösen. Aber kein Volk vermag geistig schon davon zu gesunden, daß lediglich der Absud des Lebens fortgeschafft wird. Brot wächst erst auf Feldern, wenn die Felder zur Saat des Kornes bestellt werden. Und nun bitte ich Sie, mit mir um 30 bis 40 Jahre rück wärts zu wandern in dis Abgeschiedenheit eines bäuerlichen Dorfs, wie wir deren heute keine mehr besitzen, — sie sind als letzte Rcstbestände einer ehedem einheitlichen deutschen Volks kultur inzwischen wie Bäume eines schlagreifen alten Waldes vom Beil der Zeit gefällt worden. Jenes bäuerliche Volk besaß nur drei Bücher, — die Bibel, das Buch seiner gottesdienstlichen Lieder und den Kalender, aus dem es die Läufe der Zeiten, Schrcckensgcschichten und Schnurren las, In den hinein es die Geschichte seiner Arbeit, Geburis- und Sterbetage seiner Angehörigen und die Lebensdaten seines Viehes schrieb. Aber diese wenigen Bücher waren diesem bäuerlichen Volk Bücher des Lebens. Aus ihnen empfingen sie die Wissenschaft ihres geistigen und irdischen Seins und darum waren ihnen die Bücher, die drei, die sic besaßen, alle irgendwie heilig, selbst der Kalender, wenn sie auch nur jenes eine Buch mit dem Namen Buch der Bücher und »Heilige Schrift- ausdrücklich benannten. Diese geistig geschlossene GlaubcnSeinheit, die einmal unser ganzes Volk umgriff, wurde zurückgedrängt in Einzclglicder des Volkes. — Neben der Bibel, dem Buch der Bücher, als »Wort Gottes- nur noch von einem Teil unseres Volkes bezeugt, — erwuchs im Ja- und Nein-Sagen zu diesem Buch die Saat und Geschichte der Jahrhunderte, der zweitausend Jahre. — Bücher über Bücher flammten auf und rissen Glieder los vom einen Volk und bildeten neue Gemeinschaften ungeheuer an- schwcllcnd, so wurden andere »heilige» Bücher, — und folgen Sic mir in die Kammer eines heutigen »standes bewußten- Proletariers, — auch dort finden Sie »Heilige- Bücher, an Stelle des fortgeräumten Buches der Offenbarung stehen die Kampfschriften menschlich sozialer Programme — vielgestaltig, unübersehbar wurden die »heiligen- sich wider sprechenden Bücher des einen Volks, in immer wieder neuen Lösungen gewesener Gemeinschaften und immer wieder neuen Schürzungen neuer Gemeinschaften vollzieht sich das Geheimnis inneren Werdens durch das in Schrift gebannte menschliche Wort. So hat ein Volk nur wahrhaft Kultur, wenn cs heilige Bü cher hat und heilige Bücher von verderblichen scheidet, — Volk hat nie ein Verhältnis zur Literatur, -— sondern nur zum Wort, zum Leben zeugenden oder Tod setzenden Wort. Und so scheidet das Volk scharf die Bücher, die Erde, die Luft und Wasser, die Feuer sind von denen, die bedrucktes Papier sind. Haben wir aber als Deutsche »heilige Bücher»? Wohl haben Teilglieder des einen Volkes, Weltanschauungs glieder, Standeskörperschaften nach unserem weltanschaulichen oder sozialständischcn Zerfall Bücher des Lebens, — aber der »deutsche Geist», — einst einheitliche Gestalt, ist heute zerfallen in unzählbare sich widersprechende, miteinander hadernde Gestalten, — zwischen Wagner und Faust, einmal als Wagner sich klischeehaft vervielfältigend, einmal als faustische Natur mit allen Dämonen sich vermählend. So taumeln wir als Volk aus einem Gestern, das nicht mehr ist in ein Morgen, das noch nicht ist: Aus dieser Tatsache unseres Seins, aus diesem Sein unserer heutigen Wunde heraus ver mögen wir keine Bücher zu besitzen, die unsere Gesamtvolkheit
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