Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.01.1915
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1915-01-13
- Erscheinungsdatum
- 13.01.1915
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19150113
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-191501130
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19150113
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1915
- Monat1915-01
- Tag1915-01-13
- Monat1915-01
- Jahr1915
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
^ 9, 13. Januar 1915. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. des Philistertums, der unfruchtbaren Menge bedeuten. Philister aber taufen keine Bücher, die eigenes Denken beanspruchen. Ich könnte zur Frage, wie wir Buchhändler uns zu den Franzosen Bergson, Anatole France, Romain Rolland, zu dem Belgier Maeterlinck, zu den Engländern Shaw, Wells, Webb, zu den Schweizern Dalcroze, Hodlcr und Spitteler verhalten sollen, nichts Besserer sagen, als was Ricarda Huch kürzlich in den Süddeutschen Monatsheften geschrieben hat und was ich hier nochmals wiederhole: «Das Kunstwerk wird von einem einzelnen hervorgebracht, aber wie dieser einzelne von der Vergangenheit aller Völker beeinflußt wurde, so gehört sein Werk auch der ganzen Menschheit. Man spricht von Heimatkunst, Volkskunst, sogar von Frauenkunst: aber cs gibt doch nur eine Kunst, und nicht seine Herkunft, nur seine Qualität kann ein Werk aus ihrem Bezirk ausschließen. Mögen gegnerische oder neutrale Künstler uns hassen oder beleidigen, ihre Werke haben uns nichts zuleide getan, und wer sie liebt, sollte das Recht haben, sie weiter zu lieben, wer sie besitzt, sich ihrer zu freuen.« Hinzusetzen möchte ich nur: Nationale überempfindlichkeit und starkes, nationales Gefühl sind nicht ein und dasselbe, sie stehen zueinander wie Frauenempfinden und Manneshandeln. Wer uns tadelt, dem wollen wir als Männer Taten gegen übersetzen, die sein Urteil als falsch erweisen. Ich meine, daß wir uns mehr, als bisher geschah, klar machen müssen, daß jedes Volk in einer gewissen Kriegs suggestion lebt, auch wir Deutschen. Beim Ausbruch des Krieges befand ich mich in Norwegen, ich habe eine Woche lang unter dem Eindruck der Sensationsdepeschen der uns keineswegs feindlichen Presse gestanden; meine Reisegefährten waren Moskauer Russen. Aber obwohl wir uns freundschaft lich standen, überzeugen konnte ich sie von unserer deutschen Auffassung nicht. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich in ihr Denken einzufühlen und sie zu verstehen. Trotz dem freuten sie sich herzlich, als das Sensationstelegramm ankam: »Die Deutschen sind in Finnland gelandet und rücken gegen Petersburg«. Ja, die Deutschen sind Kerle, sagten sie bewundernd. Wie anders als durch die Brille norwegischer Zeitungen sah es in Deutschland aus, als ich es wieder be trat und die ersten deutschen Blätter in die Hände bekam! Ja, tatkräftige Kerle wollen wir sein, selbstbewußt und sicher in der Ablehnung englischer Brutalitäten in Konzen trationslagern gegenüber wehrlosen Frauen und Kindern, auf jede Arroganz eine Ohrfeige, aber auf gute Zensuren aus ländischer Schriftsteller zu warten und mit ihnen darum zu hadern, entspricht nicht unserer Würde. Wer im Ausland reisende Deutsche mit ihrem lauten Wesen beobachtet, weiß, wir haben eine sehr üble Parbenuschicht, die uns den Namen »Barbaren« einträgt. Wir Deutschen haben unsere Fehler genau wie andere Völker, und es ist unsere Aufgabe: sie nicht weiß anzumalen, sondern unsere guten Eigenschaften stärker zu entwickeln. Wir müssen es verstehen und vertragen, wenn der Angehörige eines Volkes, mit dem wir Krieg führen, uns aus seinen verletzten Gefühlen heraus beurteilt, ein Unter liegender ist niemals gerecht, d. h. objektiv. Nichts ist schlimmer als schulmeisterlich den andern in Gefühlssachen logisch überzeugen zu wollen. Da schreibt z. B. Osthaus in der Franksurler Zeitung einen offenen Brief an Maeterlinck, um ihm nachzuweisen, daß er Vläme sei und daher deutschem Wesen nahestände. Ich habe mit Maeterlinck früher selbst einmal über sein vlämisches Blut gesprochen, und er sagte mir, daß in seine Familie seit Jahrhunderten kein Tropfen französisches oder wallonisches Blut gekommen sei. Wozu also Maeterlinck etwas beweisen, was er selbst weiß? Ich kann aus der künstlerischen Psyche des schwerblütigen Vlämen leicht verstehen, wie er französische Leichtig keit zur Ergänzung und Befruchtung seines Wesens braucht. Ich verstehe auch, daß er die stillen, verträumten Städte Flanderns, seine Heimat mit ganzer Seele liebt und, da er unter ihrer Zerstörung seelische Qualen leidet, uns deshalb »Barbaren« schilt. Wer will die Worte und Empfindungen, die sich in diesem Ausdruck verdichten, mit der Elle messen? Ich wiederhole nochmals: Das, was unser nationaler Stolz erfordert, ist würdige Zurückhaltung während des Krieges, aber keine Ächtung. Es ist tiestraurig und bezeichnend für die Werlhöhe unserer Kultur, daß sofort der deutsche Philister in den ernsthaftesten Zeitschriften und Zeitungen auflaucht: »Seht, wie ihr ihn überschätzt habt!« »Hobler war eine Mode«, »Bergson ein nicht ernst zu nehmender Schwätzer«, »Maeter linck ein überschätzter Schwächling«, »Spitwler wurde durch den Kunstwart über Gebühr emporgehoben«. Und noch trau riger ist, daß niemand von den Deutschen, die Gott fürchten und sonst nichts auf der Welt, wagt, diesen kleinlichen Aus- sassungen entgegenzutreten. Ob wir Wohl schon im Cha rakter reis genug sind, das Erbe der englischen Weltherrschaft anzutreten? Nun noch ein Wort zu Spitteler, den ich durchaus nicht deswegen weißwaschen will, weil er mein Autor ist. Auch mir war sein Vortrag eine schmerzliche Enttäuschung, denn wir haben uns noch viel zu wenig klar gemacht, daß die Schweizer trotz aller Stammesvcrwandtschafl keine Deutschen sind. Wir erleben es ja jetzt mit Verwunderung in Öster reich, daß Slawen gegen Slawen kämpfen, weil die politische Zusammengehörigkeit stärker ist als jedes Nassegesühl. Welcher von denen, die über Spitteler schimpfen und selbst offene Briefe an ihn schreiben (vgl. H. A. Krüger in der Tägl. Rundschau), hat mehr als aus dem Zusammenhang gerissene Auszüge gelesen? Der am 14. Dezember in Zürich gehaltene Vortrag Spittclers lautete: Unser Schweizer Standpunkt. Seine ausgesprochene Tendenz war, innerpolitisch zu wirken, um ein Auseinanderfallen der Schweiz in eine französische und deutsche Partei zu verhüten. Man kann in einem Vor trag nicht alles sagen, sondern mutz einseitig sein, wenn man «wirken« will. Spitteler sagt selbst am Eingang seines Vor trags: »In Frankreich habe ich kein Verständnis gefunden, ich habe dort weniger Freunde als Finger an der Hand. Aber in Deutschland blüht mir Sympathie und Zustimmung wie ein Frühling entgegen, unabsehbar, unerschöpflich. Aus den entferntesten Gauen erwachsen mir Freunde, zu Hunderten, zu Tausenden. Erscheine ich zur Seltenheit dort persönlich, so treffe ich auf gutartige, liebenswürdige, wohlwollende, zuvorkommende Menschen, deren Gefühls- und Ausdrucksweise ich unmittelbar verstehe. Scheide ich von ihnen, so nehme ich schöne Erinnerungen mit heim und hinterlasse meinen warmen Dank. Nun also, ja, inwiefern ,nun alsw? Soll ich meine politische Überzeugung meinen privaten, persönlichen Freundschaftsbeziehungen nachwerfen? Aus individuellen Beweggründen einer fremden Fahne, dem Symbol einer fremden Politik, mit offenen Armen jubelnd entgegenfliegen?« Also Spitteler redete als Schweizer zu Schweizern; hätte er als Deutscher zu Deutschen geredet, so würde er andere Saiten berührt haben. Sein Vortrag ist also eine innere schweizerische Angelegenheit. Ja, er warnt noch weiterhin in seinem Vortrag vor dem »gefährlichen Gezische! der Ver suchung, die uns im Namen der Freundschaft und des Dankes verführen möchte, etwas zu tun, was selbst die beste Freund schaft und der wärmste Dank zu tun weder verpflichtet noch erlaubt: auf unsere Begriffe von wahr und unwahr zu ver zichten, jemand zuliebe unsere Überzeugungen von Recht und Unrecht zu fälschen. Der Parteinahme winkt unmäßiger Lohn, der Unparteilichkeit drohen vernichtende Strafen. Mit elenden sechs Zeilen unbedingter Parteinahme kann sich heute jeder, der da mag, in Deutschland Ruhm, Ehre, Beliebtheit und andere schmackhafte Lecker bissen mühelos holen. Mit einer einzigen Zeile kann einer seinen guten Ruf, sein Ansehen verwirken. Es braucht nicht einmal eine unbesonnene und versehentliche Zeile zu sein. Ein mannhafter, wahrhafter Ausspruch tut denselben Dienst. Wir müssen uns eben die Tatsache vor Augen halten, daß im Grunde kein Angehöriger einer kriegführenden Nation eine neutrale Gesinnung als berechtigt empfindet». Geben wir die Berechtigung eines eigenen Schweizer Standpunktes zu, so befremdet uns das kühle Spittelersche Verhalten gegenüber unseren nationalen Gefühlen in diesem 43
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder