1032 X- S6, 7. März 1935. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d.Dtschn. Buchhandel. Von der Retchsschristtumsftellc in die „Bücher des Monats" ausgenommen ohne die Absicht, Literatur sein zu wollen — aber deshalb wirkliche Literatur „ohne die Absicht der Gleichschaltung" ein schonungsloser Tatsachenroman: m ir»» < Kartoniert RM. 2.8;. Leinen RM. z.8o Texrprobc: Er folgte Helene seit dem Potsdamer Platz. Sie war brünett «nd von der ein klein wenig fülligen Art, wie er sie gern hatte. Sicher eine kleine Handwerkerfrau. Die Absätze ihrer niedlichen Schuhe waren zwar schon ein wenig abgelaufen, aber alles andere war noch ganz tipptopp. Und wie naiv diese kleinen Frauen waren ... Alexander Wurm grinste und rückte seine schwarze Melone unternehmungslustig etwas seitlicher. Wenn man sie höflich fragte, ob man mikgehen durfte, zeigten sie einem entrüstet die kalte Schulter, sprach man mit ihnen über die kleinen Sorgen ihres Lebens, fühlten sie sich verstanden und liefen selber mit. An der Ecke Charlottenstraße wußte er, daß tzelenens Man» Schlosser war und stempeln ging. An der Markgrafenstraße be handelten sie Mieterrechtsfragen, und Helene erfuhr mit heftigem Erschrecken, daß ein Exmissionsrecht bestand, wenn man eine Monatsmiete rückständig war. „Aber mein Mann sagte doch .. „Ihr Gatte irrt sich leider, Frau ..." - ein kleines Lächeln - „Schulze? Müller?" „Schumann", ergänzte Helene. „Also, Ihr Gatte irrt, Frau Schumann." Alexander sagte jetzt möglichst oft: Frau Schumann. Das klang bekannt, vertraut und erinnerte nicht mehr an die zehn Minuten, die er sie kannte. Am Spittelmarkt hatte er alles erfahren, was ihm wünschenswert schien. An der Ecke blieben sie stehen und Alexan der machte ihr das menschenfreundliche Angebot, die Miete zu re geln, als anständiger Mensch natürlich. „Ich darf das nicht annehmen", lehnte Helene sein großmütiges Angebot ab. „Mein Mann ist schon jetzt grundlos eifersüchtig." Wennschon, dachte Alexander gleichmütig. Nu soll er bald nen reellen Grund kriegen. „Vertrauen gegen Vertrauen, Frau Schumann", beklagte er sich. „Seh ich aus wie ein anständiger Mensch? Will ich was von Ihnen? Ich wohn in einer Pension. Zwanzig Menschen wohnen da - vielleicht dreißig. Schön - was weiß ich. Was kann passieren?" Alexander lächelte knabenhaft bescheiden. „Schlimmstenfalls trin ken Sie einen Mokka und unterschreiben dabei eine Quittung. Die dreißig Mark zahlen Sie zurück, wie Sie können und wollen. Ist das ein Angebot oder nicht. Sagen Sie selber." „Ich darf doch nicht." „Sie dürfen nicht... Was reden Sie. Ihr Wirt wird weniger einsichtsvoll sein. Ich Hab Ihnen doch schon erklärt, daß ich in zwei Stunden nach Schlesien fahren muß. Kennen Sie Schlesien?" „Nein . >. ich ... mein Mann ..." Alexander zuckte ratlos die Achseln. „Tja, da ist Ihnen wirklich nicht zu helfen, liebe Frau Schu mann. Mein Wort, hätt' ich das Geld bei mir, hier auf der Stelle pumpte ich Ihnen den Zaster." „Aber weshalb wollen Sie mir denn helfen?" fragte Helene gequält und von widerspruchsvollen Empfindungen bewegt. „Ich bin Ihnen doch fremd und unbekannt." „Weshalb ..." Alexander schaute bekümmert und schwermütig drein. „Sorgen quälen Sie", sagte er bitter, „und Sie ähneln meiner verstorbenen" - nee, Jugendliebe ging nich -, „meiner ver storbenen Schwester. Vielleicht ist es darum", schloß er, in trübes Sinnen an seine ungeborene Schwester versunken.