Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.07.1886
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 07.07.1886
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18860707
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-188607072
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18860707
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1886
- Monat1886-07
- Tag1886-07-07
- Monat1886-07
- Jahr1886
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
3620 Nichtamtlicher Teil. .V 154, 7. Juli 1886. mülde der Leiden und Drangsale entrollt wurde, die Stadt und Land hatte erdulden müssen. Es wurde nun gegen Müller ein Preßprozeß anhängig gemacht, welcher damit endigte, daß nicht allein sämtliche vorhandenen Exemplare der Broschüre weggenom men und in Gegenwart des gesamten Stadtgerichts, des Angebers und des Angeklagten zerrissen und mit Füßen getreten, sondern Müller, der selbst der Verfasser war, auch in eine Geldstrafe von 120 Thalern oder zu sechsmonatlicher Gefängnisstrafe verurteilt und dieses Urteil auf dessen Kosten öffentlich bekannt gemacht wurde. Die Entscheidung des Prozesses hatte über drei Jahre in Anspruch genommen. Als Müller angeklagt worden war, hatte er in den Zeitungen öffentlich eine »Rechtsfrage« aufgeworfen*), die folgen den Wortlaut hatte: »In der hier erschienene» Flugschrift: »Erfurt unter französischer Oberherrschaft vom 16. Okt. 1806 bis den 6. Januar 1814. Ein actenmäßiges Gemälde der Leiden, Erpressungen, Mißhandlungen und Betrügereyeu, die diese Provinz während den sieben Jahren er duldete. 8. brosch. 20 gr.« ist unter andern auch der vormahlige Intendant civ Visiuss angegriffen. Ein hiesiger Advocat hat hierauf, wie er sagt in Vollmacht des Angegriffenen, eine Klage gegen Unter zeichneten als Verleger der an. Flugschrift bey hiesigem Stadtgericht angebracht und aus fiscalische Untersuchung angetragen, welche das Stadtgericht sofort verfügte. Ich muß nun bemerken, daß 1) die Flugschrift in einer Zeit gedruckt und erschienen ist, in welcher wir mit den Franzosen und also auch mit dem Intendanten, der sich da- mahls noch aus hiesiger Festung blokirt besand, in voller Feindselig keit lebten. 2) Hat sich genannter Intendant mehr denn irgend einer an der Person Sr.Maj. des Königs vergangen, indem er eine Menge Exemplare des Moniteurs, in welchem die Person Sr. Maj. des Königs des Thrones verlustig, und alle Preußen für Vogelfrey erklärt werden, von Paris kommen ließ und selbige hier verbreitete. Ein Mensch, der sich zu nichts anderem bemühte, als der armen Provinz Erfurt den letzten Blutstropfen auszusaugen, kann einem solchen Menschen eine fiscalische Untersuchung gegen den Verleger eines Buches, welches nur wenige, von dein Intendanten verübte Thaisache» auszählt, gestattet werden? Ist man dessen Person und Würde eine Achtung, wie sic sein Machthaber in der eingercichten Klage sür seinen Machtgeber verlangt, zu geben schuldig? An das gesamte deutsche Publicum, vorzüglich aber an alle Rechtsgclehrte und politische Schriftsteller ergeht daher meine ergebenste und dringendste Bitte um Entscheidung der Frage: Ob ein Gericht eine Klage der Art von dem gemeinsamen Feinde des Vaterlandes anzunehmen oder abzu weisen hat, und in wiesern es dem Vertheidiger eines solchen zur Ehre öder Schande gereicht? Es ist mit Reiht zu erwarten, daß, wenn diese Klage Richter findet, Oavoust, Vanläuuuus und andere französische Generale u. s. w. ehestens auch gegen Schriftsteller, die ihrer gedachten, auf fiscalische Untersuchung antragen werden. Erfurt, im August 1814. Der Buchhändler Müller.« Wie schon oben gesagt wurde, ist Müller ohne weitere Rück sicht auf vorstehenden Appell an das deutsche Volk, drei Jahre später verurteilt worden. Die Entscheidung des Prozesses wurde öffentlich bekannt gemacht. Dieselbe lautete in ihren Hauptmomenten wie folgt: »Unter dem Titel: Erfurt unter französischer Oberherrschaft rc. erschien im Verlage des hiesigen Buchhändler Müller im Jahre 1814 eine Schrift ohne Bennung des Verfassers, Verlegers und Druckorts. Voll offenbarer Schmähungen gegen einzelne Personen und ganze Behörden, enthält solche auch gegen den ehemaligen französischen Intendanten Mr. Devismes ». s. w. die ehrenrührigsten Beschul digungen und Beleidigungen. Gleich nach der Verbreitung dieses Pasquilles nahm das hiesige Kgl. Stadtgericht bey dem Verleger die noch vorfindlichen Exemplare in Beschlag, u. das Kgl. Preuß. Militär- u. Civil-Gouvernement zu Halberstadt verbot durch eine Verfügung dem genannten Müller allen weiteren Verkauf dieser Schmähschrift. Da indessen jener beleidigte Staatsdiener (vio!) die ihm öffentlich zugefügte Ehrenvcrletzuugen nicht unbestraft hingehen lassen konnte, so habe ich, in Vollmacht desselben, wider den oberwähnten Ver leger Müller vor dessen Justizbehörde, dem Kgl. Stadtgericht hier, auf Eröffnung der fiscalische» Untersuchung und Bestrafung an getragen; diesem gesetzlich begründeten Anträge wurde startgegeben, *) S. Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Gotha 1814. Nr, 167, vom 26. August. S. 2114. und wider den Müller die gerichtliche Untersuchung eingeleitet. Im Verlaus derselben gab er sich als Verfasser und Herausgeber dieser Schmähschrift an. Der zwepte Senat des Kgl. Preuß. Oberlandes- gerichrs hob zwar die in erster Instanz erkannte Privatgenugthunng amtlich auf u. s. w., erklärte aber die fragliche Druckschrift für ein Pasquill und entschied rechtskräftig dahin: daß der genannte Buch händler Müller ein sechsmonatlich Gesängniß, oder nach seiner Wahl eine Geldstrafe von 120 Thalern verwirkt habe, auch die Schrift Erfurt u. s. w. vor dem versammelten Stadtgericht zu Erfurt, in Gegenwart des Denunzianten und dreyer von dem Denunzianten zu wählenden Zeugen, durch den Gerichtsdiener zu zerreißen und mit Füßen zu treten sei u. s. w. Zufolge des obenerwähnten rcckits- krästigen Erkenntnisses verfehle ich nicht, als Bevollmächtigter des Beleidigten, den Inhalt desselben und dessen geschehene Vollstreckung auf Kosten des Urhebers dieses Pasquills hierdurch zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Erfurt, den 29. Dezbr 1817. O. Bischofs. Kgl. Hoffiscal u. Justiz-Kommissär.« Dieses Urteil erregte damals ungemeines Aufsehen, und dem Verfasser wurde wegen der erlittenen Strafe für eine ans glühendem Patriotismus entsprungene Handlung allgemeine Teilnahme gezollt. Dieser Fall, in dem das vaterländische Gericht den Verfasser und Verleger einer gegen das französische Joch gerichteten Schrift nach der Befreiung Deutschlands aus Frankreichs Händen verurteilte, dürfte wohl in der Geschichte sehr vereinzelt dastehen. Bis hierher konnte an dieser Stelle die Büchercensur und die durch dieselbe bedungenen Preßverhältnisse Erfurts in Betracht gezogen werden, da aus späterer Zeit bemerkenswerte Vorfälle in dieser Hinsicht nicht zu verzeichnen sind. Censur und Preßpolizei standen zwar um die Mitte der vierziger Jahre wie in ganz Deutschland auch in Erfurt wieder in schönster Blüte; doch verfuhr man damals im allgemeinen milder als in der früheren Zeit, und das von Friedrich Wilhelm kV. eingesetzte Obereensurgericht erließ sogar mehrere wirklich freisinnige Erkenntnisse, deren Milde aller dings nicht übermäßig lange vorhielt.*) Die Schriften über zwanzig Bogen stark waren gänzlich von der Censur befreit; aber über den selben schwebte um so drohender das Damoklesschwert der Beschlag nahme durch die Polizei, wogegen es keinen geordneten richterlichen Schutz gab.**) Man kann sich heute keine Vorstellung machen von der geistigen Knechtung, die durch das Censurinstitnt besiegelt war; es ist deshalb insbesondere die Schilderung der Censur- und Preß- verhältniffe in den einzelnen Städten, welche dem gegenwärtigen Geschlecht zeigt, was die im Jahre 1848 gewonnene Errungenschaft der Abschaffung jeglicher Censur iu geistiger Beziehung bedeutet. Erst nachdem man aus der Dämmerung, welche die Censur bis dahin über unsre Zustände ausgegossen halte, hinausgetreten war, konnte die deutsche Nation eine offene, gerade und männliche Poli tische Litteratur Hervorbringen und dadurch unser Rechts- und Nationalgcfühl erheblich stärken. Welchen Schatz wir in der endlich nach so schwerer Zeit errungenen Preßfreiheit gewonnen haben, das zeigt uns die kräftige Entwickelung der deutschen Litteratur und die Ausdehnung des deutschen Buchhandels in den letzten Jahrzehnten. Vermischtes. Vom Post- und Telegraphenwesen. — Das am 2. Juli zur Ausgabe gelangte amtliche »Post-Blatt« 1886 Nr. 3 bringt Mitteilungen über die von uns bereits bekannt gegebenen Ände rungen des Telegraphentarifs und eine an dieser Stelle gleichfalls schon früher erwähnte Ermahnung an alle Bewohner der größeren *) Vgl. K. Biedermann, Mein Leben u. ein Stück Zeitgeschichte Breslau 1885. Bd. 1. **) S. F. I. Fromman», Preßfreiheit u. Censur neben einander im Deutschen Staatsarchiv. 1841, II. S. 289. folg.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder