Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.08.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1934-08-04
- Erscheinungsdatum
- 04.08.1934
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19340804
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-193408044
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19340804
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1934
- Monat1934-08
- Tag1934-08-04
- Monat1934-08
- Jahr1934
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
M 180, 4. August 1834. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Tlschn Buchhandel. Knut Hamsun. Bon Jo Han Luzia n. »Ich habe vielleicht dann und wann mehr leisten wollen, als ich konnte, — aber ich habe nie weniger geleistet. So hebt es sich aus«. Knut Hamsun 1S21. In einer kleinen westfälischen Stadt lernte ich einmal einen jungen Menschen, einen Buchhaudlungsgehilscn, kennen. Er zeigte mir eine Photographie aus seiner Wohnung daheim, die einen blumengeschmücktcn Tisch mit vielen schön gruppierten Büchern darstclltc, und an die Blumenvase gelehnt war das Bild von Knut Hamsun zu sehen, das von 1927 mit dem Jägerhut und dem aristokratischen Ausdruck, das wohl jeder kennt. Hamsun war damals 70 Jahre alt geworden, und hier feierte ein junger, ein facher Mensch auf eine ganz besonders schöne Weise den Geburts tag des von ihm wie ein Abgott geliebten Dichters. Der junge Mensch besaß nicht nur sämtliche Werke Hamsuns in der schönen grünen Langen-Ausgabc mit dein Einband von Ticmauu, dazu die Biographien von Bcrendsohn, Landquist, Markus, er hatte sich auch von seinem kleinen Gehalt die norwegische Ausgabe und die Biographie von Skavlan gekauft. Aber noch mehr: er hatte voll kommen Norwegisch gelernt, uni Hamsun in seiner Ursprache lesen und um dem Dichter einen Brief schreiben zu können. Und Ham sun hatte ihm in freundlicher Weise geantwortet und ihn damit glücklich gemacht. Er zeigte mir die fcingcstochcncn schönen Schrift- zllgc des Dichters, über die mein Blick mit besonderer Andacht glitt. In einer schwäbischen Stadt war es ein Schulrektor, in Norddeutschland ein Professor, ein Fabrikarbeiter, in Westdeutsch land ein Kaufmann, denen Hamsun auf ähnliche Weise zum schöp ferischen Erlebnis geworden war, sic lasen immer wieder Hamsun, sie waren fanatisch und ungerecht gegen alles andere, sie witterten in jedem anderen Schriftsteller Einflüsse von Hamsun, es gab für sie in der Dichtung nur den einen, einzigen. Ist es nicht das größte Wunder, daß ein Dichter, der nichts anderes als sein schöpferisches Leben bot, auf solche Weise, lediglich auf geistige Weise, Menschen überreich zu beschenken und aus ihnen, die sich gar nicht kennen, eine Gemeinschaft zu formen vermag? Denn wer Hamsun einmal liebt, kommt nicht wieder von ihm los! Er beginnt, das Leben mit Hamsunschcn Augen zu sehen, und diese Augen sehen bis aus den Grund. Albert Engström schrieb an Hamsun einmal folgenden Gruß: »Ich danke Dir für zwanzig jährige Freundschaft und für jenes Aufleuchten in Dei nem linken Auge! ...« Diesem Aufleuchten in seinem lin ken Auge, diesem Wissen um die Hintergründe, diesem Blick aus Ironie und Verzeihen gemischt, wer könnte sich ihm'entziehen? Wer Hamsun ganz verstehen will, der muß erfaßt sein von einer schöpferischen Unruhe, der darf sich nicht mit dieser oder jener praktischen Lebensweisheit zufrieden geben, sondern der mutz spüre», daß der Teufel niemals mehr um die Seelen der Menschen gerungen hat als in dem Europa der letzten fünfzig Jahre. Der Teufel: das ist nicht jener Herr, den die Kirche angestellt hat, das ist auch nicht das Fluidum des Fortschritts, oder der Goethesche Geist, der stets verneint und der das Böse will und das Gute schafft, nein, der ist ein unprogrammatischer Widersacher eigener Art. Er wird mit jedem Menschen geboren, und gehört als Nega tion zu allem Positiven, er tritt als Alter, Charakterschwäche, Lüge, Leidenschaft der Liebe, des Ehrgeizes, der Eitelkeit auf, kurz er ist das Unvollkommene im Menschen und am Menschen, ist die Impotenz des Mannes, die übergroße Gesundheit der Frau, ist das Unkraut und die allzu üppige Blüte. Aber nichts ist für Hamsun andererseits verächtlicher als Mittelmäßigkeit, »Mischrasse« nennt er es bei Gordon Tidcmand in »Nach Jahr und Tag« ... »ohne starkes Gepräge, ohne Vollblütigkeit, nur eine Mischung, unecht, von alleni ein bißchen, ganz tüchtig im Lernen, aber zu nichts Großem fähig«. Und da alle Normen der Moral oder der gesell schaftlichen Dogmen »Mischung« sind, so ist Hamsun weder ein Moralist noch ein Dogmatiker, ganz im Gegenteil: wie liebevoll ist »August Weltumsegler» gezeichnet, wie liebevoll Inger im »Segen der Erde« oder der Held in »Hunger«. Und wer da glaubt, Hamsun hätte, weil er »Segen der Erde« schrieb, nichts anderes 698 verkündet als die Rückkehr zum Land, der irrt. Irgendjemand hat einmal gesagt, Hamsun sei das Gewissen der Zeit. Dieses Urteil kommt ihm am nächsten, ja, er ist für diejenigen Menschen, die von der schöpferischen Unruhe besessen sind, das Gewissen, der Ausruf zum Gewissen, der Erreger jener schlimmen Krankheit, die man Gewissen nennen kann. Aber da »die Zeit« niemals ein Gewissen hat, und da die Masse ein ebenso unangreifbares Abstraktum ist wie »die Zeit«, so wirkt Hamsun immer nur auf einzelne. Wie er Individualist ist, so wirkt er auf solche Menschen, die ihr ein geborenes Ich auslcbeu, die nicht mit zusainmengeschustertcn Lc- bcnslehren auf die Menschheit losgehen, sondern die unruhig am Wege stehen und denen das Herz schwer wird, wenn sie Not sehen. Vom Dichter hat Hamsun einmal gesagt, er sei »ein wurzelloser Mann, ein Landstreicher ohne Paß«. Und dem alten Lehnsmann Geißler in »Segen der Erde« hat er die einzige Erinnerung an seine früheste Kindheit im Grudbrandstal in den Mund gelegt: »Ich weiß noch von der Zeit, da ich anderthalb Jahre war: ich stand auf der Scheunenbrücke des Hofes Garmo in Lom und empfand einen bestimmten Geruch. Ich empfinde diesen Geruch noch . . .« Und das ist es wohl auch, was man bei Hamsun spüren wird: das alles aus einer starken, reinen Quelle strömt, daß er einem bestimmten Geruch in der Welt nachspürt, nennen wir ihn Unschuld, Glaube, natürliche Sittlichkeit, deren Gesetze nicht ausgeschrieben zu werden brauchen, die jeder sittliche Mensch von selber kennt. Wer der Dichter ist trotzdem ein wurzel loser Mann, wenn er auch den Geruch seiner Heimat immer mir sich trägt, wenn er auch ein Dach über dem Kopf, ein Haus, Kin der, einen ganzen Herrenhof besitzen mag. Er muß zu jeder Zeit dorthin aufbrcchcu können, wo das Menschliche sich offenbart! Er darf weder aus einem einseitigen Landschaftswinkel noch aus einer erstarrten Gesellschaftsschicht das Leben betrachten: er muß unge bunden in seinem Gewissen sein. Das ist jene schöpferische Unruhe, und es sind nicht die schlechtesten Menschen, denen ein Hamsun sie geweckt hat! Wahre Größe eines Menschen zeigt sich niemals in der Ein seitigkeit, mit der ein schnurgerader Weg bis zum letzten Ziel vor- getricben wird, cs wird eher die Vielfalt, das nach allen Seiten Ausstrahlende sein, hinter dem wir Größe und Genialität zu scheu geneigt sind. Hamsun begann 1890 mit dem Roman »Hunger« an die Öffentlichkeit zu treten. Was in diesen Hungerphantasicn ge staltet ist, das war in seinen wesentlichen Teilen wirklich erlebt, 1886 und 1888 hatte er als Journalist zu leben versucht und war fast verhungert dabei. Ein Jahrzehnt der Not, der Bagabondage und der Abenteuer wurde mit diesem Buche abgeschlossen, in dem ein Mensch geschildert wird, der ein Königreich des Geistes in seinem verhungerten Schädel herumschlcppt, der aus dem Wege ist, etwas Großes zu schassen, der nur noch nicht recht weiß, womit er beginnen soll. Wer erinnert sich nicht immer wieder jener phanta stischen Szene im Obdachlosenasyl, in der das Wort »Kuboaa« er funden wird! Ein neues Wort, dem die absonderlichsten Begriffe beigegeben werden! Hamsun streut in diesen: Buche Einfälle, Bil der, witzige und tiefgründige Episoden in einer Fülle aus, wie sic kaum ein anderes Erstlingswerk aufzuweisen hat. Sein zweites Buch war »Mysterien« und sein Johan Nagel darin steckt wiederum so voller Eingebungen wie voll sagenhaftem Reichtum. Die satiri schen Romane »Redakteur Lynge« und »Neue Erde« entstehen in Paris, sie sind im wesentlichen Entgegnungen aus Angriffe, denen Hamsun ausgcsetzt war, Antworten auf Streitfragen. Dann folgt »Pan«. Hamsun war über Nacht aus Paris geflüchtet und hatte sich in die Einsamkeit seiner norwegischen Heimat zurückgezogen, um dieses Buch zu vollenden. Die Hellen Sommernächte sind darin, die Vogclstimmcn, das Wachsen und Vergehen, die Hingabe an alles Lebendige, das Erlebnis der Einsamkeit ist vor allem darin, jener großen Macht, deren Wunder man nur zu begreifen vermag, wenn man ein paar Jahre in einer lärmenden Stadt ver bracht hat. Dann folgten Schauspiele: »An des Reiches Pforten«, »Spiel des Lebens«, »Abendröte», die Trilogie um den Philosophen Kareno, dessen großes Werk über die Gerechtigkeit niemals fertig wird, der zum Schluß resigniert. Es folgten die Novellen, die Ge dichte, die wir von Hamsun haben, die Liebesgeschichte »Victoria« und gleichsam als Abschluß eines gewissen Lebensabschnittes »Unter Herbststerncn« und »Gedämpftes Saitcnsptel«. In all diesen Iah-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder