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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.08.1934
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- 1934-08-04
- Erscheinungsdatum
- 04.08.1934
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- Deutsch
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^ 180, 4. August 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn Buchhandel. Knut Hamsun, dem Gestalter nordischer Welt, zum 75. Geburtstag Bekenntnis zu Knut Hamsun. Bon Ludwig Tügel. Es gehört zu den unverkennbaren Merkmalen eines schöpfe rischen Lebens, trotz allem Wissen um die Dinge der Welt und ihre endliche Wiederkehr ewig verwundert im Geiste und erstaunt im Herzen zu sein. Wohl ergeht es dem Künstler und dem Dichter zuweilen so, daß er in dieser Eigenschaft nichts anderes zu er blicken vermag als eine schwere Belastung, nur dazu angetan, ihm keinen Kummer zu ersparen, ja, ihm jeden Tag wenigstens einen kleinen Schrecken zu bereiten; dennoch spricht er stolz von dieser Gabe, die ihm zugcfallcn, als von einem Recht, das ihm geworden sei. Vielleicht hat er eines Tages erkannt, »daß allez nichts bedeute und sei es noch so viel«; vielleicht hat es nicht einmal dieser Er kenntnis bedurft, die das Leid vermittelt, wenn man sich dem Leide stellt, ihn ein Leben lang verwundert und erstaunt, das heißt: im Tiefsten unberührt, fromm und heiter zu machen vor jedem Ge schehen. Vielleicht ist eine unbändige, urwüchsige Lebensfreude als Kern in ihm und läßt keinen Tag dem andern gleichen, also, daß er allmorgcndlich wie ein Kind mit großen Augen erwacht, vor den Schatten aller Dinge erschrickt, sic als Fremdheit abschüttelt, die er nicht gebrauchen kann, um ins Helle Licht des Tages zu treten, das seine Geliebte ist. Doch wer will bei der Vielfalt unseres Lebens sagen, woher dieser oder jener Mensch das Recht folgert, im Leben und zugleich auch über ihm zu stehen? Und wenn wir cs ernstlich bedenken, was bedeutet es denn auch viel, in dieses Recht zu gelangen? Manchem Menschen wird es vom Schicksal gewährt; denn verschwenderisch wie das Leben, das sich in unzählig viel Formen über die Welt streut, geht auch das Schicksal mit dieser seiner Schenkung um. Biele beruft es, ewig verwundert und erstaunt zu sein, aber nur wenige erwählt es sich, aus diesem Vermächtnis heraus zum Verwirkliche! seiner großen Absicht zu werden. Doch es ist kein Glaube, und nicht einmal eine Ansicht, im Schicksal eine blindwütende Kraft zu sehen, die diesen verwirft, jenen aber erhebt nach Zufall oder Laune. Wir glauben an einen großen Plan, dahinein wir mit unserem Leben gestellt sind; Leben heißt, ihn verwirklichen. Wir glauben an den Spielraum unserer Kräfte; wie könnten wir sonst ehren, was uns als vcrehrungswert erscheint, wie könnten wir erziehen und bilden, wenn alles von Natur aus gegeben und unabänderlich gerichtet wäre! Und mag es selbst im tieferen Sinne so sein, daß ein Gesetz, groß und gewaltig und alles bestimmend und umklammernd, über unsere Welt geht, alle »Blütenträume« des freien Willens brechend, unvorstellbar sür den Geist, der seine erste Regung spürt: unvorstellbar sind auch die Kräfte unserer Seele, die wir unser eigen nennen. Sie öffnen uns Räume, deren Ende wir nicht überblicken können; aber wer in sie eindringt, der steht nicht mehr unterm, sondern im Gesetz, ihm bangt nicht mehr um eine Freiheit des Willens, da er in Einord nung selber zum Teil des Willens wurde, der unaufhörlich über unsere Welt rollt, da er Verwirkliche! einer Absicht geworden ist und aus dem Maße dieser seiner Berufung handelt. Viele werden vom Schicksal ausgezeichnet mit dem Recht, ewig erstaunt und verwundert, ewig jung vor dieser Welt zu stehen, und das allein heißt, zum Künstler oder Dichter berufen zu sein. Weni gen nur gelingt der Vorwurf, den sie verwirklichen sollen, denn nur wenige verniögen dies Recht, das ein Leben lang währen will, als unerhörte Pflicht zu deuten, die es abzutragen gilt. Groß wie die Zahl der abtrünnigen Engel ist die der Künstler und Dich ter, die ihr heiliges Recht verwirken, und sie gleichen ihnen auch von Angesicht. Wir kennen ihre Unordnung, sie schreien sie wie einen Fluch über die Welt, und alle Sehnsucht nach dem verlorenen Eden ihrer Berufung verkriecht sich in bittere Klagen über das Dasein, die Menschen, die Zeit oder eine andere Macht der Be hinderung. Es ist wahr: noch kein Jahrhundert hat so viel der Gefallenen und Gebrochenen im Geist und in der Seele gesehen wie das unsere. Allgewaltig stampft der »Erschüttere!«, der Zeitgeist über unsere Erde. Wer will ihm widerstehen in der Hetzjagd des Tages, beim Erwerb, im Ruhm, in der Ehre, vor Geld und Besitz? Wer kann gegen den brausenden Strom der Ernüchterung schwimmen, zu dem Leben geworden ist? We.r will hungern und darben, Jahr um Jahr, und dis Verkennung der Welt auf den Schultern tragen, einzig und allein um den Preis, vielleicht nur ein einziges Mal in einem langen Leben von der Wimper der Ewigkeit berührt zu wer den? So feindselig im Allertiessten wie unsere Zeit ist keine andere allem Staunen und Verwundern gegenüber gewesen. Gefährlich ist unsere Welt geworden, abhold der inneren Berufung, von der hier die Rede ist. Wenn wir dennoch aus den Jahrzehnten, darin unser Leben nun schon eine Weile spielt, immer deutlicher und eindeutiger einen Namen nennen hörten — Knut Hamsun —, und mit diesem Namen ein Werk verbunden war, reich und bewunderungswürdig, aller Zeit und aller Behinderung zum Trotz, so erwogen wir in der Stille wohl alle und oft die Kräfte, die hinter diesem Namen stehen. Und je weniger wir von dem Leben selber, das da lebte, erfuhren, je mehr es sich hinter seiner Gestaltung zurückzog und verbarg, desto heißer entbrannten wir zuweilen in dem Wunsch, einen Blick in dies Unermüdliche, Unbeirrbare zu tun, das wie ein Feuer der Verheißung in: Norden brannte. Wir machten uns einen Reim zu recht, er sollte sich aus alle Flammen, die da leuchteten, reimen; wir lasen, lasen und lebten, was da geschrieben stand, und spürten von Werk zu Werk dem Geheimnisvollen nach, das bald in dieser, bald in jener Gestalt vor unserem Geiste sich verdichtete. Und er fuhren viel und wußten immer weniger davon zu sagen. Stellte uns nicht dies Werk, das uns in unbekannte Fernen trug und uns wie ein Zauberer unseren Nöten, Leiden und Freu den entführte, an seinem Ende ganz aus uns selber zurück? War es nicht so, daß wir mit jedem Buch den großen Anruf erfuhren: »Sei und werde Du, der Welt und allen Dingen zum Trotz! Weg mit deinen Nöten! Leide, freue dich und sei wie ich ewig, ewig jung!«? Stand es nicht verwirklicht vor uns auf, was frühe Stimmen in uns gesprochen und gerufen hatten, als uns weder Wissen, noch Erfahrung, noch sonst eine Behinderung beschwerten: »Staune und verwundere dich tief ein Leben lang vor allem Geschehen! Es ist des ewigen Staunens und der ewigen Verwunderung wert!«? lind wuchs uns nicht aus dieser frohen Botschaft ewiger Jugend das Wissen zu, allem anderen Wissen zum Trotz, auf dieser Welt in einem schönen Recht zu stehen, das niemand uns nehmen kann, denn wir allein uns selbst? Da begriffen wir wohl, daß Recht nur Pflicht bedeute, daß hundert und mehr Pflichten erst ein einziges Recht ergäben, daß Verantwortung das Maß unserer Kräfte sei, und daß nur fallen und zerbrechen, wenn wir aufhören, die Schöpfung Gottes zu achten, zu ehren und zu lieben. Wie Du, Knut Hamsun, haben wir vor unserem Werk die Absicht zu verwirklichen, in die -wir gestellt worden sind. Zuerst entsteht der Mensch, dann sein Werk. Dieses wird sein, wie jener geworden ist. 695
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