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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.08.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1934-08-04
- Erscheinungsdatum
- 04.08.1934
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- Deutsch
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M 180, 4. August 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Ttschn Buchhandel. reu, also bis etwa 1909, bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahre, hatte Hamsun nebenbei Vorträge über Zeit- und Streitfragen ge halten vor den Studenten in Oslo und Helsingfors, hatte in den Sprachenstrcit (angegriffen und gegen die künstlich geschaffene Schriftsprache gewettert, hatte das Recht der Jugend gegen die »Weisheit des Alters« verteidigt, hatte Theologen und Redak teure, Litcraturgeschichtler und Politiker herausgefordcrt, immer kämpferisch, immer jugendlich. In der Dichtung forderte er Psycho logische Vertiefung: »Wie wenn nur die Literatur sich überhaupt etwas mehr mit seelischen Zuständen als mit Verlobungen, Bäl len, Landpartien und Unglücksfällen als solchen zu beschäftigen an singe?« schrieb er. »Wir bekämen etwas von den geheimen Be wegungen zu wissen, die unbeachtet an verborgenen Stellen der Seele vor sich gehen, oder von unberechenbaren Anordnungen der Empfindungen, von dem unter die Lupe gehaltenen delikaten Phan- tasiclebcn, von den Wanderungen der Gedanken und Gefühle ins Blaue, von den schrittlofcn und spurlosen Reisen mit dem Gehirn und Herzen, von den seltsamen Nerventätigkeiten, vom Flüstern des Blutes, vom Bitten der Knochenröhrcn, von dem ganzen unbe wussten Seelenleben, lind cs würde weniger Bücher geben mit jener billigen, äußeren Psychologie, die nie einen Zustand auf dröselt, nie in eine seelische Untersuchung hinabtaucht.« — 1908 wurde Hamsun dazu ausersehe», die Festrede zun, 100. Geburtstag des Nationaldichters Henrik Wcrgeland zu halten. Er stand ge feiert auf dem Balkon des Nationaltheatcrs in Christiania, der Stadt seiner bittersten Hungcrzeit, und sprach zum Volke. Damals erschien die erste Gesamtausgabe seiner Werke, seine Bücher wur den in alle Kultursprachen übersetzt, er begann Weltgeltung zu erringen. Aber damals reifte in Hamsun zugleich auch der Ent schluß, sich von der Großstadt für immer zurückzuziehcn. Er kehrte als Siedler zurück in seine Nordlandshcimat, er war fünfzig Jahre alt und glaubte nach seinen eigenen Worten, daß der Mensch mit fünfzig Jahren aufhöre, geistig schöpferisch zu sein. Dennoch be gann gerade nach jener Zeit, da er meinte, »keine großen Eisen mehr im Feuer zu haben«, die zweite große Schafsensperiode in seinem Leben, die mit den Kleinstadtroinancn und mit »Segen der Erde« und »Landstreicher« ein wahres Wunder an Schaffenskraft bedeutet. »Kinder ihrer Zeit«, »Stadt Segelfoß«, »Die Weiber am Brunnen«, »Das letzte Kapitel«, »Landstreicher«, »August Wclt- umseglcr« und der letzte Roman »Nach Jahr und Tag« (dessen norwegischer Titel lautet »Men livct lcvcr«: »Aber das Leben lebt«) — ihre Gestaltenflllle zu schildern, ihre Charaktere, in denen alle brüchigen libcralistischcn Thesen des ausgehenden 19. und be ginnenden 20. Jahrhunderts ironisiert werden, auch nur einiger maßen zu umrcißcn, würde eine Schrift für sich beanspruchen. Es sei zum Schluß nur noch auf »Segen der Erde» hingcwiesen, der den Mittelpunkt dieses Schaffenskreises bildet. Jsak, der als erster Siedler in das Ödland hinauszieht, der mit seiner Hände Arbeit neues Land fruchtbar macht, der sich eine Erdhütte baut und nach und nach Haus und Stall und alles, was dazu gehört bekommt, dessen einfache, kleine alltägliche Verrichtungen mit einer hin- gcbcndcn Liebe geschildert werden, wie er zum erstenmal Korn säet, wie er einen Ofen herbeiträgt auf seinem Rücken, wie er die erste Maschine herbeischafft, wie er die Balken für sein vergrößertes Haus bearbeitet, wie er eine Frau und Kinder erhält, — er ist der Mensch am Anfang allen Lebens schlechthin, er ist ein biblischer Mann, ein Gleichnis. Und weil er täglich mit der Erde, mit der Ordnung und dem Kreislauf des Jahres verbunden bleibt, deshalb kann ihn nichts aus der Bahn werfen. Er ist ein ruhender Pol, um den eine bunte Menschenwelt kreist. Als Hamsun diese Gestalt schuf, hatte er gegen den Fremdenverkehr in Norwegen gewettert, er nannte die Propaganda für die Touristen »eine beispiellose Verfälschung unseres Lebens, unsere Innerlichkeit geht fort, die Ruhe, der Stolz und die Redlichkeit nehmen ab. Wir müssen unsere Moore austrocknen, Wälder pflanzen, das gewaltige Nord land kolonisieren. So bringen wir die Auswanderung zum Stehen«. Daher ist Jsak selber ein wenig Programmgestalt, daher ist er aber auch unvergeßlich in all seiner Holzschnitthaftigkeit, in seinen star ken Strichen, mit denen sein Bild sich uns einprägt. Alle anderen Figuren aber, mit Ausnahme vielleicht des Axel und des jüngsten Sohnes Sivert, sind von den Tollheiten der fortschrittlichen, zivi lisierten Welt angcfüllt, die sich den Spuren des Jsak anheftet, die selbst in das Ödland eindringt, wenn dort erst einmal Menschen wohnen. Auch in diesem Buch ist das Ringen zwischen den auf- bauenden und den zerstörenden Kräften in jedem Menschen. Und so sei zurückgekehrt zu dem, was am Anfang gesagt wurde: Hamsun lockert das Leben auf, wo er es findet, um etwas dort hineinzu säen, das aus seinem Gewissen kommt und das zum Gewissen der Menschheit hinzielt, es aufzurufen: jenen »bestimmten Geruch« nicht zu verlieren, mit dem nicht nur der einzelne Mensch seit seiner frühesten Kindheit beschenkt wird, sondern den auch die ganze Menschheit spüren muß, so merkwürdig und verworren auch die Wege der Völker sein mögen. Und wenn wir Deutschen in diesem Jahre dein fünfundsiebzig- jährigen Hamsun danken, für alles danken, was er dichtete, uns und der Welt zur Freude und zur Lehre, wenn wir ihm nicht zu letzt dafür danken, daß er, der größte unter den lebenden Dichtern, als einer der ersten unser neues Deutschland gegrüßt hat und in unserem Wege einen notwendigen Wachstunis- und Reinigungs vorgang erblickte, wenn er schrieb: »Deutschland hat heute Gegen wind in der Welt, aber cs kreuzt tapfer weiter und kommt noch in den Hafen« — so können wir nicht besser tun, als wenn wir alle oberflächlichen und seichten Begriffe, mit denen wir von heute auf morgen vielleicht etwas zu erreichen vermögen, aber niemals für die Dauer, abtun und uns beim Lesen seiner Bücher von jener schöpferischen Unruhe befallen fühlen, in der wir das Vergängliche vom Unvergänglichen scheiden lernen. Knut Hamsun und die deutsche Zeitungs- kritik. Bon Benno Mäscher. Die folgenden Ausführungen wollen alles andere sein als eine erschöpfende Darstellung eines sehr weitschichtigen Themas, zu dessen endgültiger Behandlung die Zeit auch wohl noch nicht ge kommen ist. Ein von Jahr zu Jahr sich mehrendes ungeheures Material wäre dazu zu bearbeiten. Es scheint, daß wir heute ziem lich allgemein einen festen Standpunkt gegenüber dem Phänomen Hamsun haben, aber gerade die Betrachtung der bisherigen Kritik zeigt, wie widerspruchsvoll die Standpunkte sein, wie schnell sic sich wandeln können und von welchem Umständen sic abhängen. Denn kein Betrachter, kein Beurteiler und Kritiker hängt im Leeren, jeder urteilt letztlich von einer festen Weltanschauung her. Wir sind nicht mehr so naiv zu glauben, es gäbe Möglichkeiten »objek tiven« Urteilens im Bereiche des Verstehens (für den Bereich der Erfahrung, der Feststellung in den Naturwissenschaften gilt das nicht), die Voraussetzungslosigkeit der Geschichtswissenschaft etwa ist heute erkannt als Ausdruck einer ganz bestimmten vorauszusetzcn- dcn geistigen Haltung. So liegt auch dieser sehr aphoristischen Be trachtung zu einem großen Thema eine bestimmte Einstellung zu Fragen der Dichtung zugrunde. Man wird das merken. Man wird seststellcn, daß den Verfasser gewisse Fragen der geistigen Entwick lung der letzten fünfzig Jahre interessieren, die vor allem das Pro blem des Verhältnisses des »Geistes» zum Volk und zum Staat angehcn und — das läßt sich nicht leugnen, zu nicht immer erfreu lichen Feststellungen kommen, Ivas die Haltung der »nationalen« Kritik etwa angeht. Es gab ein Wort »der Geist steht links«, von der Berechtigung dieser Feststellung und von ihrer Überwindung wird zu reden sein. Bei den ersten Werken Knut Hamsuns (es sei noch ein mal betont, daß es sich um sehr fragmentarische Betrachtungen auf Grund eines sicher nicht vollständigen Materials handelt) zeigt sich die übliche Unsicherheit der Kritik allem Neuen gegenüber. Es sind begeisterte Zustimmungen da und fanatische Ablehnungen und beide entspringen bestimmten Grundhaltungen zur »modernen« Literatur überhaupt. Beim »Hunger«, dem ersten Werk heißt cs auf der einen Seite »grausig, Physisch ekelhaft, überflüssig brutal ü la Zola« (All gemeine Literarische Rundschau), »gräßlich und widerlich« (Straß burger Post). Das »Rigaer Tagblatt« empfindet Widerwillen und Ekel, während der »Berliner Börsen-Courier« — sicher ein moder nes Blatt — findet, daß das Werk doch nach grausigen Qualen in «97
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