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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.07.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1934-07-28
- Erscheinungsdatum
- 28.07.1934
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- Deutsch
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X! 174, 28. Juli 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn Buchhandel. er der Heimat zu und mußte noch nicht, daß wir Auslanddeutschen unser ganzes Leben lang einem dunklen Tu nachschreiten, von der Heimat ins Mutterland und von dort wieder in die Heimat, Wanderer des Deutschen und Künder des Deutschen. Ich wußte cs noch nicht und Dehmel wußte es auch nicht, aber ich hörte das dunkle Du. To kam es denn, daß ich nur einen Wunsch halte, Dehmels Gesammelte Werke zu besitzen. Man schenkte sie mir in einer schönen in Leder gebundenen Ausgabe. Das ivar zu Weihnachten 1915. Im Mai des nächsten Jahres rückte ich endlich zu den Kaiserjägern ein, kostete fern der Heimat in Obcrösterreich und Tirol den Kasernen drill, stieg etliche Monate später die Südsront hinan. In einer Nacht beim Marsch durch ein Dorf flatterte ein Zettel an einem Hause. Darüber zitterte ein Lichtlein. Ich trat an das Papier und las, daß Rumänien Österreich den Krieg erklärt, daß cs meine Vater- stadt besetzt habe. Es war noch ein Schulkamerad in meinem Zug. Wir sprachen wenig in dieser Nacht. Wir marschierten. Wir hatten Flüchtlinge schon oft gesehen, Menschen auf Wagen voll Hausrat, Menschen, die man mit der Wurzel aus der Erde gerissen hatte. Wir dachten an solche Bilder und konnten nicht sprechen. Bei uns daheim waren sie geflüchtet. Halbe Dörfer standen leer. Die Herden, weideten unbewacht im Freien. Mein Vaterhaus war unversperrt, und wenn man den Schlüssel auch im Tor umgedreht hätte — es hätte nichts genützt. Nicht die Soldaten drangen über die Schwelle, die Häusler und Kleinbauern der Umgebung taten es. Sie kamen mit Leiterwagen gefahren und luden auf, was sich von der Stelle rücken ließ. Sie schlugen das Tchnitzwerk, das ihnen gefiel, aus den Schränken und ließen anderen Raum, die auch die Schränke wegkarrten. Sie waren außer Rand nnd Band und meinten, es werde nie wieder ein Gendarm durch die Dörfer gehen. Als mein Vater mit den vormarschiercnden Truppen in das Haus trat, waren die Fenster geöffnet, die Scheiben zerbrochen, draußen im Garten lag Gerümpel und wertvolles Gut. Aus einem Winkel kroch heulend unser Dackel. Aber nun ging die Angst dnrch die Gegend um und berührte die Bauern im Schlaf, daß sie heimlich des Nachts aufstanden und die Pferde schirrten. Sie luden die Diebes- sracht auf die Wagen und brachten sie vor unfern Garten, wo sie mein Vater am Morgen fand. Da öffnete er das Gartentor weit, damit sie in der Finsternis unerkannt bis vor das Haus fahren konnten. Und sie verstanden nnd luden ab, emsig und furchtsam bei Nacht und Nebel, aber wenn sich die Stuben davon auch zu füllen begannen, zerstört und verwüstet war unser Eigentum. Nach vielen Monaten kam ich aus dem Felde auf Urlaub. Ich ging durch das Vaterhaus. Manches grüßte mich vertraut, manches war neu und ungewohnt. Aber die Linde im Garten blühte, das »Nohrgeschäft« wucherte grün, ans den etwas verwahrlosten Wegen ging immer noch der Kindcrtraum. In einer stillen Stunde sichtete ich mein Knabengut. Es fehlte viel davon, und was da war, zeigte Schmutzspuren. Wenige meiner Bücher standen noch in einem un bekannten Regal, verfärbt wie die Bände, die wir in den Tornistern getragen hatten. Ich nahm sie in die Hand. Drei Bände legte ich ans den Tisch. Drei Bünde Richard Dehmel. Ich erkannte sie erst, als ich sie öffnete, denn einen Einband hatte» sie nicht mehr. Das schöne braune Leder hatte jemand abgezogen wie die Haut eines Tieres. Leder war teuer und selten zu jener Zeit. Ich begann zu lesen. Kein Echo in mir. Ich las die glühenden wilden Liebesgedichte kein Widerhall. Und wie so oft in früheren Tagen versuchte ich den Band zu streicheln. Das weiche Leder war weg. Das Buch lag spröd und rauh in meinen Fingern. Der Traum war aus. Ich schnallte das Bajonett um und ging auf die Landstraße. Ich hatte wahrlich nicht an Dehmel gedacht, als ich- durch den Krieg schritt. Aber vielleicht wartete sein Erlebnis hinter den größeren Erleb- Ebene hinaus. Da kam mir ein Mann entgegen,' der sich seltsam verkrümmt von der blauen Bergserne abhob. Sein Schatten glitt lang über die Straße heran nnd zuckte, als er die Wegkehre schritt, Haarschars auf mich zu, und im gleichen Augenblick bewegte sich die Gestalt vor dem roten Himmels- und Bergausschnitt, durch den die Abendsonne sank. Aus dem Feuer schien er plötzlich auf mich zuzuschreiten und ich nahm es für ein freudiges Kommen, denn ich kannte den Kerl, diesen halb verkrüppelten Tagelöhner, der mir Weiöenpfeifen ge schnitzt hatte, der Gärtnerbursch und weiß Gott noch alles bei uns gewesen war. Als er mich sah, zog er die Pelzmütze vom Kopf und lachte. Er schwatzte los und ich kam gar nicht dazu, ein Wort zu ent gegnen. Dabei war das Männlein nicht etwa zudringlich. Leine Augen liefen mit einer halb vertraute» Achtung über meine Offiziers kleidung, und als ich ihm die Hand reichte, zncktc sogar Stolz durch das verdorrte Gesicht. Während er weitersprach, zog er einen Leder griff hinein und meinte: »Herr Leutnant, znr Begrüßung sollen Sie meinen Tabak kosten. Der ist aus Rumänien geschmuggelt-. »Her damit!« sagte ich, aber da wurden meine Augen starr. Der Leder zeigte ein wundervoll weiches braunes Leder. Das Leder meiner Dehmel-Bände. Ich griff zu und riß ihm den Beutel weg. Ich stülpte ihn vollends um. Ja, das braune Leder. Und darin verwischt, aber noch zu entziffern in goldenen Lettern der alte wohlbekannte Titel, mitten durchgeschnitten, und nicht nur ein Titel. Dieses ver dammte Männchen hatte alle drei Einbände zusammengenäht, hatte zwei Abteile in den Beutel gefügt und hielt darin Zwiebel, Tabak, Brot und etliche Münzen. »Dn Schweinekerl, dies hast du mir ge stohlen!« rief ich und hatte nicht übel Lust dreinzuschlagen. Er leugnete nicht. Er stand da und sah mich kaum an, nein, er schüttelte das Haupt und meinte schließlich aus voller Überzeugung: Ich bin doch ein Esel«. Und nun brach in mir doppelt der Arger durch. Warum, wollte ich wissen, hatte der Kerl die Bücher zerstört? Warum, wenn schon gestohlen sein mußte, hatte er nicht die drei Bücher, so wie sie waren, behalten? »Was Hütte ich damit ansangen sollen!« sagte er und seine Augen blickten verzweifelt auf den Belltet. Das war nun freilich wahr, was hätte dieser Kerl mit Richard Dehmel anfangen sollen! Und sieh, nun schwatzte er plötzlich wieder los: »Ich kann ja nicht lesen. Und die Bücher habe ich Ihnen ja wieder zurückgetragen, Herr, nnd Sie können sic noch immer lesen, denn Sie lesen nicht das Leder —«. Da schien cs mir beinahe, als wenn er in seiner Angst schon wieder etwas verschmitzt wäre. Und so zog ich weiter und ließ den Wicht mit seinem Bentel stehen, in dem er seine Angst davontrug, denn er mochte wohl glauben, daß ich ihm die Gendarmen auf den Hals hetzte. Ich ging weiter. Der Abend sank. Und ich dachte etwas verguült daran, ob denn nur der schöne Einband mir fehlte, um wieder zu Dehmel zu finden, zu jener rauschenden wilden Sinnlichkeit. Dann wurde mir klar, daß mit dem Einband wohl endgültig der Weg zu jenem drängenden Dehmel dahin war. Doch die Felder verdunkelten sich, mein Auge wurde Heller, schon versuchte ein Stern zu funkeln nnd die Grillen wisperten schneller. Jeder Laut ward bilderreicher, das Gewohnte sonder barer, hinterm Wald der Himmel bleicher, jeder Wipfel hob sich klarer. sich entringt den Dunkelheiten. Plötzlich stehst du überwältigt. Ich kam nach Hause, als die Sterne dicht und an manchcn Stelle» von einem tieferen und kühleren, hinein reineren nnd helleren Drän gen bewegt. Ich überschlug viele Gedichte, aber ich fand einige wenige, daraus ein Dehmel sprach, den ich früher nie verstanden hatte und der sich nun mit der klaren Gestalt der Größe vor de» wilden Stürmer stellte, dessen Ledcrbentel voll Tabak und Ziviebel nicht mehr mein war. Das deutsche Gedicht. Erhard W i t t e k, Buchhändler, bekannt durch sein .Kriegsbuch Durchbruch anno achtzehn«, hat eine Reihe Gedichtbändchen heraus gegeben, benannt »Das Deutsche Gedicht«. Wir fragen uns unwillkürlich im ersten Augenblick: warum in unserer heutigen Zeit eine Auswahl und Neuausgabc älterer lyrischer Dichtung? Doch wohl nicht darum, um sich nnd die Zeit beim Lesen dieser Gedichte zu vergessen und nm abzugleiten in eine »romantische« Gefühls seligkeit. O »ein! die Zeit stellt andere Ausgaben und auch der Herausgeber der Reihe hat sich andere gestellt. Es geht um das ewig Deutsche«, um die große Sehnsucht aller wahrhaft Deutschen, um den »Deutschen Menschen . Und die Auswahl der Reihe lehrt, daß um diese Sehnsucht nicht erst heute gekämpft wird, daß darum unsere Dichter schon immer gekämpft und gerungen haben. Hier offenbart sich echtes, verdichtetes deutsches Wesen: die Innigkeit deut schen Empfindens, die Naturverbundenheit, das Suchen und Kämpfen um eine Harmonie zwischen Gott, Natur und Mensch: neben einer frohen Kampfbereitschaft gegen äußere uud innere Feinde ein feiner Humor, ein inniges Verständnis für große und kleine Dinge des 679
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