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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.09.1934
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- 1934-09-01
- Erscheinungsdatum
- 01.09.1934
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- Deutsch
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204, 1. September 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b. Dtschn Buchhandel. den Jungdeutschcn. Auch das religiöse Tcndcnzschrifttum tritt zeit- wellig hervor, in dem sich z. B. die Stellungnahme zeigt für oder gegen den Katholizismus, für oder gegen den Pietismus. Auch die Frauenemanzipation hatte natürlich tendenziöse schriftstellerische Begleiterscheinungen, die übrigens noch munter in die unmittel bare Gegenlvart hincinragen. Als tendenziös wird Wohl mit Recht die parteipolitische Dichtung angesehen. Doch — parteipolitisch? Hier stockt man schon. Soll man etwa auch die nationalsozialistische Freiheitsdichtung als Tendenzdichtung bezeichnen? Man denke an Dietrich Eckarts geniales Sturmlied, in dem der machtvolle Frei heitsruf eines ganzen Volkes ertönt. Es wäre widersinnig, ein so hochstehendes dichterisches Erzeugnis zur Tendenzliteratur zu rech nen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß eine offenbar nicht rein arische Literaturforschung auch die Dichtung der Be freiungskriege der Tendenzdichtung zuordnete, daß ferner Kleists »Hermannsschlacht« infolge völliger Verkennung ihres hohen künst lerischen Wertes und der dramatischen Kunst Heinrich von Kleists zur Tendenzdichtung gezählt wurde. Man sieht also, daß der Begriff nicht so einfach zu fassen ist. Tendenz im Sinne einer bestimmten Haltung, einer Zielsetzung muß jede Dichtung haben. Das gilt insbesondere für das Drama. Denn das Drama will wirken. Bei der dichterischen Aufnahme und bei der Ausarbeitung des Dramas spielt neben dem Gefühl auch der Wille eine entscheidende Rolle. Kein Drama entsteht ohne einen starken inneren Willcnsimpuls, der eine ganz bestimmte Wirkung auslöst. Wir verstehen jetzt also die Tendenz richtig als innere Haltung. So hat sic offenbar auch Goethe verstanden, wenn er sagte, »die falsche Tendenz» sei »nicht produktiv«. — »Oder wenn sie es ist, dann ist sic das Hervorgebrachte von keinem Wert.« Wir haben dieses Wertlose leider zur Genüge erleben müssen. Die verneinende Lcbcnscinstellung ist immer unproduktiv. Wir meinen damit nicht den tragischen Ausgang, der oft beim Drama unerläßlich ist. Es ist vielmehr die niedcrdrückende, unheroischc Haltung gemeint, wie sie beispielsweise aus dem dramatischen Schaffen eines Toller oder dem Prosawcrk eines Remarque spricht. Auch der reine Naturalismus, der das Leben nur mehr oder weni ger genau abphotographieren will, wirkt meist niederziehend. Er schaltet den sittlichen Willen des Menschen aus, faßt den Menschen als reines Naturwesen ohne bewußten Willen. Und durch diese scheinbare Objektivität wird doch ein ganz bestimmtes Weltbild hervorgerufen, eine ganz bezeichnende Stimmung erzielt. Es ist das liberal-marxistische Weltbild des 19. Jahrhunderts mit der müden Jahrhundcrtendc- (sprich: iin ck« siede) Stimmung. Es ist, um es deutlicher zu sagen, das Weltbild, das sich in dem satanisch grinsenden geistigen Antlitz des Juden Marx am deut lichsten abzeichnct. Ein Weltbild, das seine schärfste und widerlichste Ausprägung in dem hinter uns liegenden Jahrzehnt des Ver falles fand. Wenn wir heute im Schrifttum eine neue von der vorange- gangenen abweichende Haltung sehen wollen, so heißt das natürlich nicht, daß irgend etwas erzwungen werden soll. Es bedeutet, daß diejenigen zu Worte kommen sollen, die imstande und be fähigt sind, unserem, dem neuen Weltbilde Ausdruck zu ver leihen. Dieses Bild hat nichts mit dem Liberalismus zu tun und nichts mit der Lehre vom Einzelwesen (Individualismus), die das vorige Jahrhundert auszcichneten. Die Entwicklung drängt ganz unwillkürlich dahin, daß das Schrifttum, welches für die über wundene Epoche maßgebend war, abstirbt und dessen Schöpfer all mählich in der Versenkung verschwinden. Und uns liegt cs ob, diesen Vorgang tunlichst zu beschleunigen. Ein Beispiel dazu aus dem Beruf: Wir erhalten ein Bühnenstück zur Prüfung. Es ist ein sauber gearbeitetes Stück, das mit allen Schikanen der Darstellung und Technik versehen wurde. Es behandelt belanglose Dinge in einer gesellschaftlich beschränkten und beengten Sphäre und zeichnet sich durch eine überfeinerte psychologische Charakteristik aus. Wir lehnen das Stück ab aus dem unbeirrbaren Gefühl heraus, daß cs nicht in unsere Zeit paßt, d. h. daß es uns nichts mehr zu sagen hat. Uns gehen diese kleinen privaten Belanglosigkeiten nichts mehr an, da wir gewaltige Schicksale erlebten. Wie sieht das Weltbild von heute aus? Es ist überragt von dem unsichtbaren Weltkriegerdenkmal, wie es-cinmal Ernst Jünger zeichnete: der höchste Alpengipfel, ausgehauen zu einem Antlitz unter wuchtendem Stahlhelm, das still und ernst über die Lande schaut, den deutschen Rhein hinunter aufs freie Meer. Es trägt den herben und heroischen Zug der Kämpfer der grauen und der brau nen Armee. Es hat einen bejahenden Gehalt. Aus Elend, Not und Tod reckt sich die erhobene Hand in den Himmel: Dennoch! Die neue Haltung hat der neue Mensch durch den Krieg und die natio nalsozialistische Bewegung erhalten. Der neue Mensch fühlt sich nicht mehr als Privater, als einzelner, er ist Kamerad, er ist Volk. Und das wird sich im Schrifttum in der Weise auswirken, daß dar gestellt und gezeichnet wird, wie sich das große Schicksal in den Menschen erfüllt. Wir kommen notwendig zu einem heroischen Schrifttum, das vielleicht einen herben, sachlichen Wirklichkeitsstil tragen wird. Die Schöpfer dieses Schrifttums werden sehr wahr scheinlich nicht die unlängst gleichgeschalteten Vertreter anderer Weltanschauungen sein, trotz aller löblichen Bemühungen. Wir sind hellhörig geworden und vernehmen die falschen Töne. Stets wollen wir an das Führerwort erinnern, wollen es nennen und, wenn man es nicht hören will, recht laut rufen, »daß unter keinen Umständen die Repräsentanten des Verfalls, der hinter uns liegt, plötzlich die Fahnenträger der Zukunft sein dürfen«. Wir glauben auch nicht, daß die im landläufigen Sinne »nationalen« Schrift steller, die sich im Systemdeutschland einen Namen machen konnten, die Repräsentanten der neuen Haltung sein werden. Wohl aber werden es diejenigen befähigten Schriftsteller sein, die totgeschwiegen wurden oder denen das Leid die Lippen verschloß, die ehemals ver spotteten und verhöhnten Kämpfer, die zerschossen oder blutig ge schlagen wurden, die Kämpfer der grauen und braunen Armee. Sie, die alles erkämpften und erlitten und doch niemals ihren Idealismus verloren, sie sind die berufenen Künder der neuen Haltung, die Vertreter des Stils der heroischen Sachlichkeit und der stählernen Romantik. Sie werden die wahre Tendenz zum Ausdruck bringen, lind die wahre Tendenz, so sagen wir in Ab wandlung des Goethewortes, ist produktiv, und wenn sie es in einem erhöhten Maße ist, so ist das Hervorgebrachte von bleiben dem Wert. Ein Arbeiter und Goethe. Als ich vor einigen Tagen einen Arbeiter, mit dem ich befreundet bin, wieder einmal aufsuchte, hatte ich folgendes Erlebnis. Ich hatte mir bei einem Bekannten einen älteren Band, die von Prof. Julius Zeitler herausgegebenen »Klassische deutsche Erzähler. Liebes geschichten«, entliehen. Diesen Band hatte ich bei mir, als ich zu dem Arbeiter ging. Es war an einem Sonntag, wir hatten ein wenig geplaudert, und da uns dabei die Zigaretten ausgegangen waren, machte ich mich auf, um welche zu holen. Ich brauchte für diesen Gang etwa eine Viertelstunde. Das Buch hatte ich bei meinem Freund liegen lassen. Als ich zurückkam, fand ich ihn, wie er in dem Buche las. Er hatte sich so sehr in die erste Geschichte des Bandes vertieft, das; er mein Eintreten nicht gleich bemerkte. Verfasser und Titel der Novelle, die der Mann las? »Der ehrliche Prokurator« von Goethe. Als er mich bemerkte, waren seine ersten Worte: »Donner wetter! Du, das muht du mir unbedingt leihen, das m u ß ich lesen!« Die Lektüre hatte ihn außergewöhnlich erregt. »Weißt du«, sagte er, 768 mit einer langsamen Bewegung der Hände die Brust von unten nach oben bestreichend, »das steigt so richtig aus der Tiefe, so — also Mensch, das ist was! Wie soll ich'S nur sagen?« Nein, sagen konnte er es nicht, was eigentlich ihn so ergriff, es war auch wohl gleich gültig, nicht darauf kam es an. Und dann sagte er, daß es ein Jammer sei, daß »unsereins« so etwas nur mal durch Zufall — jawohl durch Zufall! — zu Gesicht bekäme. Und wie dies ge schrieben sei! Das sei denn aber doch etwas anderes als die dummen Geschichten, wie er sie in den illustrierten Zeitungen fände. Wer ist dieser deutsche Arbeiter, der durch einen Zufall Goethe entdeckte? Er ist einer unter Millionen. Ich sagte: »Ja, warum liest du denu eigentlich keine vernünfti gen B-ücher, warum beschränkt sich deine Lektüre eigentlich nur auf eine illustrierte Wochenschrift und auf eine Tageszeitung?«. Er gab mehrere Gründe an. Jetzt, da er wieder Arbeit habe — er arbeitet ans einer Baustelle der Reichsautobahn —, habe er sehr wenig Zeit. Denn neben der achtstündigen Arbeitszeit gelte es ja noch den Garten, der ziemlich groß ist, zu bestellen, auf dessen Erträgnisse die Familie
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