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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.09.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1934-09-04
- Erscheinungsdatum
- 04.09.1934
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- Deutsch
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3460 ^!r 206, 4. September 1934. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. «Reservelazarett Aachen, Juni 1915. Nun sind drei Wochen vergangen seit meiner Verwundung, und wie ein Ne bel liegt es über der Zeit seit dem Tage, an dem sie mich hinuntertrugen nach Souchez. Um mich ist eine unendliche Stille, ich höre meine Uhr ticken und das Gesumm der Bienen in den Bäumen. Ls fällt mir schwer, diese Stille zu er tragen. Sie quält mich, weil es in mir laut ist und unruhig. Loretto läßt mich nicht los! Ls erfüllt meine Gedanken bei Tag und meine Träume in der Nacht. Ich will versuchen, mir dagegen zu Helsen, indem ich meine Lrlebnisse auszeichne, so gut ich es vermag. Ich bin mir bewußt, den entscheidendsten Tag meines Lebens zu nennen, wenn ich niederschreibe: am 2. Februar 15 meine Ankunst in Angres. Ich suchte, es war sechs Uhr morgens, in der Arbeiterkolonie des kleinen Mineurdorses nach dem Quartier des Regimentsstabes und stand bald daraus vor meinem neuen Kommandeur. Nach kurzer Begrüßung teilte er mir mit, daß er mich zum Führer der fünften Kompagnie bestimmt habe. Lin heißer freudiger Schreck durchfuhr mich. Vor wenigen Tagen Offizier geworden und nur wenige Wochen einen Zug geführt, zweiundzwanzig Jahre alt, und jetzt aus einen Schlag Führer einer KompagnieI Unvergeßlich die Ansprache des Kommandeurs an mich und die beiden an deren Leutnants, einer vom Train und einer von der Artillerie: Meine Herren! Sie haben keine leichte Aufgabe. Das Regiment hat gelitten wie kein zweites im Korps, die Mehrzahl der Offiziere ist ausgefallen, es gibt Kompagnien, die von Unteroffizieren geführt werden, Zucht und Vertrauen sind in furchtbarer Weise geschwunden. Ich habe vor vierzehn Tagen das Regiment übernommen mit dem Auftrag, Ordnung zu schaffen. Meine Herren, unterstützen Sie mich bei diesem Werk. Glauben Sie an den guten Kern in den Leuten, die nur verwahr lost sind, und suchen Sie durch Ihr Beispiel und mit allen Mitteln das Lhrgefühl wieder zu beleben. Wo es not tut, gehen Sie mit eiserner Strenge vor! Wider setzlichkeit ist an der Tagesordnung. Ich will keine Meldungen mehr für das Kriegsgericht, sehen Sie selbst zu, wie Sie fertig werden. Geien Sie wachsam! Halten Sie den Revolver stets griffbereit, wir haben schon manchen Überläufer gehabt, der Feind ist dreißig Schritt vor unseren Gräben'. Lin Blick aus den leuchtenden Augen des kraftvollen jugendlichen Mannes, ein Händedruck, und wir waren entlassen. Unvergeßlich meine Ankunst abends auf der Lorettohöhe und bei meiner Kompagnie. Gchlammtal vor Souchez! Ost hatte ich davon reden hören, und immer in einem Ton des Grauens, aber die Wirklichkeit war schlimmer. Der Weg von Gouchez in die berüchtigte Gchlammulde war nicht weit, aber er genügte, um selbst bei einem frisch Ankommenden alle guten Vorsätze auf die härteste Probe zu stellen. Schritt für Schritt mußte man sich durchkämpfen durch den zähen Kot und das Gchlanrmwasser. Die Gchlammulde am Fuße der Lorettohöhe mit ihren an den Gteilhang gelehnten Wellblechbuden und dem kleinen Fried hof, ein trostloser Anblick. Und die Menschen, die aus den Hütten kamen in ihren von einer brüchig gewordenen Lehmkruste steifen Unisormstücken, verfroren, mit eingefallenen Gesichtern, stumpf, abweisend, voll Mißtrauen gegen mich. Ich kam ln die Hütte des Bataillomssührers, der in seinen Mantel gewickelt auf einem Bund Stroh aus der Lrde brg. Ich lernte den Mann kennen, der mir zeitlebens teuer sein wird. Lr sprach mi t mir bis in die Nacht und gab mir Ratschläge. Die Art, wie er von ,seinen armen Kerls' sprach, machte starken Lindruck auf mich. Lr, der Adjutant und der Unterarzt waren vom ersten Augenblick an wie Freunde zu mir. Unter dem Gang der Granaten, die sich in das Gchlammtal einwühlten, im hintersten Winkel meines Loches, in das die Regentropfen hineinsickerten, schlief ich ein. Wenn ich zurückdenke an memen Kampf, der nun einsctzte, ergreift mich die Erinnerung an die rührende Willigkeit, mit der die Leute, die anfangs so stumpf Und ablehnend gewesen waren, auf mich eingingen. Aber es brauchte Zeit, bis Ich das erkannte. Ich mußte viel Ungeduld und Zorn in mir bemustern lernen. Vor allem mußte ich das Mitleid überwinden. Wer Mitleid hat, ist unfähig zu Helsen und unwert zu gebieten. Der schlimmste Feind, gegen den ich zu kämpfen hatte, war die Hoffnungs losigkeit und wahrhaft trostlose Apathie, der fast alle, auch die kräftigsten Na turen, anheimgefallen waren. Ich denke an den Erdhaufen, eine verschüttete Stelle am linken Flügel des Grabens, die den Verkehr mit der Nachbarkompagnie unmöglich machte. Sie war fünf Meter breit, und es dauerte Tage und bedurfte mei nes vollen Linsatzes an Zuspruch und immer erneuter Überredung, an Zorn und ei serner Strenge, um die Beseitigung dieses gefahrvollen Hindernisses zu erzwingen- Die Kompagnie zählte noch fünfzig Mann. Man war stets acht Tage vorn und vier Tage in Ruhe. Gleich in den ersten Tagen verlor ich K., den besten Unteroffizier und meine einzige Stütze außer D. Zu seinem Nachfolger suchte ich den jungen Gefreiten M. zu erziehen, den Hirtenjungen vom Feldberg, den graziösen und immer fröhlichen Burschen, dessen liebenswürdiges Wesen und modulationsfrohe Stimme uns die schwersten Stunden erleichterte. Welche Freu de, ihn hantieren zu sehen, ob er Holz kleinmachte oder einen Kocheimer zum Ofen umarbeitete. Lr brachte in unser Llend einen Hauch von Gommersonne und Winterschneesprühen, von zitternden Gräsern in Mittagsglut und den ran ken Tannen seiner Heimat. In einer dunklen und stürmischenNacht war ich in denGraben hinaufgegangen und fand eine Sappe unbesetzt. Ich hörte ein Geräusch im Drahtverhau. Ich kroch hinaus an einer Stelle, wo der Draht zerfetzt war, und sah die Gestalt eines Mannes, der, schon jenseits des Verhaues, sich in ein Granatloch kauerte. Ich spannte den Revolver und kroch zu ihm hin. Ich sah ein angstverzerrtes Ge sicht, aus dem ein Paar weitaufgerissene Augen mich wild und haßvoll anstierten. Komm! raunte ich, die Mündung des Revolvers an seine Stirn setzend. Lr rührte sich nicht. Wir lagen nebeneinander, Auge in Auge, ich weiß nicht wie lang. Zum Glück stieg keine Leuchtkugel. Endlich, ich hatte wohl zehnmal mit der Versuchung gekämpft abzudrücken, gab er nach und sackte zusammen. Gefügig kroch er vor mir her, durch die Gasse im Drahtverhau zurück in den Graben. Der Mann hieß Gottlieb und wurde mit der Zeit einer meiner Getreuesten. Mein schwierigster Fall war und blieb Unteroffizier H. Lr war begabt wie kein zweiter, aber von einem verbissenen Trotz, der mir auf Schritt und Tritt entgegenwirkte. Ich faßte ihn hart an, das war falsch. Sein Trotz artete in Hem mungslosigkeit aus. Lr wußte, daß er kein kriegsgerichtliches Verfahren zu fürch ten hatte, und rechnete damit. Nach den ersten Ruhetagen, als die Kompagnie wieder in Stellung rücken sollte, fehlte er beim Appell, er und noch zwei. Ich ließ das übrige Guchkommando zurück und marschierte ab. Am andern Morgen, im Gchlammtal, wurde er angebracht und vor mich geführt. Ich sehe ihn noch, wie er dastand auf dem Lattensteg, ohne Gewehr, seinen Knotenstock in der Hand, ein freches Lachen in dem bleichen sommersprossigen, vom Alkohol aufgedunsenen Gesicht. Lr war ausgefunden worden in einem Keller in Angres, wo er sich mit Proviant und einem liederlichen Frauenzimmer verbarrikadiert hatte. Zum ersten mal übermannte mich der Jähzorn. Am frühen Morgen, bei einem Feuerüberfall, hatte es wieder einen Toten gegeben, den wir eben eingebuddelt hatten und auf dessen Grab sie jetzt das Kreuz steckten. Ich geriet in maßlose Wut. Außer mir, brüllte ich ihn an. Nichts machte Lindruck aus ihn. Auch als ich vor ihm aus spuckte und ihm sagte, er sei nicht wert, bei den Kameraden im Friedhof zu lie gen, blieb er kalt und behielt sein höhnisches Grinsen. Ich hätte ihn ungestraft niederschießen können. Ich ließ ihn zwei Tage und Nächte unter Bewachung in der gefährlichsten Sappe arbeiten und piesackte ihn dann mit Aufträgen, bis er nicht mehr konnte. Das hals, aber nur oberflächlich. Lrst später entdeckte ich, wie ihm beizukommen war. Fast unerträglich wurde die Spannung in den letzten Tagen vor dem Sturm. Ich bemerkte bei meinen vor kurzem noch so apathischen Leuten Äußerungen einer düsteren, fast dämonischen Wildheit, es war wie der Schrei nach Rache für eine unsägliche Leidenszeit. Die Zerstörung eines Unterstands im Schlammtal durch einen Volltreffer, wobei fünf unserer Kameraden bis zur Unkenntlichkeit zerrissen wurden, schürte die verhaltene Wut. Die Natur selbst schien unsere auf geregte Stimmung zu teilen und steigerte sie noch, wechselnd zwischen Sturm und Schneetreiben und weichen lauen Winden, mitunter Schauspiele bietend von erhabener Großartigkeit. Wieder umgibt mich jene Stunde, als ich um zwei Uhr morgens auf der Dorfstraße in Angres die Kompagnie um mich versammelte. Während der kurzen Ansprache, die ich hielt, kam mir zum Bewußtsein, wie sehr ich eins geworden war mit meinen Leuten, und alle Zweifel an der Richtigkeit meines Handelns, die mich oft gequält hatten, fielen ab von mir. Stumm rückten wir vor. Mit größter Lautlosigkeit nahmen wir Ausstellung im Graben.
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