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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.09.1934
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- 1934-09-15
- Erscheinungsdatum
- 15.09.1934
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X: 216, 15. September 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtscha Buchhandel. teidigung. Es ist selbstverständlich mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß wir das Gebiet der Buchberichterstattung langsam von dieser Sorte der sie Ausübenden befreien. Eine weitere Frage ist cs, ob Dichter, Schriftsteller selbst sich als Buchberichterstatter betätigen sollen. Es geschieht bekanntlich heute in reichstem Maße, und es ist besonders auf Verlegerseite beliebt, da cs immer angenehm ist, eine Neuerscheinung mit dem Namen einiger bekannter Schriftsteller propagieren zu können. Hier spielt auch die Frage herein, ob nur der sich als Kritiker be tätigen dürfe, der die Fähigkeit besitzt, ein von ihm kritisiertes Werk besser zu schreiben als der, der seine Kritik zu erdulden hat. Wir haben bei einer anderen Gelegenheit schon darauf hinge- wicsen, daß cs unlogisch und unsinnig ist, diese Forderung an den Buchberichtcrstatter zu stellen. Es handelt sich hier um zwei ver schiedene geistige Funktionen, für deren Ausübung keineswegs die Personalunion Voraussetzung ist. Die buchbe sprechenden Dichter und Schriftsteller beweisen es zur Ge nüge, daß das Dichten und das Kritisieren zwei Tätigkeiten sind, die, streng in ihrer eigenen Gesetzlichkeit genommen, recht oft sich ausschließen. Ich habe schon oft und oft die Beobach tung gemacht, daß Dichter, denen man häufig als Buchbericht- crstattern begegnet, und deren Tätigkeit in der Buchberichterstat- tung einem Achtung abnötigt, als Dichter von geringer schöpferischer Kraft sind. Dichter sind leicht entzündliche Menschen. Sie sind es auch, wenn sie die Bücher ihrer Kollegen lesen. Es kann sein, daß einem Dichter in dem Buch eines Kollegen irgendeine, vielleicht ganz belanglose Einzelheit spontan mißfällt, er wird während der gan zen Lektüre des betreffenden Buches nunmehr dauernd unter dem Eindruck dieses Mißfallens stehen und diesem Eindruck auch bei seinem Bericht über das Buch Ausdruck geben. Was daraus ent steht, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Die etwa vorhan denen guten Seiten des Buches werden durch jene Mißfallens erregung und -bewegung so stark in den Hintergrund gedrängt, daß sie kaum Aufnahme in den Bericht finden. Natürlich liegt der Fall umgekehrt genau so. Irgendeine Einzelheit, irgendein be sonderer Zug mag bei der Lektüre eines Buches das besondere Gefallen eines Dichters erregen, es wird seinen Bericht so stark beherrschen, daß die anderen weniger guten Seiten des betreffen den Buches dabei ganz in den Hintergrund gedrängt werden und dann also auch auf diese Weise eine höchst einseitige Arbeit ent steht, über deren Wert oder Unwert an sich dabei gar nichts ge sagt werden soll, da sie in vielen Fällen ganz bestimmt das Er zeugnis einer schönen Begeisterungsfähigkeit und schöpferischen Erregbarkeit ist. Ob sie ihren Zweck als geistige Vermittlung in zuverlässiger Weise erfüllt, steht dann natürlich auf einem ganz andern Blatt, denn bei einem so hohem Maß an engbegrenzter Subjektivität fällt die notwendige Rücksichtnahme auf diese Wir kungen ganz oder fast ganz aus. Es braucht hier nur an das Bei spiel des kürzlich erschienenen neuen Buches eines bekannten und in seiner Bedeutung umstrittenen Schriftstellers erinnert zu wer den, das einiger besonderen Züge wegen dichterische Menschen ent zündet hat, die in ihren eigenen Werken sich zum Sprachrohr heroisch erMännlichkeit gemacht haben, und die hier als Zeugen für ein Werk auftreten, das mit Männlichkeit und Heroismus herzlich wenig zu tun hat. Wir sagten schon, Literaturkritik müsse in gewissem Rah men subjektiv sein. Aber gerade die Erregbarkeit des Dichters führt sehr häufig zu einer frühzeitigen Überschreitung dieser sub jektiven Grenzen, da der Dichter natürlich noch mehr als jeder andere ein neues Buch von seiner eigenen Erlebniswelt aus sieht und betrachtet. Paul Ernst schreibt in seinem Aufsatz über die literarische Kritik: -Von der Kunst selber verstehen ja natürlich immer die Künstler am meisten, die darf man aber hier nicht fragen, denn jeder Künstler wird alle Kritiker, welche gegen ihn gestimmt sind, für mindestens überflüssig, und die, welche ihn schätzen, nur deshalb für notwendig halten, weil sie ihm nützen: von seinem Standpunkt aus mit Recht, denn er will ja doch immer unmittelbar aus das Gefühl wirken, weiß, daß selbst be hutsames Dazwischenkommen des Verstandes schadet, und kann nicht ahnen, daß in verwickelten Zeiten das Gefühl derer, auf die er wirken will, seine Sprache vielleicht überhaupt noch gar nicht versteht, daß die Menschen, wie der Ausdruck lautet, zu ihm er zogen werden müssen.» Es bleibt jedem überlassen, der zu lesen versteht, hinter diesen Bemerkungen, die in der Art Paul Einsts manchem vielleicht etwas zugespitzt erscheinen, den in ihnen ent haltenen Wahrheitskern herauszusinden. Buchberichte, die Dichter zu Verfassern haben, mögen in vielen Fällen Zeugnisse einer mustergültigen Prosa fein, und als solche dem berufs mäßigen Kritiker immer noch als Vorbilder dienen, besonders wenn er das feine Gehör für die geheimsten Schwingungen hat, die oft derartige Arbeiten so sehr reizvoll und anziehend machen; aber im Hinblick auf die Wirkungen, die von Büchern aus gehen und ausgehen sollen, und auf die der Buchberichterstatter seine vornehmlichste Rücksicht zu nehmen hat, ist der Zuverlässigkeits grad von Buchberichten, die Dichter zu Verfassern haben, oft schwankend und gering. Natürlich wird der Verlag aber immer gerne mit solchen Urteilen arbeiten, sodaß gerade auf dieser Seite die Gefahr der Verwirrung dauernd im Hintergründe steht. »Dichter beurteilen sich gegenseitig fast immer falsch«, schreibt Paul Ernst in feinem Aufsatz über die literarische Kritik, und er drückt damit eine Beobachtung aus, die sich jedem schon oft be stätigt haben wird, der das literarische Geschehen aufmerksam ver folgt. Paul Ernst führt als Beispiele für diese seine Beobachtung u. a. Lessing an, der gesagt habe, daß er jedes Stück von Corneille besser machen könne als Corneille selbst, oder Dostojewski, der Tolstois Schriften für Gutsbesitzerliteratur erklärt habe. Oder Tolstoi, der von Dostojewski gesagt habe, »ein so unklarer Mensch dürfe doch nicht andere Leute auch noch unklar machen wollen», oder schließlich Goethe, der ja bekanntlich mit Heinrich von Kleist gar nichts anzufangen wußte. Diese Beispiele wären aus der Weltliteratur, aus der deutschen Literatur früherer Jahrhunderte und aus dem Schrifttum der Gegenwart nach Belieben zu ver mehren. Sic würden immer beweisen, daß ein Dichter von seinem eigenen Weltbild aus dem Weltbild eines anderen Dichters nie ganz gerecht werden wird, wobei wir hier natürlich nur an solche schöpferischen Kräfte im Schrifttum denken, die überhaupt fähig sind, in ihrem Werk ein eigenes Weltbild zu schaffen. Alle Einschränkungen, die wir uns hier im Hinblick aus die buchkritische Tätigkeit unserer Dichter zu machen erlauben, kom men — es sei, um Mißverständnissen vorzubeugen, noch einmal darauf hingewiesen — nur aus der Sorge, daß gerade heute nie vergessen werde, in welcher Weise ein Buch auf das Volk zu wirken vermöge, in welcher Weise es also im Volk selbst Gedanken, Leben, Tat zu werden vermöge. Dies abzuwägen, halten wir für eine der vornehmsten Aufgaben des Kritikers; für eine Aufgabe, die aber immer nur der wird ganz zuverlässig erfüllen können, der bei der Auseinandersetzung mit einem Buch sich selbst, soweit es sich um ein bewußtes Tun handelt, nach Möglichkeit vergißt, um um so stärker und gebieterischer das Volk vor sich zu sehen, das er zu einem neuen Buche hinführen, oder das er vor einem neuen Buche warnen möchte. Abgesehen davon, und abgesehen von dem dichterischen Zeugnis an sich, das ein Dichter mit der Arbeit über das Werk eines anderen Dichters uns schenkt, wird es immer eine schöne und ehrenvolle Aufgabe für einen Dichter fein, sich von seinem eigenen Schaffenskreis aus zum Zeugen für das Werk viel leicht gerade eines jungen, noch unbekannten Dichters zu machen, und wir werden immer unsere Freude daran haben können — es sei nur erinnert z. B. an die reizvollen Bemerkungen, die Gottfried von Straßburg in seinem Tristan über Walther von der Vogelweide machte, oder an die Arbeit etwa, mit der Hanns Johst sich für das erste Werk des jungen Dichters Erich Brautlacht einsctzte, oder an die zahlreichen literarischen Aufsätze Paul Einsts —, wenn wir nur nicht ganz der Vorsicht vergessen, die wir als Buchhändler und damit als Träger einer wichtigen kulturellen Aufgabe allem Neuen schuldig sind, das unseren Einsatz fordert, und das im Schwünge dichterischen Lobpreises uns oft besser erscheinen möchte, als es in Wirklichkeit ist — ich habe oben schon ein Beispiel ange führt, ich erinnere an zahllose Urteile von Dichtern, deren Werk uns heute wert ist, über Stefan Zweig etwa oder über Franz Werfel und viele andere, über deren Werk in seiner Bedeutung für unser deutsches Volk wir uns nach der anderen Richtung heute ebenfalls klar sind. Wer von uns hätte nicht schon kopfschüttelnd gestanden vor dichterischen Urteilen über Schriftsteller und ihre Bücher, deren Ablehnung für uns eine Selbstverständlichkeit war? (Fortsetzung folgt.) 807
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