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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.02.1936
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- 1936-02-20
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- 20.02.1936
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wir nur dann die ungeheuer schwierige und vielgeschmähtc Tätigkeit des Lektors richtig zu beurteilen vermögen. Ein Mensch, der nichts gelernt hat, wird, wenn er im Leben gescheitert ist, sicher nicht den Beruf eines Kesselschmiedes oder eines Tischlers oder eines Studienrats oder eines Regierungsbeamten ergreifen, aber ein Buch zu schreiben — so ist die weitverbreitete Ansicht — dazu reicht cs immer noch. Ich glaube, cs gibt überhaupt keinen anderen Beruf mehr, der dem Einströmcn hemmungslosesten Nichtlönnertums so preisgegeben ist wie der des Schriftstellers. Natürlich ist diesem Einströmcn heute durch die Errichtung der Reichsschrifttumskammer insofern ein gewisser Riegel vorge schoben, als in die Standcsorganisation nur der ausgenommen wird, der ein gewisses Maß von ernst zu nehmender Leistung schon erbracht hat. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß es der Lektor auch mit jenen 70—80°/» von Autoren zu tun hat, die n i c den Weg in die Reichsschristtnmskammer zu Ende gehen werden, deren »Werk« undiskutabcl ist, die davon aber so stur überzeugt sind, daß sie jeden für verrückt und böswillig halten, der sich eine Ablehnung herausnimmt. Ich glaube, auch hier wieder sagen zu dürfen, daß die Angehörigen weniger Berufe in dem Maße Empfänger von Schmähbriefeu sind wie die Verlagslektoren. Noch einmal sei es darum betont — wir alle, die wir uns um die innere Ordnung des Schriftstellerstandes, um die Befestigung seines Ansehens bemühen, müssen Zuständen wie den hier ge schilderten ins Auge sehen, denn nur, wenn wir selbst die Abwehr gegen sie in die Hand nehmen, werden wir unseren Stand davor bewahren können, daß er mit Erscheinungen belastet wird, für deren Vorhandensein er schlechterdings nicht verantwortlich ge macht werden kann. Das gespannte Verhältnis nun, das zwischen Lektor und Schriftsteller herrscht, besitzt schon eine gewisse überlieferte Ehrwürdigkeit; aber wenn es zu der großenAr- beitskameradschaft kommen soll, die gerade auf unserem Gebiet so notwendig ist wie das tägliche Brot, dann dürfen wir auch nicht in den Fehler verfallen, die andere Seite, den L e k t o r, für a l l e noch vorhandenen Miß- und Übelstände verantwortlich zu machen. Ein gewisses Maß von Spannungen ist gesund, aber das Ziel muß doch sein, daß der eine den anderen, der Schriftsteller den Lektor und der Lektor den Schriftsteller, in der besonderen Bedingtheit und Schwierigkeit seiner Arbeit versteht. Ich erinnere an die oben angeführten Zahlen. Es darf nun ja immer noch angenommen werden, daß eine kleine Anzahl von den hundertneunundneunzig abgelehnten Manuskripten für andere Verlage als für den, bei dem sie gerade eingegangen sind, in Frage kommt. Setzen wir einmal voraus, daß neunzehn davon dieses günstige Los beschieden ist, so bleiben immer noch ein- hundertundachtzig von zweihundert, also 80°/°, die der Ableh nung verfallen, die einige Monate, mitunter jahrelang von Ver lag zu Verlag wandern, um dann doch nicht oder immer nur zum geringsten Teil das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken, sondern schließlich wieder im Dunkel des Schreibtisches ihres Erzeugers zu verschwinden. Für die negative Entscheidung über diese 90°/° steht der Lektor verantwortlich, von dieser Verantwortung ver mag ihn niemand zu befreien. Da sie so groß ist, darf es für die Tätigkeit des Lektors nur die zwei obersten Grundsätze geben: Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit. Sich unter sie zu beugen, ist um so mehr notwendig und unerläßlich dort, wo der Lektor für seine Entscheidung nur dem Bcrlagsleiter gegenüber (und selbstverständlich seinem eigenen Gewissen gegen über) zu stehen braucht, während sein Name für den Menschen, den seine Entscheidung trifft, ungenannt im Hintergrund bleibt. Gewissenhaftigkeit fordern wir für die Prüfung der eingehen den Manuskripte. Sie ist freilich nicht durchweg eine Sache des Willens (als solche darf an ihrem Vorhandensein bei dem größten Teil der Lektorschaft wohl kaum gezweifelt werden), sondern auch — und als solche Gnade und Geschenk — Sache des Instinkts, des Fingerspitzengefühls, das mög lichst so ausgebildet sein sollte, daß Fehlentscheidungen, die nie ganz zu vermeiden sind, auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Kein Verlag kann sich ein so ausgedehntes Lektorat leisten, daß er alle eingehenden Manuskripte sozusagen von der ersten bis zur letzten Zeile lesen lassen kann. Wer je regelmäßig Manuskripte gelesen hat oder liest, kennt die zahlreichen Abstufungen des Lese- versahrens. Es gibt Manuskripte, bei denen spätestens nach dem zehnten Satz zu ersehen ist, daß nichts daraus zu holen und nichts damit anzufangen ist. Es gibt andere, bei denen einige zwanzig oder dreißig Seiten nötig sind, um Klarheit darüber zu haben; es gibt solche, bei denen das Durchblättern mit einzelnen Stich proben genügt. Und es gibt Manuskripte — wir begnügen uns damit, noch zwei Grenzsälle anzugeben —, in denen jener eine Satz oder Abschnitt hsrausgefunden werden muß, der das Ganze, das vielleicht schon Eindruck gemacht hat, als raffinierte Schaum- schlägcrci eines hohlen Köunertums entlarvt; — und das Gegen teil — in denen jener eine Sah oder Abschnitt herausgefunden werden muß, der hinter allem, vielleicht sonst noch anfängerischen und hilflosen Gestammel das Talent, die wirkliche, echte, hoff nungsvolle Begabung aufleuchten läßt. Denn cs ist keineswegs so, daß alle Verfasser der 90"/» der zur Ablehnung gelangenden Manuskripte unfähige Pathologen seien. Wenn ihre Zahl auch nicht unbeträchtlich ist, so gilt cs um so mehr, diejenigen heraus- zusuchcn, bei denen es tiefer geht. Nunmehr hat zu der Gewissenhaftigkeit der Prüfung die Ehrlichkeit der Stellungnahme dem Verfasser gegcnüberzu treten. Wir müssen un bedingt abkommen von der Pflä st erchen-Methode und dazu gelangen, daß gewonnene Urteile den Betroffenen in aller Offen heit zur Kenntnis gebracht werden, ganz unabhängig davon, wie diese unter Umständen darauf reagieren werden. DasPflästerchen ist nicht nur eine FIuchtvor der Verantwortung, es ist auch ein feiges Weiterschiebender Verantwortung an den Kollegen des an deren Hauses, an das das abgelehnte Manuskript nunmehr ge sandt werden wird. Die Verwendung des Pflästerchens ist außer dem unmoralisch und schädigt die Achtung vor sich selbst, denn es schließt ein Handeln wider besseres Wissen und Gewissen ein, ein Handeln also, für das der Schriftleiter der Tageszeitung schwer gestraft wird. Natürlich ist diese Offenheit mit einem gewissen Maß von Rücksichtslosigkeit den Ge fühlen des Betroffenen gegenüber verbunden und verlangt daher den Mut zur Härte. Es ist ja nicht die Aufgabe des Lektors, auf geblasene Unfähigkeit mit weichen Sammethänden zu streicheln, er hat dem deutschen Schrifttum zu dienen, und in seiner Hand liegt weitgehend die Entscheidung darüber, was dem Volk an geistiger und seelischer Nahrung geboten wird und wofür das Volk das bißchen Geld ausgibt, das es für die Befriedigung dieser Nahrung zur Verfügung hat. Also noch einmal: k e i n P f lä ster- chen, Herr Lektor, sondern Offenheit! Wer dürfte sich heute herausnehmcn, in einer Zeit, die die Anspannung aller Kräfte erfordert, einem anderen eine schon geleistete Arbeit, deren Ergebnis bereits bekannt ist, noch einmal zuzumuten, nur weil man selber nicht den Mut hat, schließlich auch jemand wehzutun, wenn es um der Sache willen unerläßlich ist?! Zu diesen Pflästerchen gehören auch die üblichen unverbind lichen Freundlichkeiten, die unserer heutigen Zeit gar nicht mehr ent sprechen; jene Phrasen vom V c r l a g s r ah iki e n, in den das ein gesandte Manuskript nicht Passe oder von dem Verlagspro gram m, das immer in dem Augenblick abgeschlossen wird, in dem ein Manuskript zurückgeschickt werden muß, ohne daß man dem Ein sender gegenüber eine klare Stellungnahme zum Ausdruck bringen möchte. Man schreibe in solchen Fällen doch lieber: »Wir lassen Ihnen Ihr Manuskript ungeprüft zurückgehen, da wir auf ab sehbare Zeit hinaus nicht in der Lage sind, Neuerwerbungen zu machen». Diese Mitteilung hat den Vorzug für sich, daß sie ehr lich ist, und daß sie im Einsender nicht den Eindruck erweckk, als ob seine Arbeit von besonderem Wert sei. Dieser Eindruck wird aber gerade dort hervorgerufen, wo ein Manuskript mit einem freundlichen Begleitschreiben zurückgeschickt wird, dessen Inhalt dem tatsächlich gewonnenen Urteil nicht entspricht und in dem, wie schon angedeutet, das bereits abge schlossene Verlagsprogramm die berüchtigte Rolle spielt. Auf diese Weise kommen z. B. Absagebriefe folgender Art zustande: »Wir freuen uns, Ihnen Mitteilen zu können, daß Ihre Gedichte nationalsoziali- 159
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