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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.07.1935
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- 1935-07-25
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- 25.07.1935
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170, 25. Juli 1SSS. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. Zustand und Zukunft der deutschen Volksliteratur*) Von Eberhard Lasper Eine Zeit, die mit dem Begriff »Volk« ein lebendiges Ganzes meint, dem jeder zu dienen hat, wird unter Volksliteratur etwas anderes verstehen als eine Zeit des literarischen Intellektualis mus. Ist die Gemeinschaft das Vornehmste und der einzelne nur Diener, dann bedeutet Volksliteratur: auserlesene Literatur, die allen verständlich ist und alle verbindet. Ist der einzelne oder eine Klasse das Vornehmste, dann gilt häufig das Originellste um seiner Originalität willen als das beste. Man versteht dann unter Bolksliteratur etwas Zweitklassiges, das man mit Gering schätzung anderen überläßt. Wer heute die Frage nach der deutschen Bolksliteratur stellt, wird verschiedene Auskunft erhalten. Einmal werden Bücher unserer besten lebenden Dichter und Schriftsteller genannt werden, ein andermal wird mit halbem Lächeln — etwas verschämt — auf die Courths-Mahler und ihre Nachkommenschaft verwiesen werden. Ein Gewissenhafter fragt vielleicht den Buchhändler, ein anderer den Volksbibliothekar, ein dritter den Verleger. In der Buchhandlung werden dem einen Hans Friedrich Blunck, Hans Grimm, Löns u. a. aus Buchumschlägen und in Besprechungen als Bolksdichter nachgewiesen und für die Werke der Eschstruth die Bezeichnung »Schundliteratur- gebraucht. Beim Volksbibliothekar erfährt man, daß als echte Volksdichter Storm und Gottfried Keller, Stifter, Löns und andere zu bezeichnen sind. Wer aber zu dem Verleger geht, wird bald etwas von einer Gruppe der »Verleger für Volksliteratur- hören. Mit viel Inter esse sieht man die Kataloge durch und findet: lauter unbekannte Namen! Wer kennt die Werke der Friede Birkner, der Panhuys, wer kennt die Romane der Lola Stein, der Gert Rotberg und der Lehne? Denen, die Dichtung und Literatur lesen, werden diese Bücher unbekannt sein. Wer aber ein paar von ihnen zur Hand nimmt und durchblättert, findet noch immer den Grafen, die Zofe, den treuen Kammerdiener, den unerbittlichen Herrn Vater und die Hindernisse des Standes in Liebe und Ehe. Der Name »Verleger für Volksliteratur« ist in einer Zeit des Klassenhasses mit diesem Schrifttum verbunden worden. Er kennzeichnete außerdem die Verleger der sogenannten Groschen hefte, die von schauerlichen Abenteuern, von Meisterdetektiven und blutigen Liebestragödien erzählten. Durch unbekannte Kanäle ist diese Literatur in weite Volkskreise geleitet worden, und mancher ist erstaunt, wenn er bei dieser Gelegenheit die Zahl der Neuerscheinungen und die Auslagenziffern erfährt. Noch im Jahre 1930 wurden etwa dreißig Millionen 'Groschenhefte ver kauft. Noch im Januar 1935 mußte die Anzahl der neuerschie nenen Bücher minderwertiger Unterhaltungsliteratur auf hundert bis hundertfünfzig Werke geschätzt werden, die in einer Durch schnittsauflage von zweitausend bis dreitausend Stück erschienen. Wo kommen die Hefte hin? Wo werden sie verkauft? Jedenfalls nicht — das muß man anerkennend feststellen — in den Buch handlungen. Man macht den Sortimentern heute oft den Bor wurf, sie seien unpopulär, kein einfacher Volksgenosse wage, eine Buchhandlung zu betreten. Bedenkt man dabei aber auch, daß man den Buchhandlungen damit zugleich den Vorwurf macht, daß sie nicht die Schundliteratur führen, zu deren Lektüre weite Volkskreise durch jahrhundertelangen Einfluß verantwortungs loser Buchfabrikanten angehalten worden sind? Es gibt hier zweifellos viele Für und Wider. Eines aber muß hervorgehoben werden: Einsatz für die Volksliteratur kann erst dann gefordert 'j Wir geben diesem anregenden Aufsatz gern Raum, ohne im einzelnen allen Gebankengängen und Formulierungen des Verfas sers zuzustimmen. Wir befinden uns hier auf Neuland und sind da her der Ansicht, daß auch gelegentlich eine sprachlich überspitzte Be merkung nichts schaden kann, wenn sie geeignet ist, den Blick aus das Problem zu lenken. Die Schristl. K08 werden, wenn sie ihn verdient. Sieht man sich die Volkslite ratur unserer Zeit an, so bleibt noch vieles zu wünschen übrig. Es hat keinen Sinn, die beste deutsche Dichtung mit Volkslite ratur -zu bezeichnen. Volksliteratur ist das, was tatsächlich vom Volke gelesen wird, und diese Bolksliteratur enthält heute noch keine Werte und ist noch nicht annähernd dem Begriff »Volk« angepaßt, den unsere Zeit geprägt hat. Es ist nämlich falsch, von Volksliteratur als einem erstrebens werten Ideal zu sprechen, oder die Dichtung als Volksliteratur zu bezeichnen, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte hindurch immer wieder Verleger und Leser fand. Ihr Absatz ist auf die sogenannte Bildungsschicht beschränkt geblieben. Dem Volk ist noch der gleiche Schund angeboten, den ihm die Vorkriegszeit angeboten hat. Wer an diese Fragen rührt, erhält von vielen Seiten den Zuruf: »Die Leute wollen nun einmal solch minderwertiges Zeug lesen, da kann man nichts machen«. Das ist die Antwort derer, die keinen Mut haben, das, was sie selbst für gut halten, durch zuführen, oder die zu bequem sind, sich einer schwierigen Arbeit zu unterziehen. Es gibt heute Mittel, auch diese Mißstände abzustellen. Die Reichsschrifttumskammer hat mit der Abteilung VIII (Schrifttum) des Reichsministeriums für Volksausklärung und Propaganda zu sammen die einleitenden Schritte unternommen. Es gibt heute eine Beratungsstelle der Verleger für Volksliteratur. Es ist zu wün schen, daß die Reichspressekammer eine ähnliche Stelle für die großen Korrespondenzbüros einrichtet oder sich dieser Arbeit un mittelbar anschließt. Damit wird aber nur die Hilfe geleistet, die der Staat in solchen Fällen zu leisten vermag. Was er nicht kann, ist: selbst Volksliteratur schreiben. Darin liegt die Haupt schwierigkeit. Was nützt schließlich der beste Wille, das Niveau zu heben, wenn nichts da ist, womit man es heben kann? Hier wird mancher erstaunt auf die Dichter unserer Zeit verweisen und fragen, warum man ihre Werke nicht an die Stelle der Schund literatur setzt? Mit dieser Frage bringt er alle, die an der Lite ratur unserer Zeit lebhaft interessiert sind, in Verlegenheit. Denn unsere Dichter schreiben nicht so, daß ihr Volk sie liest. Das ist eine feststehende — nicht rühmenswerte — Tatsache. Wir wollen hier nicht untersuchen, welche Gründe dafür vorliegen, sondern die Gründe feststellen, die so unzählige Leser veranlassen, an der Schundliteratur festzuhalten. Was verlangt denn der »Leser aus dem Volke» vom Buch? Unterhaltung! Was heißt das? Es heißt das, was das Wort sagen will: Das Buch soll die Beschäftigung der Menschen übernehmen. Die Haltung aus eigener Kraft soll aufgegeben werden können, um auszuruhen, indem man sich einem Buch überläßt. Das ge schieht um so besser, je mehr man sich selbst über dem Buch ver gißt — um so besser, je spannender es ist. Selbst die Körperhaltung kann dabei verloren gehen. Wie leblos und teilnahmslos sitzt ein angespannt lesender Mensch da! Alle Erzieher haben von jeher gewünscht, dem Leser in solcher Selbstvergessenheit Werke zu ver mitteln, die aufbauende Geistesstoffe für ihr eigenes waches Dasein sind. Alle Leser dagegen werden aus Bequemlichkeit zunächst die Selbstvergessenheit, die Ablenkung, die Unterhaltung wünschen. Der Schriftsteller — und auch der Dichter — der sich heute ver pflichtet fühlt, an der Volksgemeinschaft mitzuarbeiten, muß auf Spannung in seinen Büchern achten. Er muß seinem Werke in erster Linie die Kraft verleihen, die Leser zu entrücken, sie selbst vergessen zu machen, sie nach seiner eigenen Haltung in der Phan tasie leben zu lassen, und muß seine eigene Haltung durch Kräfte bestimmen lassen, die fein Volk zu fesseln vermögen. Wenn diese Forderung von den Schriftstellern und Dichtern ernst genommen wird, wird auch eine Dichtung entstehen, die vom Volke gelesen wird: eine gute deutsche Volksdichtung.
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