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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.02.1914
- Strukturtyp
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- 1914-02-25
- Erscheinungsdatum
- 25.02.1914
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- Deutsch
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^ 46, 25. Februar 1914. Redaktioneller Teil. VSrscnblall f. d Dtschn. vuchhande!. Vorredner hat sich, wie auch schon andere Herren Redner, mit verschie denen gerichtlichen Entscheidungen beschäftigt, durch welche in den letzten Zeiten Postkarten mit Nachbildungen von Wer ken bildender Kunst für unzüchtig erklärt worben sind. Ich stimme selbstverständlich allen den Herren durchaus zu, die da ausge- sührt haben, daß der Schmutz in Schrift und Bild energisch bekämpft werden mutz; und ich bin fest überzeugt, daß darüber in diesem hohen Hause auch nur eine Stimme sein kann. Die Schwierigkeiten, meine Her ren, beginnen erst dann, wenn es sich um die Verbreitung von Nachbil dungen von Kunstwerken handelt, und zu diesem Punkt ist eine Reihe von einzelnen Fällen angeführt. Ich kann mich zu diesen einzelnen Fällen nur im allgemeinen äußern; sie sind mir in ihren Einzelheiten nicht bekannt, und ohne diese Kenntnis ist es natürlich nicht möglich, zu ihnen Stellung zu nehmen. Wenn man z. B. hört, daß Postkarten mit Abbildungen von Bildern anerkannter Meister, deren Originale in Museen hängen, für unzüchtig erklärt worden sind, so gebe ich gern zu, daß eine solche Entscheidung zunächst überrascht. Sieht man aber dann bei näherem Eingehen auf die Sachlage, daß die Karte von dem betref fenden Händler etwa in einer Umgebung, die die Lüsternheit wachruft, vielleicht zusammen mit obszönen Darstellungen feilgeboten wurde, dann gewinnt die Sache ein durchaus anderes Gesicht. Im übrigen will ich gar nicht bestreiten, daß inan über die Richtigkeit der einen nnd anderen Entscheidung auf diesem Gebiet verschiedener Meinung sein kann. Wer sich jemals mit diesen Fragen näher beschäftigt hat, weiß, welche Schwierigkeiten die Abgrenzung der Begriffe des Unzüchtigen bietet, und es ist nur natürlich, daß dabei in Ermangelung eines allge mein gültigen greifbaren Maßstabes die Ansichten im einzelnen Falle auseinanüergehen. Man wird aber aus solchen einzelnen Entschei dungen weitgehende Entschlüsse nicht ziehen dürfen. Das Reichsgericht hat bei Auslegung der maßgebenden Bestim mungen über die Verbreitung unzüchtiger Schriften und Abbildungen ständig die Auffassung vertreten, daß die bildliche Darstellung des Nackten an sich ebensowenig unzüchtig ist wie der unverhülltc menschliche Körper selbst. Ebensowenig hat sich das Reichsgericht der Erkenntnis verschlossen, daß durch die vorherrschende künstlerische Idee auch bei Darstellungen sinnlicher Schönheit die sinnliche Empfindung zuriickgeürängt und damit eine Verletzung des Scham- und Sittlichkeits gefühls ausgeschlossen wird. Damit wird grundsätzlich der Kunst die jenige Bewegungsfreiheit gewährleistet, deren sie zur Vollentfaltung ihrer Kräfte bedarf. Auf der anderen Seite hat das Reichsgericht in ebenso ständiger Rechtsprechung angenommen, daß Reproduktionen von Kunstwerken, insbesondere in Postkartenform in einer Weise mißbraucht werden kön nen, daß sie zu unzüchtigen Abbildungen werden. Der Mißbrauch kann in der Art der Darstellung liegen, indem z. B. — das hat auch der Herr Abgeordnete Oertel angeführt — unter Verzerrung des künstle rischen Charakters des Urbildes das Grobsinnliche in den Vordergrund gedrängt wird. Er kann aber auch in den äußeren Umständen der Zur schaustellung, in geflissentlicher Zusammenstellung einer Reihe von Nacktdarstellnngen und anderem gefunden werden. Das Reichsgericht hat sich nun, wie hier schon angeführt ist, vor einigen Tagen erneut mit diesen Fragen beschäftigt. Das Landgericht I Berlin hatte einige Kar ten lediglich aus dem Grunde für unzüchtig erklärt, weil sie Abbildun gen von nackten männlichen nnd weiblichen Körpern darstellten und als Massenmaterial zur Verbreitung im großen Publikum bestimmt waren. Das Reichsgericht ist dieser Auffassung entgegengetreten. Ich habe eine Abschrift des Urteils heute erhalten nnd bin in der Lage, den Herren einige Sätze aus dieser neuesten Entscheidung vorzutragen. Das Reichsgericht führt aus: »Zum Begriffe des Unzüchtigen gehört notwendigerweise eine Beziehung zum Geschlechtsleben. Eine Schrift oder eine Abbildung ist nach 8 184 des Strafgesetzbuchs nur insofern unzüchtig, als sie das im Volke herrschende allgemeine Scham- nnd Sittlichkeitsgefllhl in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen geeignet ist. Die Darstel lung des nnverhiillten menschlichen Körpers wird aber, wie das Reichsgericht wiederholt ausgesprochen hat, für sich allein in der Regel nicht geeignet sein, eine solche schamverletzende Wirkung her vorzurufen. Es müssen besondere, das Geschlechtsleben berührende Umstände hinzutreten, nm dasjenige, was zunächst nur die natürliche Erscheinung des natürlichen Menschen ist, zu einer unsittlichen oder schamlosen Erscheinung umzuwandeln.« An einer anderen Stelle des Urteils wird ausgeführt: »Daß Werke der Bildhauerkunst, in denen der nackte Körper des Menschen zur Erscheinung kommt, sich auch den Blicken von Personen zeigen, die das Künstlerische an ihnen nicht zu erkennen und nicht zu würdigen vermögen, deren Auge vielmehr am Geschlechtlichen haften bleibt, wird sich niemals vermeiden lassen. Wäre die Rücksicht ans sie allein maßgebend, dann mühte jede Aufstellung solcher Bildwerke im Freien und jede Verwendung derselben zum Schmuck der Gärten und Häuser unterbleiben. Das wäre unerträglich. In der Wirklich keit wird denn auch eine so weitgehende Rücksicht nicht geübt. Bild werken mit der Darstellung unverhiillter menschlicher Gestalten begeg net man in den öffentlichen Anlagen unserer Großstädte häufig, und die Allgemeinheit pflegt keinen Anstoß daran zu nehmen, daß sie auch Unerwachsenen und Ungebildeten zu Gesicht kommen, die in dem Nackten vielleicht nur das schlechthin Gemeine erblicken. Kann aber nicht angenommen werden, bah die öffentliche Aufstellung von Kunst werken solcher Art den herrschenden Anschauungen über Zucht und Sitte zuwiderläuft, so leuchtet nicht ein, wie das Zurschaustellen von photographischen Abbildungen dieser Werke, vorausgesetzt, daß sie die künstlerische Bedeutung des Originals noch erkennen lassen, und der Umstand, daß die Bilder zur Massenverbreitung bestimmt sind, ihnen den Stempel des Unzüchtigen soll ausdrücken können.« Daß diese Grundgedanken an sich richtig sind, ist hier schon mehrfach hervorgehoben worden. Sachgemäß angewendet, führen sie zu ge sunden Ergebnissen, und ich möchte noch Mitteilen: auch die Strafrechts kommission hat sich zu einer Änderung der Bestimmungen des zurzeit geltenden Strafgesetzbuches nicht veranlaßt gesehen. Zum Schluß bitte ich, mit einigen Worten noch auf die Be schlagnahme von Postkarten in der Dresdener Ga lerie übergehen zu dürfen. Soweit mir bekannt, ist die Unbrauch barmachung in einem Strafverfahren ausgesprochen worden, das gegen einen Postkartenhändler anhängig war, und in dem sich die Unzüch tigkeit aus den Umständen des Vertriebs ergab. Meine Herren, ob in derartigen Fällen in der Tat die Unbrauchbarmachung aller Post karten, einerlei, wo sie sich befinden und wie sie verbreitet werden, ausgesprochen werden muß, oder ob es nicht dem Gesetze mehr entspricht, sich auf die Einziehung derjenigen Karten zu beschränken, die sich bet dem abgenrteilten Händler befinden, das scheint mir noch weiterer Klärung zu bedürfen, und es wird eine Aufgabe der Rechtsprechung sein, diese Frage erneut der Prüfung zu unterziehen. Vizepräsident vr. Paaschc: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Warmuth. (Zuruf: Er hat verzichtet!) Dann hat das Wort der Herr Abgeordnete Heine (Dessau). Heine (Dessau), Abgeordneter: .... Das Dritte, was ich kurz erwähnen will, ist die Frage des Vorgehens gegen die Kunstwerke, die unter den Begriff des Un züchtigen gebracht worden sind. Auch hier muß ich sagen: schuld an der ganzen Verwirrung ist das Reichsgericht. Erstens hat es aus dem ganz klaren § 184 des Strafgesetzbuchs, aus dem Begriff der Un züchtigkeit das entfernt, was früher jeder darin gesehen hat, was Sie in den älteren Kommentaren von Olshausen noch heute finden können, daß nämlich zu dem Begriff des Unzüchtigen die Absicht der Erregung der Stnnenlust gehört. Das hat das Reichsgericht zunächst heraus- eskamotiert. Dadurch ist dann die Praxis entstanden, die jede Darstel lung eines nackten, namentlich eines nackten weiblichen Körpers als unzüchtig ansieht. Dieser Meinung liegt doch am Ende nichts zugrunde als eine perverse Vorstellung des Beschauers, der sich ein lebendiges Weib so nackt im Schaufenster stehend denkt, wie das Bild dort hängt. Freilich, wenn das lebendige Weib dort nackt stände, könnte man das mit Recht als unzüchtig bezeichnen. Aber ein Kunstwerk ist eben kein lebendiger Mensch. Ans dieser, ich kann schon sagen, perversen Vor stellung, immer bei jedem Kunstwerk sich zu denken: wie wäre daS, wenn das meine Frau oder meine Geliebte wäre? ist diese ganz ver rückte Judikatur entstanden, und daran ist das Reichsgericht schuld. Zweitens ist das Reichsgericht so weit gegangen, Werke der Kunst und der Wissenschaft nicht davon ans,zunehmen. Sie finden in den älteren Ausgaben des Kommentars von Olshansen noch den lapidaren Satz, daß Werke der Kunst und Wissenschaft niemals als un züchtige Werke angesehen werden könnten. Er hat das später heraus streichen müssen, weil das Reichsgericht das Gegenteil angenommen hat. Die dritte Stufe ist die, daß sich das Reichsgericht auf den Stand punkt gestellt hat: Werke, die selber nicht unzüchtig sind, werden un züchtig durch ihre Reproduktion. Zunächst hat das Reichsgericht dies auf den Fall beschränkt, daß die Reproduktionen als solche künstlerisch nnd technisch keinen Wert hätten. So hat man seinerzeit einen nicht übermäßig gelungenen Farbendruck nach der schlafenden Venus des Giorgione in der Dresdener Galerie für unzüchtig erklärt, weil der Druck nicht besonders gut wäre. Man muß sich nun vergegen wärtigen, daß heutzutage die schlechtesten Postkartendrucke an künst lerischer Vollendung über dem stehen, was uns in unserer Jugend an Photographien und anderen Reproduktionen geboten wurde. Damals hat kein Mensch daran gedacht, daß sic deshalb unzüchtig wären, weil die Drucke nicht sehr vollendet waren. Schließlich ist man aber auch dazu übergegangen, Reproduktionen, welche schon als Reproduktionen Kunstwerke waren, als unzüchtig zu erklären. Hier (auf den Tisch des Hanfes zeigend) liegt vor Ihnen die Mappe, die ich hingclegt habe, von Photographien aus dem Verlag 817
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