Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.10.1935
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1935-10-12
- Erscheinungsdatum
- 12.10.1935
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19351012
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-193510126
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19351012
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1935
- Monat1935-10
- Tag1935-10-12
- Monat1935-10
- Jahr1935
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
238, 12. Oktober 1935. Redaktioneller Teil Börsenblatt s. d. Ttschn Buchhandel. See, der Dünen. Die Männer und Frauen sind hart, aber in ihrer ganzen Art liegen zugleich Tiefe, Verschlossenheit und Helle, Offenheit. Man spürt insgeheim die Sehnsucht der Menschen nach dem Leben. Da schwingen sich hin die unendlichen Wälder, Seen und Hügel, die vielen Burgen aus der frühen Zeit der Ordens ritter, als diese Pionierdienste für die Kultur leisteten, da ist die wunderbare masurische Seenplatte, die in ihrer Einsamkeit die Künstler bislang immer noch zur schöpferischen Gestaltung an getrieben hat, sie innerlich frei machte, sie löste! Fürwahr eine herrliche Landschaft, die den Deutschen im Reich viel zu un bekannt ist. Wie stand es nun um die kulturelle Bewegung dieses Landes und wie steht es heute um die kulturelle Beweglichkeit? Es hat an schöpferischer Regsamkeit in dieser Landschaft, das muß nicht erst besonders betont werden, nicht gefehlt. Die ganze Geistesart der Ostpreußen, die immerhin Namen wie Kopernikus, Kant, Schopenhauer, Hamann aufzuweisen hat, gruppiert sich um zwei Kulturkreise, um zwei Städte: Königsberg und Danzig. Nadler hat diesen Gegensatz einmal auf Weichselland und Preußen (Preußenstaat) gebracht, und nach eingehender Begründung so formuliert: »Preußen und das Weichselland sind zwei verschiedene geistige Landschaften. Sie sind cs durch das andere Klima. In Marienburg ändert sich das Wetter. Sie. sind es durch zweierlei Grundvolk, dort Slawen, hier Preußen. Sie sind es durch den Menschenschlag, der in Preußen schwer und schweigsam, im Weichsellande beweglich und zungenfertiger ist. Sie sind es zu tiefst durch die Geschichte. Das Weichselland hat niemals seine Ordcnsvergangcnheit abgeschworen. Es kam vom Orden un mittelbar unter Polen und brachte mit der Marienburg 1772 die Ordensluft wieder in die neu geschlossene Gemeinschaft. Preußen war durch Absage an den Orden Staat geworden und hat sich erst langsam wieder an seine Ordensvcrgangenheit gewöhnen müssen und das mehr mit denn Verstand als mit dein Herzen. Weichselland ist Mittelalter, Preußen ist Reformation.« Jn. dieser verstandesmäßigen Geisteshaltung findet man die preußische Kultur Jahrhunderte hindurch wieder. Sie ist also kaum durch künstlerische Problematik beeindruckt worden. Die Königsbergcr Albcrtusuniversität ist der eine geistige, for mende Mittelpunkt, voir dem aus nun alle produktiven Geistes kräfte des Landes erfaßt wurden. Von dieser gleichmäßigen Bil dung her kommt es auch dazu, daß all den großen Geistern dieser Landschaft etwas von Großzügigkeit und naiver Sicherheit fehlt, die bei anderen deutschen Stämmen so oft als Grundelement angetroffen werden. Den Preußen wird alles zum kategorischen Imperativ. Das geht von Gottsched bis zu Arno Holz. Das ordnende Prinzip, das alles Überpersönlichc und Unpersönliche rangiert und pflichtgemäß feststellt, formt die Träger dieser Geisteskultur zu gesetzgeberischen Menschen. Sie beherrschen in manchen Epochen klar die deutsche Dichtung mit ihrer Theorie. Auf anderen Gebieten ist es das Gleiche. Man nehme sich die Herderschcn Gesetze vom geschichtlichen Werden, die ein Zeitalter berückten, oder Kants kategorischen Imperativ, der heute noch gilt, oder E. T. A. Hosfmanns Spiel mit den Grenzen von Traum und Wirklichkeit, metaphysisch eingeordnet, einer fantastischen Welt als zugehöriger Gegensatz verbunden, jedoch innerhalb einer realen Welt lebend — kein schweifender Träumer, sondern ein »Preuße des Fantastischen«. Diese Geister sind vorstoßend, stür men immer wieder einmal zu ihrer Zeit ansprucherhebend durch das Land in frischen, nachgewachsenen Kräften. Oder wer hat z. B. Tiefsinnigeres in Deutschland zuerst über die Sprache gesagt denn Hamann und Herder?! Das Drama großen Stils hat uns diese Landschaft nicht be schert. Sudermann und seine Epigonen sind nicht über das kon ventionelle Unterhaltungsschauspiel hinausgekommen. Tiefer, ent scheidender, den Urkräften näher ist Alfred Brust mit seinen dramatischen Dichtungen gekommen. Sein »Tolkening« Dramen zyklus zeigt hier bedeutende Ansätze zum großen Drama. Die Lyrik hat erst in der Neuzeit sich der Gestaltung land schaftlich gebundener Dichtung mehr zugewandt. Mit großartigem Schwung erfaßt Agnes Miegel den sinnlichen Moment des 8S0 Gesühlserlebens, wird an ihm sprachschöpferisch und findet durch Verdichtung der balladenhaften Form den ihr eigenen Balladenton. Dieser schlichten Beschränkung (in der Form) der Erlebniswcite stehen so übermäßig ausschweifende, freie Rhythmen wie die eines Arno Holz gegenüber, der mit der alten Reimtradition brach und durch zielbewußten Gebrauch seiner Sinne zu so konsequenten Ausdrucksformcn fand wie in seinem »Phantasus«. Daneben die Gedankenlyrik Siegfried von der Trencks,die voller metaphysischer Sehnsucht ist. Schließlich die Prosa. Auch hier vorangehend Agnes Miegel mit ihren »Altpreußischen Geschichten«. Oder aber Alfred Brusts Roman »Verlorene Erde«, der auch wieder die Zusammenhänge dieses so früh Verstorbenen mit den Ur kräften andeutet. Die Dichtungen Ernst Wiecherts haben stattliche Auflagen erfahren. Oder Johanna Wolfs aus Tilsit, deren bedeutende schöpferische Kraft lange Jahre hindurch verkannt worden ist und die mit ihren beiden biographischen Romanen »Das Hanneken« und »Hannekcns große Fahrt« Zeug nis reifster Ostpreußcnkunst ablcgte. Und wie die Alten sich durch gesetzt haben, so ringen auch die jungen, nachwachsenden Kräfte um Anerkennung. Dagegen ist das Weichselland niemals so eindringlich geistig gewesen. Hier neigen sich die Menschen mehr den bildenden Kün sten zu, machen so den Gegensatz zu den mehr zur Wortkunst neigenden Preußen aus. Scheerbart und Max Halbe mit ihren romantischen Neigungen stimmen mit den Grundkrästen dieser Landschaft gut überein, die ins Mystische im Gegensatz zum Königsbergcr Kreis verweisen. Indessen hat Danzig z. B. einen sehr regen Zeitungs- und Zeitschriftendienst. Die nun schon über fünfzehn Jahre für das deutsche Volkstum streitenden »O st - deutschen Monatshefte« erscheinen in Danzig und er freuen sich eines guten Rufes sowohl in, Inland als im Ausland und bei den deutschen Volksgruppen im Osten. Jedoch hat Danzig, das Weichselland kein so geistiges Gesicht wie Königsberg, viel leicht wegen der später einsetzcndcn geistigen Entwicklung. Zn Danzigs landschaftlicher Umgebung gehören die großzügigen Bau werke aus der Blütezeit Danziger Handels, die es Königsberg wie derum voraus hat. Es fehlt im Osten also an. kultureller Beweglichkeit nicht. Die Gegensätzlichkeit der beiden Kulturzentren der Provinz ist Zeichen für ein regsames Geistesleben. Das ist mit von ent scheidender Bedeutung, da die deutsche Kulturbewegung gerade im Osten für die Gegenwart zu einer Lebens- und Schicksalsfrage des Deutschtums überhaupt wird. Gewiß wachsen eigenwillige schöpferische Kräfte im Osten Deutschlands heran, aber allein kann der deutsche Osten sich nicht durch sie heute mehr kulturell tragen lassen. Im wechselseitigen Wirken, im Jneinandcrüber- gehen der Vielseitigkeit deutschen Lebens liegt die Kraft des Deutschtums auch im Verhältnis von Ostpreußen, deutscher Osten und Reich. Es ist daher eine der aktuellsten Fragen — auch aus die Dauer gesehen —, den deutschen Osten, namentlich Ostpreußen, in kulturellem Zusammenhang mit dem Reich sein zu lassen und diese Zusammenhänge nachhaltigst zu Pflegen. Ostpreußen ist Deutschlands Eckstein und deshalb von scgeubringender Kraft als Kulturpionier, aber auch besonders gefährdet, weil von fremden Zungen umbrandet. Das Problem ist, daß die Kräfte und Träger der deutschen, der ostdeutschen schöpferischen Geistigkeit, Kunst und Dichtung seßhaft bleiben und nicht in ihrer Sehnsucht nach dem Westen ins Reich abwandern. Heute, wo Gesamtdeutschland ein einheitliches und kulturelles Gesicht hat, wo ein kultureller Gestaltungswille vorhanden ist, wird es sich zeigen, wie mächtig und entscheidend die eigenständige schöpferische Beweglichkeit des Ostpreußen ist. Alle Deutschen hat ein großer nationaler Rhythmus erfaßt. Der einzelne Mensch geht unter in der Volksgemeinschaft. Mit ihr wächst und blüht das Reich. Ostpreußen, ostdeutsche Land schaft, ostdeutsches Menschentum und das Reich sind untrennbare Einheit. Wer diese Landschaft, diese Menschen, ihre geistige Reg samkeit, die Künstler der Provinz kennt, der hat, das kann man gewißlich sagen, den Rhythmus des ewigen Deutschland ver nommen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder