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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.12.1914
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1914-12-03
- Erscheinungsdatum
- 03.12.1914
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- Deutsch
- Sammlungen
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Redaktioneller Teil. 28V, 3, Dezember 1914. Haftes Schießen, Mir aber lagen ln Reserve hinter einer Hecke,! schmiegten »ns, so gut es ging, der Erde an und holten jedes mal tief Atem, wenn solch ein kleiner blauer Brummer über uns weg in die Sommerluft summte, um vielleicht dem gutmütigen Weidcvieh, das gemächlich weitergraste, unangenehme Über raschungen zu bringen, wenigstens rannte einer seinem Neben mann zu: »Was ist denn der alten Tante in die Glieder gefahren, die springt ja wie eine Ferse«. Mittlerweile kam uns auch etwas über unsere Lage zu Ohre». Wir befanden uns vor dem Gcdte- Kanal, dessen Brücke in die Luft gesprengt worden war. Auf dem jenseitigen Ufer aber lagen belgische Schützen, die die Spitze unseres Bataillons mit einer Salve überschüttet hatten. Etwas leiser wurde gesagt, daß dessen Führer, ein Leutnant, schwervcr- wundet und ein Spiclmann gefallen wäre. Wie mir da zu Sinn ward! Kannte ich doch den Leutnant gut, der erst vor einer Woche zu mir geäußert hatte: »Wenn wir doch erst losgehen könnten! Diese Warterei ist schrecklich, die Bande soll uns schon kennen lernen«. Und jetzt war er gleich im ersten Feuer getroffen wor den, hatte seine paar Leute noch in einen Graben bugsiert, die ersten Fenerbcfchlc erteilt, um dann ohnmächtig zusammenzu brechen. Rach und nach verstummte das Feuer, wir sammelten uns auf der Chaussee und marschierten weiter. Pioniere legten schon wieder eine neue Brücke an, kurz davor lagen rechts am Wege der schwerverwnndete Leutnant, den Kopf dicht verbunden, neben ihm sehr besorgt der Stabsarzt, nicht weit davon der Spiel mann, den Helm über dem Gesicht. Der brauchte keine Hilfe mehr! Ich mußte Wohl eine sehr bedrückte Miene gemacht haben, da ich an die Eltern und Geschwister des Leutnants dachte, aber aus meinen Gedanken heraus riß mich ei» »Mach doch nicht solch schrecklich dummes Gesicht!« Ich blickte auf und sah, wie mir ein verwundeter Kamerad mit seinem blutigen Hemdsärmel fröh lich heraufwinktc. So trifft man im Kriege neben dem Tode die gesteigerte Lebenslust. Wie oft haben wir in unseren Knabcn- jahren und auch später in fröhlicher Runde Schillers »Reiterlied« gesungen, ohne uns dabei überhaupt viel zu denken. Mir wurden jetzt seine Strophen klar, besonders der Vers: lind trlsst es morgen, so lasset uns heut' Noch schlürfen die Neige der köstliche» Zeit! Im Kriege lebt man jede einzelne Minute doppelt und lernt sehr bald die Zeit nach ihrem Werte schätzen. Doch zurück zur Sache, d. h. zu dem ersten Geplänkel an der Gedte-Nicderung. Einige Salven zeigten uns an, daß es gut weiterging, denn das feind liche Feuer halte aufgehört, und die Unsrigcn schossen auf die fliehenden oder vielmehr abreitenden Gegner, die sich als Kaval leristen entpuppt hatten. Gesehen habe ich sic nicht, denn die Hecken verdeckten die Aussicht, und nur die vor uns kämpfende Kompagnie hatte das Vergnügen, ihrem Zorne freien Lauf lassen zu können. Ein Landhaus wurde auf versteckte Feinde hin unter sucht, man brachte auch zwei verwundete Reiter heraus, deren einer unseren zueilenden Sanitäter flehend lobte mit den Worten: »Dutschmann gut, Dutschmann stark!«. — Wie es sich später herausstclltc, hatten im ganzen 40 Belgier das jenseitige Ufer besetzt und uns, wen» auch nicht lange, aufgehaltcn. Ihre Toten hatten sie mitgenommen, nun mochten sie gen Löwen reiten, um dort die Ankunft der »Hunnen« anzukündigen. Wir aber schulterten von neuem die Donnerbüchse und überschrit ten den Rubikon alias die Gedte auf der leise schwankenden Brücke. Die hochstämmigen Rüstern sahen uns trauernd nach, denn auch sie hatten einige herrliche Kameraden verloren. War diese Feuer taufe auch keine sehr erhebliche gewesen, so waren wir doch froh, die Gefahr von uns einstweilen abgewandt zu sehen, und legten in dieser Stimmung einen Kilometer nach dem andern zurück. Dörfer tauchten ans und verschwanden wieder, die Be völkerung war hier nur zum Teil geflüchtet, und die Zurückge bliebenen schauten ruhig darein und setzten uns Wasser heraus, denn wir waren völlig verdurstet. Durchweg trugen die Leute, die uns mit ihrem vlänüschen Gruß fast wie Landsleute vor kamen, alle Merkmale der germanischen Rasse an sich: Blondköpfe und Blauaugen. Erinnerlich ist mir noch ein Wirtshausschild, auf dem eine kümmerliche Palme zu sehen war. Die Aufschrift lautete: 1722 i Zum Palmboom. Hcrberger Jan van Dyk. Das riß mich aus meinem »Dösen« heraus, in das ich durch die Hitze und den Staub verfallen war, und gab mir eine kleine geistige Anregung. Denn bei dem Namen van Dyk tauchten alte Zeiten vor mir auf, in denen dieses Sonnenkind gelebt und gemalt hatte. Roch sehe ich all die kleinen Häuser vor mir, manche in die Erde gewachsen und ein wenig verfallen, mit Schwärmen von Hühner» davor, auch tummelten sich dazwischen des öftere» wohlbeleibte Schweine und Fcrkelchen, die dem Bilde jenes Gepräge gaben, das wir auf den Gemälden Ostadcs und Teniers mit immer neuem Behagen genießen, die in ihrem Humor so urgermanisch sind, und deren Nachkommen uns nun als grimme Feinde gegen überstehen, Wohl mehr ungewollt und dazu gezwungen. Armes, irregeleitetes Volk, auch dein Blut über England und sein Ge schlecht! Längst hatte» wir das Dorf hinter uns gelassen, und endlich hieß es gegen Abend »Halt«. Wir hielten mitten auf einer baumlosen Chaussee. Die Gegend war kahl geworden, Felder und abermals Felder, ganz hinten am Horizont lugte ein Kirch turm herauf. Dort sollten wir ins Quartier komme». Aber das Dorf war nicht sicher, und es dauerte eine geraume Weile, bis wir dorthin kamen. Stundenlang warteten wir hungrig wie die Kirchenmäuse, der Abend war kühl geworden, und völlig durchschwitzt, setzten wir uns Rücken gegen Rücken ins Kartoffel kraut, um uns so ein wenig zu Wärmen. Gegen 10 Uhr abends schließlich ging es weiter, und gegen 11 Uhr langten wir in unserem Dorfe an. Mir blühte nach dem so anstrengenden Tage, nach den wechselvollen Eindrücken eine Wache, und ich instruierte meine Posten. Der Rest der Leute fand in der Gemeindeschule Ruhe, deren Türen jedoch erst aufgebrochcn werden mußten. Neben der Schule stand ein verlassenes Haus, in dem cs sich aller dings auch schon eine Menge unserer Feldgrauen bequem ge macht hatte. Spät in der Nacht erhob ich mich von meinem hart und kalt gewordenen Lager und stattete dem Nachdarhanse einen Besuch ab. überall wüste Unordnung und Anzeichen, daß die Bewohner in panikartigem Schrecken geflohen sei» mutzten. In der Küche fand ich einen Offizier mit seinem Burschen, der Kaffee kochte. Der Offizier mußte Wohl meine hungrigen Blicke bemerkt haben, denn er bot mir liebenswürdig Brot, Butter und Marmelade an. Das sei ihm heute noch nicht vergessen, da ich nahe am Zusammcnbrechen war. Mein freundlicher Wirt ging dann schlafen und betraute mich mit der Mit-überwachung des Brotes und der Butter, was ich denn auch gerne versprach und gehalten habe. Ja, das ist kein Witz, so rar war das Brot ge worden. Da saß ich nun in der vlänüschen Küche, sättigte mich erst gehörig und sah mir dann die übrigen Stuben an: Bil der des unseligen Königs Albert hingen an den Wänden und blickten recht trostlos ans das Durcheinander. Briefpakete mit blauen und roten Bändern, die ich anfnahm und in eine Kommode legte, was mochten die erzählen und wann mochten sie geschrieben worden sein; vielleicht kam später einmal noch ein Paket mit schwarzen Bändern dazu. Wieder bückte ich mich nach einem Blättchen, nahm cs mit und las es in der Küche beim Schein einer schwelenden Petroleumlampe. Sauber waren die Rän der des Blättchens mit roten Linien gesäumt, und inmitten des selben stand mit steilen, sorgfältig geschriebenen Buchstaben ein vlämisches Gebet: Wclkom! myn Jesus! myn Bruidcgom! mhn God! myn Al! — Minnelyke Jesus! GH allem zht my genoeg! O myn lieve Jesus! mhne Liefde! myn Schal! Rührend war es zu lesen, auch die Rückseite setzte sich in derselben Weise fort. Mir wurde dankbar zu Sinne, hatte ich doch auch diesmal noch Glück gehabt, und meine Augen suchten noch einmal die Worte: »Gl> allem zht my genoeg«. Das Gcbetlein bettete ich in meinen Band Liliencron, und als ich es heute herausnahm, wurden in mir die Stunden jenes Tages wieder wach, während meine Blicke zugleich auf die ans geschlagenen Seiten des Buches fielen, wo ich den wehmütig schönen Vers fand: Langsam graut der Abend nieder, Milde wird die harte Welt, Und das Herz macht seinen Frieden, Und znm Kinde wird der Held. Neuruppin, Lazarett Apollosaal. Karl Storch, Untcross. d. Res.
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