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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.11.1914
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1914-11-02
- Erscheinungsdatum
- 02.11.1914
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
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^ 254, 2. November 1914. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. hinter uns, Brüssel war unter klingendem Spiel in sünf an strengenden Stunden durchquert. Leider hatte ich dort keine Gelegenheit, mich fachlich umzusehen. Weiter, weiter, — die Engländer wurden an der belgisch-französischen Grenze aufs Haupt geschlagen, und einen Kilometer nach dem andern rückten wir in Nordfrankretch vor. Pöronne wurde erstürmt, und bald überschritten wir in einer köstlichen Mondnacht die Marne bei Menax. Obwohl es nicht hierher gehört, will ich doch von einem Scherze erzählen, den ich mir französi schen Dorfbewohnern gegenüber erlaubte. Alle diese guten Leute hielten uns für Engländer und labten uns in dieser Meinung beim Durchmarsch mit Wein und Wasser, nicht wenig erstaunt über unser Kluck-Marschtempo. Einmal rief ich ihnen zu: »kour !a Aiancks Nation! nous voulons massaorer oes ckiavles, LOS krussisus«, da tönte es vielkehlig zurück: »Oui, oui, pour ia ßloire et I'bvlllleur cke bstanee, INON brave!« Innerlich schüttelte ich mich vor Lachen. Das nächste Büchererlebnis sollte ich in Rebais haben. Dort quartierte man uns in der 6enckarmeris nationale ein, und bald wimmelte das große Gebäude mit den kleinen Zimmern von Feldgrauen. Auch ich fand eine Kemnate, warf den Tornister ab und durchsuchte dann das Bücherregal des Herrn Gendarmeriewachtmeisters. Scotts Jvanhoe neben der »Waisen von Lowood», Ohnets Hüttenbesitzer schmiegte sich an Vernes Kurier des Zaren, zwischendurch eine Ausgabe des Andromaque mit schlechten Titellupfern, endlich noch einge- pretzt zwischen »Die größten Erfindungen der Welt« und »Die Entdeckung des Nordpols« ein Weißes, broschiertes Bändchen »?0ö8ias ckk I'amour». Damit zog ich ab, suchte mir draußen im Garten unter einem Apfelbaum ein anmutig Plätzlein, steckte mir eine gute deutsche Zigarre an, und während ich dem »Erwachen des Löwen«, das mein Leutnant auf einem leidlichen Piano heruntermeisterte, lauschte, schlitzte ich mit meinem erbeuteten englischen Dolche die Setten des Bändchens auf. Das hätten sich die »koösios cke i'amour« Wohl nicht träumen lassen, daß ihr Dornröschenschlaf statt von einem Prinzen von einem preußischen Korporal beendet würde. Aber sie mußten klein beigeben, auch als der »krussien« die enthu siastische Widmung des Autors an den »tapferen Brigadier« las. Na, dieser »tapfere Brigadier« schien kein musischer Mensch zu sein, ich sah weder seinen festen Fingerabdruck auf den Seiten, noch irgendein Lesezeichen, auch sagte ja das »Un- aufgeschnittensein« genug. Aber alle Achtung: die Gedichte waren nicht übel. Wohlklingende Strophen, flüssige Reime, die sich wie sanftschimmernde Perlen aneinanderreihten, dazu war der «erwachende Löwe« wieder eingefchlafen und durch einen sprudelnd lebendigen Strautzschen Walzer verdrängt. Der Dust der Zigarre und über mir das dichte Blätter werk mit den goldgelben Äpfeln, zwischendurch ein Stück chen Himmelsbläue, — mit einem Wort: es war kost bar, ich fühlte mich nicht mehr als Soldat, sondern als der »genießende Buchhändler«. Dieser sommerfrohen Idylle machte das Kommando »Antreten zum Appell!« ein Ende. Seufzend schob ich die Poesien in die rechte Tasche, doch sollte ich vorläufig nicht wieder zu solchem ungestörten Glücke kommen, denn der nächste Tag schon sah uns nach lbstündigem Anmarsch 5» stm vor Paris im schlimmsten feind lichen Artilleriefeuer. Als die Nacht mit ihrem schönen, be stirnten Himmel heraufwuchs, gingen mir Liliencrons Worte durch den Sinn: Doch einst bin ich und bist auch du Verscharrt im Sand zur ewigen Ruh, Wer weiß wo! Dann kamen die Tage in dem Höllenkessel an der Aisne. Schützengräben auswerfen nachts, Laubhüttenfeste tagsüber, zwischendurch Patrouillengänge, bei denen uns die gutgemeinten Grüße des Feindes um die Ohren sausten. Hatte ich mal Ruhe, so zog ich je nach Stimmung meinen Liliencron oder die »koesios ck« I'umour« aus der rechten oder linken Tasche meiner Feldgrauen und las, während der Regen sein monotones Lied sang. Eines Tages machte ich die Entdeckung, daß der Liliencron von Tag zu Tag stärker wurde; sein broschierter Rücken platzte auf, und die Nähte der Bogen dehnten sich ge waltig. Ob das nun Eifersucht auf den schmalen Band fran zösischer Lyrik war oder Freude über das bewegte Soldaten- lebcn mit seinem Granatenschwall und »Gewehrgeschnatter«, hat er mir nicht anvertraut. Ich glaube, das letztere. Da gegen wurde das Weiße broschierte Bändchen immer schmäler, sei es nun, daß das Korporalschaftsbuch zu ungestüm seine Liebkosungen bezeigte oder das nasse Klima unserer Höhlen seiner zarten Gesundheit nicht zutunlich war. Das alte Buch händlerwort aber behielt recht: »Hadsut sua kata libelii«. Auch diese Troglodhtenzeit verging, nach mancherlei Un bill und Lebensgefahr zogen wir erschöpft in ein unendlich schmutziges Dörslein ein. Der nächste Tag jedoch war ein schöner Septembermorgen. Die einen schmorten sich Obst, die andern zogen harmlosen Karnickeln das Fell über die Ohren, die dritten tauschten Erlebnisse aus, und ich war auf der Suche nach Büchern. Der Zufall führte mich in das ver lassene Haus des Schulzen. Die großen, mit Kreide an geschriebenen Worte: »Große Inventur verlief erfolglos« schreckten mich nicht zurück, und bald fand ich neben dem Kamin einen Wandschrank. Wie mir das sauber geschriebene Bücherverzeichnis, das an der Innenwand der Tür angeklebt war, zeigte, stand ich vor der Dorfbibliothek. Lachend rief ich meinen Leutnant, und wir durchsuchten kopfschüttelnd die Schätze: moralische Erzählungen, das Leben berühmter Märtyrer, Beschreibung der heiligen Städte, Besteigungen des Mont Blanc, eine Geschichte Jakobs von England usw. Diese bunt zusammengewürfelte Schar mutzte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erworben worden sein, denn keine Jahreszahl wies über 1850 hinaus. Tadellos waren sie alle erhalten, die Nummern auf dem Vorsatzblatt sauber geschrieben, darunter der Gemeindestempel. Gelesen waren sie natürlich alle nicht, das konnte man den Leuten nicht übel nehmen, denn der Inhalt war derartig langweilig, daß selbst ein Robinson Crusoe der Bände stattliche Zahl weit hinaus ins Meer geschleudert hätte. Was mutzten da für Kräfte am Ruder sein, die das Landvolk geistig so verkümmern ließen, wo es doch für wenig Geld all die besseren französischen Erzähler zu kaufen gibt! Mein Leutnant aber sagte zu mir: »Seit 1870 hat sich in diesem gesegneten Landstrich nicht ein Stein verändert, derselbe Schmutz, die selbe Mißwirtschaft und dieselbe Unkultur«. Wenn aber ein französischer Photograph eine Aufnahme von uns gemacht hätte, so wäre sicher das Bild in den Journalen mit der Unterschrift erschienen: »Deutsche Barbaren bewundern sassungs- los eine französische Dorfbtbliothek«. In diesem an Literatur ebenso armen wie an Obst reichen Dorfe blieben wir Wohl 8 Tage. Über die Mußestunden halfen uns deutsche Zeitungen und deutsche Witzblätter hinweg, auch liefen die ersten Ulk postkarten ein, die allgemeinen Beifall fanden. Von dem Gegenteil, wie letzthin in den Zeitungen stand, habe ich nichts gesehen, sie gingen von Hand zu Hand und wurden nach Kräften belacht. Schließlich hieß es auch diesen Platz räumen, und so machten wir uns in Eilmärschen auf den Weg, um in 4 Tagen am rechten Flügel unserer Armee in der Gegend von Arras in einem Quartier anzulangen. Da habe ich zum letztenmal vor einem französischen Bücherschrank gestanden. Schauplatz: ein winziges Dörflein, eigentlich nur ein paar große Gehöfte und ein paar Anbauerwohnungen, dann ein Massengrab, in dem 800 Franzosen Ruhe gesunden hatten, kahle Felder und graues Gewölk, von fernher Geschützdonner. Aus diesen trüben Eindrücken heraus riß mich mein Leutnant: »Mensch, kommen Sie, hier ist etwas für uns!« Ich begab mich schleunigst in sein Quartier und fand ihn in einem köst lich eingerichteten großen Zimmer; lauter dunkelgebeizte, schwere Möbel im Renaissancestil, in der Mitte der einen Wand einen ernst dreinblickenden Bücherschrank. Davor stand mein Leut nant und hielt eine wundervolle Ausgabe von Lafontaines Fabeln in der Hand, 2 Bände in Groß-Quarl mit Stichen nach Fragonard. Die zierliche Type mußte jedes Buchhändler auge entzücken, wie denn überhaupt unser beider Herzen hör bar zu Hüpfen anfingen, als wir den Inhalt des Schrankes 1599
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