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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.01.1906
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- 1906-01-02
- Erscheinungsdatum
- 02.01.1906
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10 Nichtamtlicher Teil. 1, 2. Januar 1906. Zeit zu fragen, ob unsre Volksbibliotheksbewegung nicht in der oben angedeuteten Richtung verlieft werden könnte. Da gilt es vor allem Klarheit darüber zu gewinnen, was denn erreicht werden soll. Kurz gesagt: Es kommt weniger darauf an, daß ein Volk liest, als was es liest und vor allem wie es liest. Hier beruhigen sich nun viele damit, daß in unfern Volksbibliotheken die Leser vor direkt schlechter Literatur bewahrt sind. Das ist ohne weiteres zuzugeben, soweit es sich um unsittliche Bücher handelt. Aber was nicht unter diese Kategorie fällt, ist erlaubt (leider fällt oft unter diese Kategorie manches, was sonst wohl dem klassischen Bestände unserer Literatur zugezählt wird). Aber darüber hinaus sehe man sich die Kataloge doch an! Zu ihrer Verteidigung hört man dann wohl das Argument, die Marlitts und Mays müßten vertreten sein, denn an ihnen würde das Volk erst zum Lesen herangezogen. Hätte es erst lesen gelernt, dann könnte man ihm auch bessere Lektüre bieten. Dagegen behaupte ich, daß niemand durch die Mays und Marlitts das Lesen lernen kann. Vielmehr wird es für eine ernste Lektüre für immer verdorben sein, wenn es sich einmal gewöhnt hat, seinen Lesehunger mit solcher Kost zu stillen. Es bedarf dazu sehr ernster Menschen, und solche würden zu jenen Büchern wahrscheinlich überhaupt nicht greifen. Aber angenommen, ein solcher Mann trägt Ver langen nach ernster Lektüre, wie soll er sich helfen? Aus der klassischen Literatur sind ihm einige Namen bekannt: Goethe, Schiller, aber die Schriften dieser Männer vermögen ihn vielleicht nicht zu fesseln, er verlangt nach Werken, in denen er modernes Leben findet, in denen die Fragen be wegt werden, die seine Zeit erfüllen und in denen er selbst zu tieferer Erkenntnis durchdringen möchte. Wer hilft ihm? wer führt ihn zu all den Meistern von Hebbel bis zu Hesse und wer eröffnet sein Verständnis für das was ihm dunkel bleibt. Vielleicht hat er den Namen Gottfried Keller gehört Er greift nach dem grünen Heinrich, bringt es kaum bis zur Mitte des ersten Bands, und Keller ist für ihn erledigt Da kann der Bibliothekar raten, wendet man ein. Ich sprach schon davon und wies den Einwand zurück. Und nun gar auf wissenschaftlichem Gebiet! Was weiß der schlichte Mann von wissenschaftlichen Richtungen! Ist er Sozialdemokrat, dann ist ihm die »bürgerliche« Wissen schaft von vornherein ein überwundner Standpunkt, und er stillt seinen Durst aus der einzigen trüben Quelle die ihm fließt. Ist er es nicht, dann bleibt es dem Zufall über lassen, was er in die Hände bekommt. Der Bibliothekar kann ihm raten, aber doch nur von seinem Standpunkt aus Es wird immer wieder darauf hingewiesen, wie erst durch die Volksbiblivtheken Autodidakten möglich geworden seien, die zu den erleuchtetsten Geistern ihrer Zeit gehören Ich frage nicht, wie viele Geister durch das ganz ziel- und planlose Lesen heilloser Verwirrung anheimfielen, sondern bitte nur, doch die Bedeutung der Bibliotheken nach dieser Richtung nicht zu überschätzen. Geniale Menschen haben sich hier und dort immer durchgesetzt und werden es immer tun mit oder ohne Volksbibliotheken. Auch Robert Owen war Autodidakt, seit seinem zehnten Jahre und ohne unsere Bibliotheken. Wer aber mag behaupten, daß nicht ein systematischerer Bildungsgang diesen Mann befähigt hätt^ der Welt ganz andre Dienste zu leisten, als sie ihm wirklich verdankt, und daß mehr Disziplin des Geistes ihn davor bewahrt hätte, sein halbes Leben in unfruchtbaren Experi menten zu vertun! Also weniger das Lesen an sich, als die Art in der gelesen wird, ist es, worauf es ankommt. Was kann nun geschehen, um hier eine Wandlung herbeizuführen? Es klar, daß eine darauf zielende Arbeit sich nur an kleinere Kreise wenden könnte, denn diese Arbeit müßte individuale ieren. Es könnten den Bibliotheken sich freiwillige Helfer zur Seite stellen, die in den Ausleihestunden zu Rücksprachen zur Verfügung stehen und nicht nur einen flüchtigen Rat erteilen, sondern auch zur Vertiefung der Lektüre anzucegen uchten. Dieses wäre möglich durch persönliches Näher- trelen oder, da dieses nur in ganz geringem Umfang ge- chehen könnte, durch Lese- und Diskutierabende. Es wäre denkbar, daß jede Volksbibliothek für ihre Leser eine Reihe olcher Abende einrichtet, und zwar für die verschiedenen Jnteressenkreise. Abende für Leser volkswirtschaftlicher, natur historischer, philosophischer, belletristischer usw. Literatur. An solchen Abenden müßten die elementarsten Grundlagen vermittelt werden, die eine verständnisvolle Lektüre ooraus- etzt; es müßten aber auch die wichtigsten in Betracht kommenden Werke in ihrer Bedeutung und namentlich auch ihrem Verhältnis zu einander besprochen werden. Hierbei würde es möglich sein, die Aufmerksamkeit auf die besten Schriften zu lenken und darauf hinzuwirken, daß weniger einwandsfreie Bücher nicht ohne Kritik gelesen werden. Bei belletristischen Werken wären neue Erscheinungen kurz zu charakterisieren. Nicht indem dem Leser der Inhalt vorweggenommen wird, sondern indem die in dem Buche sich äußernde Weltanschauung betrachtet und kurz auf die Schön heiten, aber auch auf die Mängel hingewiesen wird. Ich bin überzeugt, daß ein geschickter Redner durch eine solche Besprechung jeden einzelnen seiner Hörer veranlassen kann, ein Buch zu lesen und mit größerem Verständnisse zu lesen, als er es bisher mit irgendeinem Buche tat. An solchen Abenden wäre aber auch auf die ältere Literatur hinzuweisen und zu zeigen, wie die uns heute bewegenden Fragen schon in den Werken unsrer Klassiker angerührt und vielfach in einer Tiefe behandelt sind, in die neuere Erzeugnisse nicht hinabzureichen vermögen. Eine Einführung in die Meister werke unsrer Literatur tut dem Volke noch sehr not. Auf solchen Wegen, glaube ich, könnte lesen gelernt werden. Freilich bedürfte es zur Durchführung derartiger Pläne einer großen Zahl von Mitarbeitern, Fachleuten der verschiedensten Disziplinen, die neben einem gründlichen Wissen auch die Fähigkeit volkstümlicher Mitteilung und fesselnder Darstellung besitzen. Solche Mitarbeiter mit der Bereitwilligkeit großer Opfer an Zeit haben wir aber einst weilen nicht, und somit wäre es ziemlich unnütz, unfruchtbar Pläne zu schmieden, Anregungen zu geben in das Undurch führbare? Ich glaube doch nicht. Die Gedanken besitzen Weebekraft, wenn sie gut sind, darum soll man sie ruhig äußern. Sie werden für sich wirken, oder unbeachtet bleiben, wenn sie eines wertvollen Gehalts entbehren. Und wir sind heute ja so bescheiden. Schon die kleinsten Anfänge erfüllen uns mit Befriedigung, weil wir in ihnen verheißungsvolle Keime einer neuen Zeit erblicken, die auch auf dem Volks bildungswesen mehr in die Tiefe als in die Breite arbeiten wird und damit dennoch reifere Früchte ernten, denn ein kleineres Feld mit schwer gefüllten Ähren hat noch jeder manns Herz mehr erfreut als em großes mit mageren Ähren, und auch der allgemeinere Nutzen dürfte dem erstern zuzusprechen sein. Denjenigen aber, die den beliebten Mittel weg einschlagen möchten, sei ein Vorschlag empfohlen, den ich in diesen Blättern s»Concordia«j schon einmal erfolglos gemacht habe. Sie mögen in Verbindung mit den Biblio theken Mitteilungen herausgeben, die den oben gekenn zeichneten Zielen dienen. Alle drei Monate ein kleines Heft würde genügen. Es könnte, wenn die Mittel vorhanden sind, unentgeltlich verteilt, sonst für S oder 10 H verkauft werden. Solche Mitteilungen würden freilich die mündlichen Unterhaltungen nie ersetzen, denn das persönliche Eingehen auf Individualitäten wurden sie ausschließen; aber trotzdem könnten sie zur Vertiefung der Lektüre führen.
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