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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.11.1929
- Strukturtyp
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- 1929-11-07
- Erscheinungsdatum
- 07.11.1929
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- Deutsch
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X« 259. 7. November 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. ö. Dtschn, Buchhandel. anbot. Den geschichtlichen Entwicklungsgang des evangelischen Buchhandels zu verfolgen, wäre eine reizvolle, abendfüllende Aufgabe für sich, die uns in Verbindung bringen würde mit namhaften Buchdruckern aus der Reformationszeit, mit dem Wirken der großen Missions- und Traktatgesellschaften, mit Jo hann Hinrich Wicherns Wunsch, eine echte, gediegene Volkslektüre zu schaffen, und der Blütezeit religiöser Schriftenverbreitung auf den großen Glaubensfeldern unseres Vaterlandes, nament lich in Schwaben, im Wuppertal, im Ravensberger Lande und jenen anderen Gegenden, wo einst der Pietismus und eine ehren feste herrnhutische Erziehung Wurzel schlugen. Denn das Evan gelium, in welcher Gestalt es auch kommen möge, setzt sich durch, wie die Erfahrung lehrt; und die Zeiten kamen und gingen, und mit ihnen wuchs der evangelische Buchhandel empor, insonder heit nach »den napoleonischen Kriegen, wie überhaupt ein gewisser Aufschwung des christlichen Spezialbuchhandels stets und natur gemäß nach großen Kriegen und Weltkatastrophen zu beobach ten ist. Der evangelische Buchhandel will einen Dienst, den er als innere Verpflichtung empfindet, ausüben, und zwar will er teilhaben an der dienenden, sozialen, brüderlichen Nächstenliebe. Zu diesem Zweck soll sein Buch Träger der evangelischen Welt anschauung sein, gerade in einer Zeit, die das Obergemach unseres Herzens, die Seele, fahrlässig außer acht gelassen hat. Und diese Seele, mit der die meisten gar so wenig anzufangen wissen, ist nicht nur des Menschen Gefühl, sie ist in der Bibel nichts Geringeres als der Mensch im Menschen, sie ist das Selbst des Menschen, die Persönlichkeit, der Mensch in seiner Innerlich keit und eben darum in seiner Gottbezogenheit. Leben aber im evangeliumsgemäßen Sinne heißt Erneuerung, ständige Erneue rung von innen heraus, und jeder Arbeit, von solchem Stand punkt aus aufgefaßt, wohnt ein Sinn inne, der sie bindend macht. Das muß auch der verhaltene Unterton jedes echten Buches sein, denn in ihm soll ja der Mensch in seiner Beziehung zum Spiegel bild der Welt dargestellt werden. Man könnte nun fragen: Was ist überhaupt evangelische Weltanschauung? Ist sie nicht nur ein Schlagwort? Auf eine ganz kurze Formel gebracht, ist evangelische Weltanschauung die lebendige Jch-Du-Beziehung, ist Funktion des lebendigen Glau bens und nicht ein unbeteiligtes Zuschauen, sondern ein Hören auf das, was Gott in der Welt uns sagen will, und sie ist zu gleich Bereitschaft zum Gehorsam für die Aufgaben, die Gott uns stellt. Sie ist kein Warten, kein mystisches Sichversenken, sondern ein Tun und Handeln. Evangelische Weltanschauung ist zugleich eine auf das Endziel des Daseins gerichtete und auf dem oft höchst dramatischen Kampfplatz des Diesseits ausgewirkte heroische Lebensanschauung; die evangelische Weltanschauung hat niemanden, zu dem sie Mutter Maria sagen kann, wie unsere katholischen Brüder es so schön vermögen. Und sie hat keinen Beichtvater, dem sie in Zweifelsfällen die Verantwortung über läßt, sondern sie hat selber zu entscheiden. Nur ein Beispiel, wie evangelische Weltanschauung praktisch aus sieht. Als der große Kulturphilosoph, Bach-Forscher, Organist, Arzt und Theologe Albert Schweitzer mit seiner Gattin während des Krieges über vier Jahre gefangen gehalten wurde und trotz sich immer mehr verschlechternder Gesundheit in Lam- barene bleiben mußte, wurde ihm von der französischen Regie rung eine schwarze Wache bestellt, welche die Doktorsleute auf Schritt und Tritt begleiten mußte. Da hat Albert Schweitzer aus Mitleid dem Posten ein Schilderhaus als Schutz gegen die Sonne gezimmert. Aus dieser Handlung spricht eine Welt anschauung, die sich von der Bergpredigt Jesu her ihre Erkennt nis geholt hat. Und was ich noch kurz berühren muß, das ist die Ent schiedenheit, mit der eine solche Weltanschauung für das Reich Gottes Hier auf Erden arbeitet. In einem schönen nordi schen Buche wird davon erzählt, daß sich nach dem Zusammen bruch an der Beresina nur ein einziger General im vollen Schmuck der Waffen jeden Morgen, wie sonst üblich, bei Napo leon zum Dienst gemeldet habe. Auch im Unglück verlor er die Haltung nicht, so daß der Kaiser zu ihm sagte: »Herr General, Sie sind ein Held!« Es ist nur ein Beispiel, doch die Ent schiedenheit für den höchsten Vorgesetzten läßt uns unwillkürlich fragen: Sind wir — im übertragenen Sinne natürlich — auch noch solche Helden, und wären wir bereit, mit Entschiedenheit dem Rufe unseres himmlischen Königs zu folgen? Sehen Sie, meine sehr verehrten Zuhörer, von solchen Vor aussetzungen aus und auf solcher Grundlage können >vir die Frage nach dem Sinn des evangelischen Buches beantworten. Unter evangelischem Bach verstehen wir dasjenige literarische Verlagserzeugnis, das sich der religiösen, weltanschaulichen oder dichterischen Gestaltung des evangelischen Gedankens befleißigt. Das große Wort des Römerbriefes von der Gerechtmachung des Menschen aus Glauben ist oder muß der Leitstern jedes soge nannten evangelischen Buches sein. Das evangelische Buch ist für die Gnadengemeinschaft derer, die Kirche sind, geschrieben, und Kirche ist zunächst einmal, wenn man ihre Einsetzungsurkunde im Neuen Testament befragt, diejenige Menschheit, die sich um das Wort Gottes schart, um es zu hören, ganz abgesehen von einer späteren geschichtlichen Entwicklung zu einem System oder einem verordneten, innerlich oder möglicherweise auch nur äußerlich berufenen Stande zum Zwecke der Verkündigung. Ein Hilfs oder Stoßtrupp dieser uns allen als Anlage sozusagen im Blute befindlichen, erstmals unsichtbaren und hernach sichtbaren Kirche will und soll das evangelische Schrifttum sein. Hier jedenfalls liegen seine Belange, und daraus erhellt auch, daß das eigent liche Wesen des evangelischen Buches Verkündigung ist und sein Sinn jedwede Unterstützung der vom Menschen erfah renen oder noch zu erfahrenden göttlichen Offenbarung. Daß es zum Durchbruch komme, daß eine Entscheidung für das Christen tum getroffen oder eine solche befestigt werde, das ist Aufgabe und Beruf des evangelischen Buches. Und es ist zugleich das Buch, das auf Grund inneren Auftrags entstanden ist und nur von dem geschrieben werden sollte, der zum inneren Auftrag auch die äußere Gestaltungsfähigkeit hat. Wo die großen Ge danken von Kreuz und Ewigkeit, von Gnade und Erlösung den Verfasser antreiben zu dem: »Ich mnß Evangelium predigen, in welcher Form es auch immer sei«, da sollte nicht ein Buch mit unzulänglichen Mitteln gestaltet werden, sondern nur mit hoher dichterischer Gabe oder guter schriftstellerischer Gekonntheit. Eick solches Buch, das sich dem Evangelium zur Verfügung stellt, macht die Welt sinnvoll, das Leben lebenswürdig und die Dinge schön, und es wird seine Aufgaben im Hinblick auf Bildungs- Pflege, Erbaulichkeit und Mission durchaus erfüllen. Wenn man aber heute in einem lebensfrohen Kreise über Christentum, Weltanschauungsfragen oder religiöse Literatur spricht, so überläufts die meisten mit einer Gänsehaut, es ent steht ein betretenes Schweigen, oder wir begegnen geringschätzi gem Achselzucken. Eine derartige Mwehrstellung unserer Gesell schaft, welcher sozialen Schicht sie auch angehören mag, ist ein schweres inneres Unrecht an Gott und der Menschheit, sic ist zugleich ein typisches schlimmes Zeichen der Zeit, die den Mut zu freudigem Bekennertum nur noch selten aufbringt, die religiös schlechterdings auf dem Gefrierpunkt angelangt zu sein scheint. Hier Wandlung zu schaffen, zur Erkenntnis und Wendung der Dinge zu verhelfen, das ist der Sinn des evangelischen Buches. Darum reden wir vom Buche evangelischer Weltanschauung, her kommend von der Bibel, als dem großen Lese- und Lebensbuch, herkommend von Martin Luther und seiner heute nur allzuoft mißverstandenen reformatorischen Tat. Im Luthertum sind der Mensch und das Wort Subjekt geworden; den Menschen als aktiv handelnd gelten zu lassen, das ist nicht zuletzt Luthers Geistes bedeutung, die einst die evangelische Gemeinde schuf und die Bibel zur literarischen Mitte machte. Das sollte uns heute wie der mehr zum Bewußtsein kommen! Der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen hat einmal gesagt: »Doktor Martin Luthers Bücher Herzen, gehen durch Mark und Bein, und es ist in einem Blättlein mehr Saft und Kraft, auch mehr Trost, denn in ganzen Bogen anderer Skribenten.« Und man kann es ge trost sagen, es hat schon seine Bewandtnis mit diesem dynamischen 1187
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