Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.05.1927
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1927-05-07
- Erscheinungsdatum
- 07.05.1927
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19270507
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-192705071
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19270507
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1927
- Monat1927-05
- Tag1927-05-07
- Monat1927-05
- Jahr1927
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
X- 10«, 7. Mai 1927. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchbandel. Werk fast doppelt lange und doppelt gefährlich geworden find als vor einem halben Jahrhundert, nnd daß sich die bedeutend raschere Verbreitung der .geistigen Werte mit einem rascheren Vergessen und Veralten notwendig rächen muß. Die Generationen jagen jetzt so ungeduldig aneinander vorbei, daß man sogar bei den noch Lebenden (ich unterlasse die Namen) leinen Teil ihres Werkes schon als historisch und fremd fühlt. Selbst bei dramatisch so voll kommenen Werkeil wie den Frühdramcn von Hauptmann und Schnitzlers »Liebelei« tut es heute bereits not, «sie im Kostüm zu spielen, um sinnlich darzustellen, daß ihre Sittenwelt, ihr Rhyth mus und ihre Rodeform nicht mehr identisch find mit dem Zell- und Lebensgefühl unserer Welt: und ich wählte vom Drama tischen noch das Beständigste. Dreißig Jahre bedeuten eben heute nicht mehr eine, sondern drei geistige Generationen. Aber greifen wir ins Unmittelbare, fassen wir geradewegs das Anläßliche, um an einem Beispiel Schaden und Nutzen einer Schutzfristverlängerung abzuprüfen. Wer kommt jetzt in Betracht von frei werdenden Autoren? Zunächst die drei wirklich Großen, Conrad Ferdinand Meyer, Theodor Fontane und Friedrich Nietzsche. Nun, und da wage ich zu sagen — bei aller Hochschätzung Fontanes und Meyers —, daß für sie beide das Aufhöven der Schutzfrist ein Glücksfall ist, weil die letzte, wahrscheinlich sogar allerletzte Möglichkeit einer breiten, fruchtbaren Volkswirkung — »letzte Eisenbahn«, wie man im Volke sagt. Gewiß, ich weiß um alle Vorzüge der «sauberen Fontaneschen Prosa, ich weiß um^den klassizistischen Reiz von Conrad Ferdinand Meyers Novellenkunst, ich bejahe gerne, daß sie heute noch — aber nur heute noch! — durch ein Freiwerden auf diese Generation und die nächste ein dringlich zu wirken vermöchten. Aber in zwanzig Jahren? — Wird dann wirklich das Fontanesche Preußen einem schon ganz anderen Deutschland, und die etwas schiverfällige Üppigkeit Meyers einer beschleunigt rhythmisierten Welt Wesentliches noch zu sagen haben? Ist nicht gerade die kräftige Galvanisierung, die jedes mal die Freigabe eines Werkes mit sich bringt, für diese beiden (die wir doch alle ehren) die letzte Möglichkeit, mit Hunderttausen- dcn verbunden zu sein, eine Möglichkeit, die ein Verlängerungs gesetz ihnen nicht nur verzögern, «sondern eben durch die Ver zögerung vollkommen entziehen würde? Und in wessen Namen geschieht diese Vernichtung der Höchstwirkung? Im Namen der Erben und zum Prosit gar nicht Blutsverwandter, zuletzt aber gegen den Willen wenn schon nicht des Schöpfers, so doch der Schöpfung selbst. Denn jedes Kunstwerk hat in sich den Willen, zu wirken. Es will einströmen «in sein Volk, und diese strömende Ader darf niemand unterbinden, sein Recht auf höchste Lebendig keit scheint mir heiliger als jedes Erbrecht und Familienfideikom- miß. Ich weigere mich darum, sentimental zu werden bei dem Gedanken, zehn oder zwölf Enkelkinder eines großen Gestalters (mehr kommen auch bestenfalls innerhalb einer Generation nicht in Frage) könnten am Ende dreißig Jahre nach des Schöpferischen Tod rentenlos werden. Denn um sie herum sind Hunderte Millio nen von gleichfalls Rentenlosen: «sie aber haben (und ich nenne dies allem Lächeln zum Trotz einen Vorzug und einen Wert) dazu noch den Stolz, blutgleich zu «sein mit -einem der Großen ihrer Nation. Und um dieses Dutzends Menschen willen sollte wirklich noch zwanzig Jahre länger die Ader abgebunden werden, solange sie noch blutkräftig und zeugungsfähig kreist? Gerade wer in «dieser Frage an sich denkt und an sein Werk — und ich beneide all jene, die so kühn von sich denken — gerade «der sollte seinem gestalteten Gefühl die Möglichkeit einer letzten Wiederkehr zu sichern wissen. Dreißig Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, des hitzigsten aller Zeiten! — Freunde, Kameraden, denen diese Frist nicht.genug scheint, erlaubt mir ein rückhaltloses Wort: woher nehmt ihr den Mut, die Zeit für «so träge zu halten? Ihr fordert fünfzig Jahre, weil momentan die Verleger klagen — ja, wißt -ihr «denn, ob es Verleger im jetzigen Sinne (die «Buchgemeinschaften sind ja nur eine Stufe) in zwanzig Jahren noch geben wird? Und seid ihr — auch Radio und Kino sind nur Etappen im Sturzrennen «der Technik —, seid ihr denn so gewiß, daß in den nächsten Jahrzehnten das Buch überhaupt noch «wesentlicher Träger «der geistigen Ver breitung «fein wird? Und warum sollte, da Privilegien, Kronen und Rechte bei jedem Zeitsturm wie Apfel vom Baume fallen, gerade das Erbrecht von allen Rechten so herrlich Tabu bleiben, Saß ihr mutig seine Selbstverständlichkeit um ein Lebensdrittel verlängert? Fünfzig Jahre «des zwanzigsten Jahrhunderts — ich fühle solch einen hallenden Zeitraum als so magisch erfüllt mit unausdenkbaren Verwandlungen, daß alle weitfristigen Maß nahmen mir phantasielos scheinen und von vorneweg der Ver nichtung bestimmt, aller »Schutz« bloßes Spinnweb, alle Siche rungen verlorene Liebesmüh. Nein, lassen wir unfern kleinen Zirkel von so unauslncßbaren Maßen! Sorgen wir mit aller Leidenschaft, daß dem Geistigen sein Rang in der gegenwärtigen Welt verbleibe, daß Lebendiges von Wert im Lebendigen wirke und sich verbreite, aber bestimmen wir nicht vorzeitig gefährliche Legate für das vierte und fünfte Geschlecht. Mag überall das Erbrecht noch gelten, hier hält sein Einspruch moralisch nicht stand. Denn «der rechte Besitzer eines Werkes ist gar nicht sein Schöpfer: immer habe ich ihn zunächst als einen Beschenkten empfunden, als einen, dem Gnade von einem Oben ein Herrliches zur Ver waltung auf Erden, also bloß zur Leihe, übertragen. Hat er das geistig Zugeteilte würdig verwaltet, so möge noch seinen Nächsten Wärme des Lebens «davon bereitet sein, -gewiß: dann aber gehöre es wieder niemandem und allen. Drei Tage nach «dem Tode auch des -Größten, und sein Leib fällt an die Würmer, er löst «sich ins Gestaltlose auf: da darf nach dreißig Jahren wohl auch sein .gei stiges Dasein «sich frei ins Lebendige lösen, Humus werden und schöpferischer Stoff für sein Volk und Geschlecht. Variationen über ein bekanntes Thema. Von Or. G. A. E. Bo gen.g. Die Schutzfristfrage ist eine kulturpolitische und mit ihr na tionalökonomische Frage: Bewirtschaftung der immateriellen Güter eines Volkes. Ein Äquivalenzprinzip sucht ihre Lösung aufzu finden, um zwischen den privatrechtlichen Ansprüchen der Urheber und Verleger und den öffentlichrechtlichen des Volkes in seiner Staats- und Wirtschaftsgesamtheit einen Ausgleich herbeizuführen. Die Ausgestaltung der in der immateriellen Güterpröduktion her vortretenden Kulturinteressen beruht nicht ausschließlich auf der Einzelleistung, die, mag sie Entdeckung oder Erfindung oder sonst eine »Schöpfung« sein, nicht nur ihrem Urheber zugehört. Denn er verdankt seine Errungenschaft eines immateriellen Gutes als ein Kind seiner Zeit den Voraussetzungen, die er vorfindet und die in -einer geistigen Gesamtheit wirksam sind. Er findet, formt, spricht aus, was »in der Luft liegt«, noch unerkennbar gefühlt, noch nicht erkennbar gedacht und gestaltet. Ein Kulturphäno men verkörpert sich durch seine und in seiner Persönlichkeit, er wirb zum Prometheus. Es fühlt und denkt und gestaltet sich in dem aus einem Psycho-Ehaos wachsenden Psycho-Kosmos. Nicht zufällig scheint es zu «sein, wenn die epochemachenden, die größten Meister der Menschheit wie Moses sind, Propheten, die selbst «das gelobte Land, zu dem sie hinführen, nur aus der Ferne schauen sollen. Denn sie sind Menschen, die .mit ihren Daten noch in einer Vergangenheit weilen, der «sie bahnbrechend und wegweisend «die Wendung in eine neue Zukunft geben. Als Goethe den Begriff einer Weltliteratur in seiner Wesenheit zu bestimmen suchte, 'faßte er «ihn sozialwissenschaftlich: die Ideen wirken, nicht die Literaten. Und er unterschied des Einzelnen literarische Produktivität von seiner literarischen Produktion. Gehalt und Gestaltung machen ein Meisterwerk des -Schrifttums zu einem Lebendigen, «dessen Ur heber sein Vater, dessen Mutter sein Volk, seine Zeit, die Mensch heit ist. Die Lebenskraft einer -Schrifttumsschöpfung ist ihre litera rische Produktivität. Anteil an ihr hat die Gesamtheit nicht bloß durch die Aufnahme und Fortführung dieses Werkes, sondern auch durch dessen Erzeugung. Darauf beruht, -ethisch, das Recht der Ge sellschaft an den immateriellen Gütern ihres Lebensraumes. Das Individualrecht hat seine Grenzen im Sozialrecht einer jeden Staatsbildung, wenn anders eine solche überhaupt die Ver einheitlichung einer Gesellschaftsformung und -ordnung durch ihre Verfassung für »Recht« und »Wirtschaft« herbeiführen will. Die Ausgleichungen, die Berichtigungen und Feststellungen der Gren zen erstrebt die Gesetzgebung, die den privatrechtswirtschaftlichen Verkehr regeln will, auch in dessen Jmmaterialgüterrecht, d. h. 549
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder