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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.04.1931
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- 1931-04-15
- Erscheinungsdatum
- 15.04.1931
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- Deutsch
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bis zum letzten Augenblick bei uns stehen. Doch als der Zug dann abfährt, macht er schnell kehrt und nimmt große Schritte. „Wir besuchen dich bald", rufe ich rasch noch hinter ihm her. Wir sehen ihn über die Felder gehen. Er winkt noch lange. Rauch von der Lokomotive weht vorbei. In der Ferne stehen ein paar rötliche Lichter. Der Zug fährt eine große Schleife. Nun ist Adolf nur noch sehr klein, ein Punkt, ein winziger Mensch, ganz allein auf der großen, dunklen Ebene, Uber der mächtig, gewittrig hell, schwefelgelb am Horizont verlaufend, der Nachthimmel steht. Ich weiß nicht, warum, es hat nichts mit Adolf zu tun, aber es ergreift mich, wie da so ein einzelner Mensch vor dem großen Himmel über die weite Fläche der Felder geht, abends und allein. Dann schieben sich die Bäume heran mit stärkeren Dunkelheiten, und bald ist nichts mehr da als Fahren und Himmel und Wälder. Im Abteil wird es laut. Hier drinnen sind Ecken, Kanten, Geruch, Wärme, Raum und Grenzen, — hier sind braune, verwitterte Gesichter mit den blanken Flecken der Augen darin, es stinkt nach Erde, Schweiß, Blut und Uniform — draußen aber jagt ungewiß die Welt im Stampfen des Zuges vorüber und bleibt zurück, immer weiter, die Welt der Gräben und Trichter, des Dunkels und des Grauens, ein Wirbel vor den Fenstern nur noch, der uns nicht mehr saßt. Jemand fängt an zu singen. Andere fallen ein. Bald singen alle, das ganze Abteil, das Nebenabteil auch, der ganze Wagen, der ganze Zug. Wir singen immer lauter, immer stärker, die Stirnen röten sich, die Adern schwellen, wir singen alle Soldatenlieder, die wir kennen, wir stehen dabei auf und sehen uns an, die Augen glänzen, die Räder donnern den Rhythmus dazu, wir singen und singen Ich bin eingezwängt zwischen Ludwig und Kosole und spüre ihre Wärme durch meinen Rock. Ich bewege meine Hände, ich drehe meinen Kopf, die Muskeln spannen sich, und ein Zittern steigt mir aus den Knien in den Magen, es bebt in meinen Knochen wie Brauselimonade, springt in die Lungen, die Lippen, die Augen, daß das Abteil verschwimmt, es braust in mir wie ein Telegrafenmast im Sturm, tausend Drähte klingen, tausend Straßen öffnen sich; — ich lege meine Hand langsam auf Ludwigs Hand und glaube, sie müsse verbrennen; — aber als er aufsieht, müde und blaß wie immer, kann ich nichts anderes Herauskriegen von dem, was in mir ist, als mühsam und stockend zu fragen: „Hast du eine Zigarette, Ludwig?" Er gibt sie mir. Der Zug saust, und wir singen weiter. Allmählich aber mischt sich ein dunkleres Murren als däs Rattern der Räder in unsere Lieder, und in einer Pause kracht es mächtig und lange rollend über die Ebene. Die Wolken haben sich weiter zusammengezogen, und das Ge witter geht hernieder. Die Blitze flammen wie nahes Mündungsfeuer von Geschützen. Kosole steht kopfschüttelnd am Fenster. „Kinder, um diese Zeit noch ein Gewitter", murmelt er und beugt sich weit hinaus. Plötzlich ruft er hastig: „Schnell! Schnell! Da ist sie!" Wir drängen hinzu. Im Schein der Blitze stechen am Rande der Landschaft die schmalen, dünnen Türme der Stadt in den Himmel. Donnernd fällt die Dunkelheit jedesmal wieder darüber hin, aber bei jedem Blitz kommen sie näher. Unsere Augen brennen vor Erregung. Wie ein Riesen baum wächst mit einem Male zwischen uns, über uns, in uns die Erwartung auf. Kosole greift nach seinen Sachen. „Menschenskinder, wo mögen wir in einem Jahr wohl sitzen", sagt er und dehnt die Arme. „Auf dem Hintern", erklärt Jupp nervös. Aber keiner lacht mehr. Die Stadt hat uns angesprungen, sie reißt uns an sich. Da liegt sie, atmend fast im wilden Licht, breit aus gestreckt kommt sie heran, und wir fahren auf sie zu, ein Zug Soldaten, ein Zug Heimkehrer aus dem Nichts, ein Zug ungeheurer Erwartung, näher und näher, wir rasen darauf los, die Mauern stürzen uns entgegen, gleich müssen wir zusammenprallen, die Blitze fliegen, der Donner tost, — dann schäumt der Bahnhof mit Lärm und Rufen zu beiden Seiten des Wagens hoch, ein mächtiger Regen stürzt her nieder, die Rampe glänzt vor Nässe, und wir springen be sinnungslos hinein. Mit mir springt der Hund aus der Tür. Er drängt sich an mich, und wir laufen zusammen durch den Regen die Treppen hinunter. Zweiter Teil I Wie ein Eimer Wasser, der aufs Pflaster klatscht, spritzen wir vor dem Bahnhof auseinander. Im Sturmschritt mar schiert Kosole mit Bröger und Troßke die Heinrichstraße hinunter. Ebenso eilig wende ich mich mit Ludwig zur Bahn hofsallee. Ledderhose ist ohne Abschied bereits wie ein Bolzen mit feinem Trödelladen davongeschossen. Tjaden läßt sich von Willy rasch noch den nächsten Weg zum Puff beschreiben, und nur Jupp und Valentin haben Zeit. Sie werden von niemand erwartet und schlendern deswegen vorläufig zum Wartesaal, um auf Futter zu spekulieren. Später wollen sie zur Kaserne. Von den Bäumen der Bahnhofsallee tropft die Nässe; Wolken ziehen niedrig und rasch. Ein paar Soldaten jüngsten Jahrgangs kommen uns entgegen. Sie tragen rote Arm binden. „Achselstücke runter!" schreit einer und springt auf Ludwig zu. „Halt's Maul, du Sommerrekrut", sage ich und schiebe ihn beiseite. Andere drängen heran und umringen uns. Ludwig sieht den vordersten ruhig an und geht weiter. Der Mann weicht aus. Dann jedoch erscheinen zwei Matrosen und stürzen sich auf ihn. „Ihr Schweine, seht ihr denn nicht, daß er verwundet ist?" brülle ich und werfe meinen Tornister ab, um die Hände besser frei zu kriegen. Aber Ludwig liegt schon am Boden, er ist ja so gut wie wehrlos mit seinem Armschuß. Die Matrosen zerren an seiner Uniform und treten auf ihm herum. „Ein Leutnant!" kreischt eine Weiberstimme, „schlagt ihn tot, den Bluthund!" Fortsetzung morgen!
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