Hanns Johst über Friedrich Alfred Schmid Noerr ier liegt nun also endlich wieder eine reife Novelle vor. Eine gewachsene, durchsonnte, lebendurchatmete Geschichte findet ihren ihr restlos eigenen Vortrag. Die Worte sind nicht vorhanden, um spielerisch in Sätzen nach einem über- legenen Stil zu suchen oder durch artistische Reifen zu springen, sondern kommen und gehen, wie es die Fabel befiehlt, sind treue Diener ihrer geliebten Erzählung. Diese selbst greift auf ein altes, verwirrendes Geschehen zurück, das zwischen Albrecht Dürer, seiner Ehewirtin, der Frau Agnes, und dem Ratsherrn und Freund Wilbolt Pirkamer gewesen sein soll. Die Erzählung selbst will gelesen sein und nicht mit flüchtigen Hinweisen rekapituliert. Herrlich ist, wie hier endlich ein Vorgang wirklich aus den inneren Verfassungen gepackter, ertrotzter, überwältigter Men schen hervorgeht, wie keine Konstruktion intellektueller Art das natürliche Abspiel menschlicher Leidenschaften durchbricht, wie alles geruhsam und völlig gerecht und notwendig seinen Abgesang findet. Zwei Stellen will ich aus dem strengen Gefüge dieses künstlerischen Organismus herausheben, um aufzuzeigen, wie behutsam, sparsam die großen Momente unmittelbar beobachtet sind. Frau Agnes, allein gelassen in Nürnberg, erfährt allerlei Leichtsinniges von ihrem Jtalienfahrer, sein bester Freund Pirkamer kommt zu ihr und „malt mit Worten, nit schlechter, dann ihr Albrecht mit Schweinsborsten". „Da duldet sie, sonderbar verloren ins Grenzenlose, lächelnd Pirkamers Kuß." Diese Stelle, im Original bis zu ihrem Höhepunkt meisterlich geführt, ist mir persönlich deswegen so wichtig, weil endlich wieder einmal eine Liebesszene dargestellt ist, lächelnd, heiter und wehmütig - ohne Schuld. Das Wesen einer gequälten Frau kann nicht giottohafter aufgezeigt werden, als diese passive Haltung es sagt: sie duldet verloren ins Grenzenlose. So „sündigen" die lieben Frauen unser schlimmstenfalls, sie glauben im Grenzenlosen ihrer einzigen Liebe zu begegnen und berühren ein Fremdes, Zudringliches, Aufdringliches, Unwürdiges. Geltung auf dem Markt hat aber nicht solche Liebe (weil ihre Gestaltung sehr großes inneres Vermögen voraussetzt), sondern das flache sexuelle Versteckspiel kleiner Weibchen, die das Dutzend mehr beglückt als die Einmaligkeit, die für den Film geeigneter sind, weil sie auf dem laufenden Band ihrer flachen Existenz von Situation zu Situation rollen, und weil sie schließlich weder reifen wollen noch brauchen, sondern grün benutzt, verschleudert und verbraucht werden. Die andere Stelle: Frau Agnes will mit Albrecht über Pirkamer sprechen. Da sagt Dürer, und seine Stimme ist leise vor Angst: „ Lämmlein... laß mir den Jugendfreund!" Hier ist für jedes Menschenherz ein Angelusläuten zu hören! In unser aller Leben kommt dieser Augenblick, da wir zu unserer Frau sagen müssen: „Laß mir den Jugendfreund!" Hier ist die Schöpfung in ihrer liebenden Verwirrungsfreudigkeit aufgezeigt. Ich wüßte keine Stelle in der deutschen Dichtung, die so wahr, so schlicht, so bescheiden und so vollendet das Leid der Liebe in ihrer wunderlichen Bedrängnis, in ihrer zarten Leidenschaft, in ihrer ehelichen Seltsamkeit umreißt. ^ Zrne Oürornovei/e. II. ^u//aZe (I-ebenelrAes l^ork, Lanck IH. Oebunlken 75 ArsckeinunZsrermrlr lltitte Oktober