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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.06.1934
- Strukturtyp
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- 1934-06-23
- Erscheinungsdatum
- 23.06.1934
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- Deutsch
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Auf meinem Tisch lag ein Buch, es hieß wohl: Die Abenteuer eines Faulpelzes. Ich nahm nicht an, daß es das mir versagte Stück Marzipan voll ersetzen könnte, immerhin, es war ein Ersatz. Wie bald war aber alles versunken, der festliche Saal, der Wcih- nachtsbaum, der Tisch mit Geschenken und sogar das Marzipan stück! Lebendig war nur die bunte Zaubcrwelt des langen Trau mes, der das faule in das fleißige Fritzchcn verwandelt! Dichter lügen zu viel, sagt Nietzsche. Da hätten ja die Werke der Dichter mit so manchem Frauenblick außer der Schönheit auch die Falschheit gemein. Gewiß, wir lügen immer — und nie. Das bestätigt schon dies mein erstes Lcseglück, ich habe kein Wort für wahr gehalten, auch nicht den Traum für einen wirklich geträum ten. Auch der bekannte Lügen-Münchhausen lügt nicht, denn er will niemand täuschen. Nur die Stümper und Konjunkturdichter, die es von je gegeben hat und immer geben wird, lügen, alles Echte ist wahrhaftig. Auch das Faulpelzbuch ist es, ein echtes Kinderbuch, dessen Moral nie störend in die Abenteuer des Trau mes fällt. Nun gibt es freilich sehr verschiedene Arten, ein Buch zu lesen. Ich bekenne, daß ich mir auf meinen freilich sehr seltenen Reisen ein Detektivbuch mitzunehmen Pflege und mich während der Fahrt ganz in cs versenke; versteht sich bis etwa zu der Hälfte, denn da wird die andere überflüssig. Wollte ich das außerhalb der Eisen bahn versuchen, so würde mir der Genuß der Wunschlosigkeit durch einen leisen, aber doch empfindlichen Gewtssensdruck vergällt wer den. Unsereiner versenkt sich nicht, man vertieft sich, und nicht in ein verrücktes Geschehen, sondern in ein gutes Buch. Die Umwelt versinkt, aber der Geist bleibt wach. Genuß ist für dies Lesen nicht das rechte Wort, aber Freude. Das Buch hat die Welt unigestaltet. Mit Recht läßt man mit Gutenberg ein neues Zeitalter beginnen, so gering seine Leistung an denen der großen Erfinder gemessen auch sein mag. Bücher hat es immer gegeben, aber nicht das Buch. Wilhelm Raabe hat mir einmal gesagt, wir verständen die Menschen bis etwa in die Zeit gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, dahinter wären sie uns fremd. Ich bin der Ansicht, daß wir uns wohl eine Welt ohne die sogenannten technischen Errungenschaften vorstellen kön nen, aber keine, in der nicht vorhanden war, was wir das Buch nennen. Es gibt etwas wie ein beständiges Ringen zwischen dem Buch und dem Leben. Daß jedes Buch außer dem Lehrbuch im engen Sinn, auch das nur betrachtende, wenn es echt ist, mit dem Leben zu ringen hat, wird ohne weiteres einleuchten, aber das Leben ringt auch mit dem Buch. Es hat in Deutschland Zeiten gegeben, wo das Buch über das Leben die Oberhand gewonnen hatte. Dabei kann ein Volk auf die Dauer nicht gedeihen. Ebenso frommt es aber auch dem Leben nicht, wenn dem Buch nicht der ihm gebührende Platz eingeräumt wird. Es genügt nicht, daß Bücher für das Leben, für die Gegenwart geschrieben werden, schon deshalb nicht, weil die Mitlebenden kaum jemals wissen, Ivo das Wesentliche ihrer Zeit liegt, und je mehr geschieht, desto seltener wird es im Geschehen selbst erkannt. Grade wo sich das Leben der Gesamtheit und jedes einzelnen von Grund aus umgcstaltet, wird sich ckst im zeitlichen Abstand erkennen lassen, was in dem ungeheuren Wirbel des Geschehens das Wesentliche ist. Im Anfang war die Tat, Dichter und Weise kommen an die Reihe, wenn die Tat voll bracht ist. Vielleicht sind nie so viel Bücher geschrieben worden wie heute, besonders auch an Bühnenstücken. Ich verarge es keinem, wenn er dem Überschwang seiner Gefühle durch Bücherschreiben Luft macht. Die Zeit wird das nötige Sieben schon besorgen, und das echte Schrifttum über den Umsturz und seinen Geist wird kommen, wie ja auch das über den Weltkrieg erst Jahre nach seinem Ende ge kommen ist. Die Bücher können das Buch nicht umbringen, und das ist ein Glück für das deutsche Volk. Vernachlässigte Lyrik. Durch die verschiedenen Beiträge, die wir zu unserer Dis kussion: »Vernachlässigte Lyrik veröffentlichten (zuletzt in Nr. 134), ließ sich Fritz Diettrich anregen, doch noch einmal zu der ganzen Frage Stellung zu nehmen, und zwar diesmal in einer ihrer Klä rung mehr förderlichen Weise. Wir bringen Diettrichs Beitrag in der Briefform, in der er uns vom Verfasser zuging; im Anschluss daran einen weiteren Brief an nns und zwei kleinere Beiträge. Wir werden die ganze Diskussion demnächst mit einem zusammenfassenden Aufsatz abschließen. Die Schriftleitung. Dresden, 2. Juni 1934. Sehr geehrter Herr Doktor, ich trete wieder in den Wettstreit der Meinungen ein, den mein Vor stoß ansgelöst hat. Ich möchte Ihnen nochmals versichern, das; ich niemals »persönlich verärgert« war, als Sie mich angriffen. Mir lag in meinem letzten Schreiben lediglich daran, Ihnen deutlich zu sagen, daß ich mir nicht für mich, sondern für andere die Un bequemlichkeiten eines literarischen Kampfes aufbürde. Ich bin (und das mit Absicht!) über das Ziel hinausgeschossen und konnte nur dadurch die Diskussion in Fluß bringen. Hätte ich allerlei Möglich keiten klug erwogen und den Organisationen unterbreitet, so würde das praktisch keinen Erfolg gehabt haben. Durch meinen scharfen Vorstoß ist man munter geworden und bringt der strittigen Sache jedenfalls mehr Interesse entgegen. Ich will gern von einigen Herrschaften als »Stänker« verschrien werden, es sind mir Briefe von seiten der Verleger zugegangen, die mein aktives Eingreifen verdächtigen, ich will gern diese Unbilden auf mich nehmen, wenn ich nur das Gefühl habe, daß auch Sie, als meiu Gegenspieler (nicht Gegner!), gewillt sind, für die Lyrik einen Weg zu finden! Ich antworte nur in Ihrer Zeitschrift. Dagegen lehne ich es ab, auf Ausführungen näher einzugehen, wie sie im »Deutschen Wort« zu leseu waren. Mit solcher Selbstgefälligkeit hat selten ein Zeitschriftenherausgeber von seiner Hebammenkunst an junger Lyrik gesprochen. Und dennoch versucht er meine Vorschläge, die Sie und Herr Goerlitz ernsthaft diskutieren, lächerlich zu machen. Und zwar in einem Ton, der mehr auf Niederreden eingestellt ist als auf ruhiges Überzeugen. Ich möchte Sie nochmals daraus aufmerksam machen, daß es gar keinen Sinn hat, wenn Sie die Namen derjenigen Lyriker auf zählen, die heute auch durch Prosawerke Sitz und Stimme im geisti gen Raum der Nation haben. Mein Vorstoß wäre in der Tat Ton- Quichoterie, wenn ich für diese Namen ins Feld zöge und ihre Ver leger der Vernachlässigung beschuldigen würde. Eine Experimental- Serie schwebte mir vor, nichts anderes! Eine Serie, die im Gegensatz zu verstreuten Versabdrncken in Zeitschriften und Anthologien ein geschlossenes Bild von jungen Begabungen vermitteln soll. Wir haben aber heute eine Serie dieser Art nicht, die zugleich einen be deutenden Aktionsradius und einen guten wirtschaftlichen Unterbau aufzuweisen hat. So sehr ich verstehe, daß die meisten namhaften Verleger die Begabungen erst an anderen Fronten ins Feuer schicken, bevor sie gewillt sind, sie mit ihrem Firmenschild zn decken, ebensogut kann ich verlangen, von seiten der Verlegerschaft verstanden und wenigstens mit konzilianter Antwort bedacht zu werden. (Wir sitzen doch wahrlich nicht zufällig, Autor wie Ver leger, iu der Neichsschrifttumskammer zusammen!) Den» diese Ex- perimentalscrie, die mit Hilfe der energischen Kulturpropaganda des Reiches leicht zu verwirklichen wäre, tut keinem Verleger in seinen Privatplänen Abbruch. Im Gegenteil! Es dürften durch diese Serie Anregungen gegeben werden, die der verlegerischen Privatinitiative wiederum zugute kommen. Ein Sprungbrett sei diese Serie, weithin sichtbar! Nur böswilliges Mißverstehen kann sich zu der Behauptung vcrsteigen, ich wolle jeden x-beliebigen Reimer aufs Sprungbrett bringen. Börries, Frhr. v. Münchhausen hat Recht mit seiner Feststellung, es hätten sich aus Tausenden von Lyrikpublikationen in den letzten Jahrzehnten nur fünf gültige Namen herauskristallisiert. Das ändert nichts am Sinn meines Vorstoßes! Denn gerade Münch hausen hat mit besonderer Aufmerksamkeit und Hingabe junges lyrisches Schaffen in den letzten Jahren verfolgt und ihm durch manches werbende Wort den Weg in die Öffentlichkeit geebnet. Ich erinnere ferner an Rudolf G. Binding, dessen Urteil nicht minder streng zu sein pflegt. Bindings herzlicher Wunsch war es stets, die jungen Talente »wie Fische im Wasser springen« zu sehen. In solcher Haltung offenbart sich die weise Neigung, lebendiges Wachstum zu fördern, selbst auf die Gefahr hin, daß dereinst vor strengster Kritik nur Weniges standzuhalteu vermag. Der wirklich Berufene steht immer gleich einem Baum vou uamenloseu Untergängen umgeben,
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