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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.06.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1934-06-23
- Erscheinungsdatum
- 23.06.1934
- Sprache
- Deutsch
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- Saxonica
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144, 23. Juni 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. Hilter sich und NIN sich absterbendes Gehölz. Aber über Bestand und Vergehen lasst uns nicht verfrüht urteilen, sondern ausschauen und helfen, wenn's not ist! — Ich begrüße Sie voll Hochachtung! Heil Hitler! Fritz D i e t t r i ch. Sehr geehrter Herr Doktor Langenbncher! Ich las mit Interesse den Aufsatz von Fritz Diettrich in der »Literatur« sowie Ihre Entgegnung im Börsenblatt mit den sich daran anschließenden Zuschriften. Ich bin kein Lyriker sondern Kunst- und Literarhistoriker, aber, so möchte ich Herrn Diettrich fragen: wem ist damit gedient, wenn inan in einem Deutschland, das angeblich keine Gegensätze zwischen Ständen und Berufen mehr kennt und wo alles Hand in Hand arbeitet, nun die Fronten neu aufreißt! Soll es denn wieder so weit kommen, daß, wie es in den letzten Jahren oft gewesen ist, der Autor nach dem Besuch bei seinem Verleger sich »um sich zu sichern« zu seinem Nechtsbeistand begibt? Wenn diese Dinge nicht mehr aus geschaltet werden können, die Luft da nicht klar und sauber wird und der Verleger nicht zum innerlich mitgehenden Pflegevater und nachdrücklichen Nufer für das ihm anvertraute geistige Gut werden könnte, wenn man also von dem Merkantilismus, der das Buch einseitig als Ware auffassenden Gesinnung nicht mehr loskommen könnte, ja dann müßte jeder, der heute überhaupt Kopfarbeit leistet, verzweifeln und sich auf andere Arten geistiger Übermittlung ver lassen. Sind aber nicht bereits Ansätze zur Besserung da, für den der guten Willens ist, doch deutlich sichtbar, überdies auch in den Neorganisationsbestrebungen der Heranbildung eines guten buch händlerischen Nachwuchses durch den Börscnverein und in dem zweifel los starken Zurückdämmen der journalistischen Dichtung durch den deutschen Verlag bemerkbar. Wenn Herr Diettrich den Pegelstand der deutschen Dichtung seit Jahren so genau betrachtet, so muß ihm dies doch ausgefallen sein, um so mehr als bisher in der Lyrik ja noch nicht die Scheidung zwischen lyrischem Journalismus und wirklicher Dichtung vvrge- nommen wurde! Es wäre nämlich endlich an der Zeit, daß die ganze Sintflut der auf A utorenkosten hergestellten Lyrikbücher, die das Gesicht dieser Sparte der Dichtung völlig verwischen, ge kennzeichnet wird. In Wien z. B. sind es von 45 vorliegenden Ge dichtbänden im Jahre 1933 nicht weniger als 38, bei denen sich Nach weisen ließ, daß sic auf Autorenkosten hergestellt wurden - und dabei waren gewiß noch nicht alle Erscheinungen erfaßt; im reichs- deutschen Verlag ist es, wie ich aus eindringlicher Beobachtung an muß da einmal gefragt werden, wie soll denn der arme Sortimenter, dessen buchhändlerische Vorbildung überdies im letzten Jahrzehnt doch gewiß Löcher aufwies, unterscheiden können, was er sich aus dieser unübersehbaren Produktion auf Lager legen soll und was nicht; der Waschzetteltext des Verlegers schrie doch unter dem Druck der auf den Druckkostenbeitrag pochenden Autoren in ungezählten Fällen in einer den Verleger wirtschaftlich immer stärker bedrohenden Zeit häufig da am lautesten, wo die wenigste Wolle war. An was sollte der Sortimenter sich halten? An die Kritik? — Nun, wir kennen aus zahllosen Debatten den Besprechungsbetrieb der liberalistischen Zeit zur Genüge und wissen, daß auch heute noch allzuviel Abhängig keit von wirtschaftlichen Interessen und von nur gesinnungsmäßiger Förderung in den Buchbesprechungen der Tageszeitungen waltet. Aber auch die ernste Kritik hat fast durchwegs versagt, und gerade die Dichter selbst haben sich, wie Sie sehr richtig schreiben, als schlechte Buchbcsprecher erwiesen, ebenso wie ja die Maler natürlicherweise, da notwendig eingespannt in ihre Art, immer miserable Beurteiler andersgearteter Malereien sind. Abgesehen davon aber kann man immer wieder die Feststellung machen, daß der Lyriker nie bedenkt, wie sich die Struktur des bücher kaufenden Publikums in den letzten zwölf Jahren verändert hat. Gerade die Leute, die früher diejenigen waren, die der Lyrik in ihren Büchereien einen breiten Platz gaben, sind doch fast aus dem Kunden kreis des Buchhändlers ausgeschieben, mit rührender Anhänglichkeit griffen sie immer noch nach den alten und zerlesenen Lyrikbänden, die ihnen geblieben waren oder sie kauften Anthologien. Was wirklich gestaltet und groß ist, was von Wichtigkeit für Sprachleib und Sprachleben ist, was von innerer Verbundenheit zum Volk erfüllt ist, geht auch darin ein, ob mit oder ohne nachdrückliche Hilfe des Buchhandels; davon ist, glaube ich, jeder echte Lyriker über zeugt. Gäbe es sonst Lyriker, die unbeirrt trotz schwierigster Ver hältnisse Jahr um Jahr — obwohl ihnen Dutzende von Verlagen ihre Arbeiten zurücksandten —, ihr Werk weiterbauen, weil sie eben wissen, daß sie, ob sie wollen oder nicht, Weiterarbeiten müssen und daß sie aus einem gar nicht regulierbarem Zwange weiter dichten, weil sie mit all ihrem Fühlen und Denken in und mit der Sprache leben und das »Es« stärker ist als sie! Ja, wir müssen heute die Tatsache als vorhanden annehmen, daß unsere bedeutendsten Lyriker — und ich kenne Fälle, neben denen alles das, was aufbegehrt und schreit, blaß und ärmlich ist — wohl die am wenigsten oder die überhaupt nicht Gedruckten sind. Das ist aber eine Sache, die außer den oben angeführten Gründen, haupt sächlich mit der Sprachverweichung von Heine bis Nilke und deren Auswirkungen zusammenhängt. Diese brachte nämlich eine ganz falsche Abschätzung des Tonwertes und des inneren Bildes der Lyrik mit sich, schon die Generation nach uns wird mit ganz anderen Ohren Lyrik hören. Die Schuld daran, daß sich die Anzahl der wirklich dichterischen Leistungen und deren Sichtbarmachung durch den Buchhandel nicht decken, kann aber keineswegs allein, wie es Diettrich tut, dem Ver- lagsbuchhanöel in die Schuhe geschoben werden, und noch weniger gut scheint es daun, wenn versucht wird, Brückeu zu bauen und Klärung zwischen beiden Gruppen zu schaffen, einfach in seinem Haus zu bleibeu und die Läden herunterzulassen. Ich hätte nach manchem, was ich sah und miterlebt habe, keinen Grund für den deutschen Buchhandel gegen die Autoren anzugeheu, aber so wie Diettrich es tut: einfach alle Fäden durchzuschlagen, so geht das nicht, so geht das ganz bestimmt nicht! Mit deutschem Gruß Wien, den 1. Juni 1934. vr. Herm. N. Leber. Mehr Lyrik? — Nein, bessere Lyrik! Sehr geehrter Herr Diettrich, Ihre Forderung, der Lyrik durch staatliche Machtmittel einen größeren Wirkungskreis zu verschaffen, ist, wie vorauszusehen war, allseits abgelehnt worden. Wie man nicht durch Kommando und Gängelung eine neue Kultur befehlen kann, so wenig kann man der Dichtung, und besonders der lyrischen Dichtung, eine künstliche Platt form geben, auf der sie sich doch nur wenig produktiv entwickeln, dafür aber um so selbstherrlicher wuchern würde. Ihre gute Absicht in Ehren! Aber was nützt eine gute Absicht, das Eintreten für eine Sache, von der man weiß, daß sie innerlich irgendwo krank und faul ist und erst an sich selber wieder genesen muß, ehe man sie auf Erholung schicken, d. h. fördern kann. Warum aber haben Sie, der doch wirklich mit dem lyrischen Schaffen unserer Zeit vertraut ist, all diese Mängel und Unzulänglichkeiten, die ihm anhängen, außer acht gelassen? Ist aus dieser Subjektivität, die vielleicht gewollt, vielleicht auch ungewollt ist, nicht eine pro-clonro-Nede geworden? In diesem Falle aber geht es um mehr, als um das persönliche Wollen. Und es war erfreulich, daß zu dieser Angelegenheit so viele das Wort genommen haben, denn es ergab sich damit der Beweis, daß es einer großen Anzahl ernst, sehr ernst um das Schrifttum, um die Lyrik unserer Zeit ist. Wie aber sieht diese Lyrik aus? Seit Jahren mache ich in Zeitungen und Zeitschriften Be sprechungen über Lyrik-Bände, und ich muß gestehen, daß ich immer mehr mit Abneigung die Bücher von den Redaktionen in Empfang genommen habe. Und warum? Weil 98 vou 100 mittelmäßig und schlecht waren. Jawohl, 98 von 100! Abgesehen von simpler Neimschmiederei, die auch heute noch ihren Verleger findet, haben in den meisten Fällen unreife Naturen ihre inneren Beklemmungen und Nöte in mehr oder weniger umfang reichen Gedichten niedergelegt, haben - meistens schon mit Gott und Göttlichem anfangend, denn von da ab beginnt für sie ja erst ein diskutables »dichterisches Niveau« — eine Wort-Mystik und Ge heimniskrämerei zu Papier gebracht, die alles eher als erträglich wirkt. Alles, was ein kürzerer oder längerer Bildungslehr- (eigent lich leer-)gang in ihnen an Vorstellungen hochgezüchtet hat, findet in der »Lyrik junger Dichter« seine Ablagerungsstätte. Eine Wort malerei von monumentalen Ausmaßen muß dann dafür herhalten, die Geistes- und Gefühlsarmut dieser unreife» Pegasusreiter zu ver decken. Daß ein Gedicht ihrer laufenden Produktion gar einmal schlecht sein könnte, oder der Gedanke, daß unser Bildungsstand eigentlich jedem einigermaßen geistig regsamen Menschen die Mög lichkeit gibt, ein einigermaßen anständiges, in Form und Rhythmus einwandfreies Poem anzufertigen, ist ihnen so fremd wie den Fröschen das Fliegen. Nun märe die Sache ja nicht so schlimm, wenn diese Poeterei in der Schublade des Erzeugers als geistige Selbstbegnügung oder evtl, zum Hausgebrauch liegenbleibeu würde. Aber nein, dafür gibt es sogar noch Verleger! Und zwar solche, die aus der Dumm heit ein Geschäft zu machen verstehen. Bekanntlich weiß jeder an- 569
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