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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.06.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1934-06-14
- Erscheinungsdatum
- 14.06.1934
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- Deutsch
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136, 14. Juni 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b-Dtschn. Buchhandel. Unser Volk hat ihm auch die Treue gehalten, aber es charakterisierte die bekannten lauten Kunstströmungen seit Richters Tod, wie schwankend er in diesey Jahrzehnten beurteilt wurde. In einer Zeit, in der das Lebensgeheimnis der deutschen Linie verlorenge gangen war, mußte er von den ausschließlich im Impressionismus und Expressionismus Befangenen verschütt werden. Dies war nicht nur ungeschichtliches Denken und Traditionsfeindschast, was ein zu nächstliegender Vorwurf wäre, aber das Prinzip der westlichen Formauflösung und Formzerspaltung, das sich darin offenbarte, mußte an den Lebensnerv des deutschen Kunstkönners rühren. Da bei konnte doch dem urdeutschen Wert der romantischen Linie da oder dort eine plötzliche erregende Einsicht zuteil werden: ähnlich wie eine bestimmte Gruppe des Expressionismus den späten Böcklin, also gerade den von Meier-Graefe verdammten, den nicht-impres sionistischen, für sich reklamierte, entdeckte der Kubismus gewisse Bilder Richters, wie die berühmte, so kernhaft für ihn zeugende »Überfahrt am Schreckenstein« für sich als geometrisch, eine Er kenntnis, die sich die darauffolgende »neue Sachlichkeit« erst recht für ihren Zusammenhang mit dem romantischen Klassizismus be stätigte. Hier dämmerte eine Ahnung auf, daß in Richter doch noch mehr Probleme steckten, als mit der bloßen abschätzigen Etikette »Der Malcrpoct« gegeben sind. Für jenen dreisten Radikalismus war es ein leichtes, Richter als »pedantischen Vertreter eines altmodischen Glücks im Winkel« abzutun, ihn als »Mann im Schlafrock«, als »spießbürgerlichen Philister« zu brandmarken. In solcher Kritik an dem Verhalten Richters kennzeichnete sich auch der ganze Haß gegen das gesunde Bürgertum der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aus dessen Welt Richters Kunst beruhte, dessen Erlebnisse er in Seele umsetzte. Es ist jedoch zu billig, Richter engen Horizont und Schwäche vor- zuwerfcn, seine Selbstbegrenzung ist nicht »Beschränktheit«! die Enge des Schauplatzes und der Motive ist keine der Empfindung, sie er möglichte ihm überhaupt erst die ihm eigne seelische Vertiefung. Es sind ja auch diese Inhalte Werte, deren Bedeutung sich uns immer wieder in der Folge der Zeiten aufdrängt, wenn wir es nötig hatten, zu ihnen zurückzukchren. Eine wärmende Herzens heiterkeit, wie sie einem reinen und religiösen Gemüt zu eigen ist, durchwaltet sein Schaffen, etwas Liebenswürdiges und Märchen haftes klingt uns aus ihm entgegen. Es verkörpert zarte, ver sonnene, verträumte Züge der deutschen Seele. Er schildert den arbeitsamen Frieden des Alltags, das schlichte Leben im Kreis der Familie mit den vielen Sorgen und dem bescheidenen Glück, den Festtag der bürgerlichen und der bäuerlichen Welt in den alten Bräuchen und Sitten, den frohen Genuß der heimatlichen Natur in Hain und Flur, die fromme Hingabe an die Schickungen des Lebens. Ihm rauschten noch die Brunnen in den kleinen Städt chen, ihm blühten noch die Linden aus dem Dorfanger. Wenn sonst ein fröhliches Behagen aus der Welt verschwunden wäre, hier, in der Beschränkung aus das alltägliche, nahe, lebt es noch. Mit Märchenaugen sah er in die Welt. Vor allem aber zeichnete er die Welt der Kinder; in einer nimmer endenden Reihe schilderte er das kleine Volk in seiner Unberührtheit, seinen Spielen und Freuden, seinen Tänzen und Leiden. Man schelte auch den gemütvollen Humor nicht, den er uns darbietet, und der zu seiner schlichten har monischen Weltanschauung, aus einer innigen Religiosität begrün det, gehört. Er hat etwas volksliedhaftes an sich und es ist in seiner Kunst viel vom deutschen Wesen zum Bilde geworden, es gilt von ihm, was er selbst vom deutschen Märchen sagte: »Wer das Ohr aus diesen Waldboden niederlegt, der vernimmt das mächtige Rauschen einxs verborgenen Quells, den Herzschlag des deutschen Volkes». Welche Verblendung, diesen Künstler, den das Volk bald den »lieben Meister« nannte, als »Popanz der Deut schen« zu bezeichnen, als »Künstler der geistig Armen«, als »Kin dergemüt für Kinder«! Welche Verdrehung alles volkhaften Rechts, welche Fremdheit gegenüber dem deutschen Volksgeiste gehörte dazu, in Ludwig Richter die »Hohlheit allerprimitivster Sentimen talität«, den »Nullpunkt der Skala seelischer Emotionen» zu sehen und ihn als »hohlen kleinen Götzen chauvinistischer llrteilsbe- schränktheit« zu schildern. Solche Wutausbrüche — anders sind der lei Geistreichigkeiten nicht zu bezeichnen — lassen daraus schließen, was solchen Besessenen an deutscher Stammesart unbehaglich ist. Es ist kaum zu ermessen, was Ludwig Richter in den Jahrzehnten 532 des werdenden Reiches zur Kräftigung unseres Volkes beigetragen hat, er hat die Generation gestählt, die 66 und 70/71 erlebt und bewirkt hat. Man lese nur wieder einmal Richters längst zum deutschen Volksbuch gewordene herrliche Selbstbiographic, die »Lebenserin- nerungcn eines deutschen Malers«, um sich klar zu machen, was er für ein Kämpfer gewesen, wie sehr sein Leben ein Sichlosringen von überkommenen Banden, ein Sichhinwenden zur eigenen Auf gabe war. Zuerst hatte er sich von der Dürre des Akademismus zu befreien, dann vom Sehnsuchtskampf des Jtalianismus. In Rom malt er den Watzmann, in den Sabinerbergen kommen ihm beim Improvisieren sächsische Landleute am Sonntagsmorgen in die Feder, im Umkreis des Forums vertieft er sich in die Holz schnitte und Kupferstiche Dürers. »In der Kunst soll Tiefe und Einfachheit mein Bestreben sein. Um die Natur mit tiefster Emp findung zu fassen und mein Gemüt dadurch auszudrückcn, treibt mich mein Sehnen nach Deutschland, besonders nach den heimischen vertrauten Gegenden, weil ich doch diese nur recht kenne«. »Ich habe den Weg gefunden, aber er weist mich nach dem Vaterland«. »Es ist mein Bestreben, deutsche Natur zu einem Adel, zu edler Größe zu erhellen«. »Deutschland! Der Geist des Volkes rauschte auf wie eine Welle. Die Erwartungen des deutschen Volkes wur den von den Fürsten nicht erfüllt, die schöne Welle brandete und verlor sich. Wo ist jetzt das schöne begeisterte Treiben hin? O, was hätte aus Deutschland werden können, hätte alles seinen freien Gang gehen können!« »Vivat Deutschland, dort soll meine Kunst erst blühen, dort findet sie ihr Vaterland« (l824—1827). Zu welcher Offenbarung dann 1835 die Reise ins böhmische Elb land für seine und unsere Landschaftskunst wurde, ist bekannt. In den Gemälden bis 1848 vollzieht sich die Erfüllung des klassizistischen Konturs mit realistisch-poetischem Gehalt, er wendet den Formenaufbau Friedrichs ins optimistisch-positive. Sobald aber der romantische Erzähler in ihm erwacht (1837), kommt auch seiner Graphik, seiner Buchillustration dieses formale Können zu gute, er bereichert die romantische Linienwelt mit einer Fülle gra phischer Motive; ihrem bunten Leben (das malerisch im späteren Aquarell weiterlebt) liegt ein urgermanisches Liniengesüge, ein Arabcskenzauber, ein ornamentaler Kosmos, zugrunde. Dies sollte gerade gegenüber der Überbetonung des idyllisch-bürgerlich-reli- giös-stimmungsmähigen Eindrucks, der sich auf den ersten Blick ergibt, nie vergessen werden. Die germanische Linienwelt in Rich ters Graphik, in seinen Holzschnitten wie seinen Radierungen hat, in ihrer Gesetzlichkeit wie in ihrer Mystik, ihr eignes Leben. Die Symbolik der Buchkunst beherrscht Richter aus eine erstaunliche Weise, die Sammler und Kenner wissen seine Jllustrationswerke, wie Goldsmiths Landprediger, die Marbachschen Volksbücher, Mufäus' und Bechsteins Märchen, seine Liedersammlungen u. s. f. zu schätzen. Seine Illustration kopiert nicht den Text, sondern umrankt ihn selbständig. Von der Illustrierung drängte es ihn zur Erfindung eigner Bilderzyklen; Folgen wie »Fürs Haus», »Erbauliches und Beschauliches« sind eigene Dichtungen, in denen Richters Weltanschauung im Bild zum Ausdruck kommt. Daß Richter nicht selbst in Holz geschnitten hat, kann ihm, wie Menzel, niemand zum Borwurf machen. Die Umsetzung seiner Zeichnung, die er meist selbst aus den Holzstock brachte, überwachte er aber bei den Holzschneidern (Kretzschmar, Bürkner, Haber u. a.) genau, und er achtete sorgfältig darauf, daß der Charakter des Holzschnit tes, bedingt durch das Material, gewahrt wurde und von male rischen Toneffekten sreiblieb. Besonders die ersten Abdrucke er freuen durch eine große Linienfrische. Die Zeichnungen Richters als solche mit ihrer Zartheit und Feinheit, mit dem Quellhaften ihrer mühelosen Erfindung, wollen gewiß gewürdigt sein, aber der Holzschnittwelt Richters muß doch der Vorsprung gegeben werden, da sie dem ganzen Volke das Miterleben ermöglichte. Und jenseits der Grenzen hatte sie solche Freunde wie Dorö, der alles sammelte, dessen er von Richter habhaft werden konnte, und Ruskin, der von ihnen begeistert war. Die Kunst Ludwig Richters ist ein unver lierbares Erbgut für unser Volk, aus dem noch vielen kommenden Geschlechtern Freude sprießen kann. Es muß nur recht verstanden und gepflegt werden. vr. Julius Zeitler.
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