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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.04.1919
- Strukturtyp
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- 1919-04-15
- Erscheinungsdatum
- 15.04.1919
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- Deutsch
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Not-Bücher und geistige Urproduktion. Ich kann euch nicht bescheiden, was weiter da geschah. Viel Ritter und viel Frauen man da in Tränen sah. Dazu viel edle Knechte. All ihre Freunde tot! Hier hat die Mär' ein Ende. Das ist der Nibelungen Not. Das war auch ein Zusammenbruch. Eine Katastrophe. Eine Welt sank in Trümmer. Der alten Götter Ende dämmerte auf, Feuer umbrandete den Saal. Aus tausend Flammen gebar sich der Morgen. Aber aus tausend Schicksalen gebar sich ein Buch. Und als Helden starben, lebte noch das Volk. Das Volk, das aus all den Heldentaten und aus all den Fehlern, aus Misserfolgen und Erfahrungen gelernt hat, was die Welt von ihm fordert, - mag man diese Welt achten oder verachten, ganz gleich. Immer wenn die Spitzen abbrechen, wird die ebene Trag fläche breiter und tragfähiger. Der Vergleich mit dem deutschen Zusammenbruch von 1918 ist mit Händen zu greifen. Auch hier entsteht eine neue Welt durch ein lebenskräftiges Volk. Nicht daß es gerade sehr stark wäre in neuen Gedanken, — nein, neu ist das alles vielmehr nur deshalb, weil es nicht das Alte ist. Mehr nicht. Darin liegt etwas Negatives. Wir bauen auf nicht nach neuem Plan, sondern nur unter Vermeidung alter Stilarten. Aber wir bauen doch, und diese Tatsache genügt zurzeit. Das bedeutet für das Buch, daß es an Altes sehr wohl anknüpfen kann und auch auknllpfen soll und nicht alles von vorn anzusangen braucht (wenn es auch überall den neuen Wandlungen Rechnung tragen mutz). Das Buch wird auch jetzt wieder der flüssige Niederschlag der gasförmigen Ideen. Einmal und im billigsten Sinne gilt dies von den Büchern über.den Krieg, die von pilzhafter Frucht barkeit scheinen und deren Mhcel sich über alle Generale, Staats männer, Politiker und Kriegsteilnehmer hin verästelt. Ist man dieser Literatur auch vielfach herzlich überdrüssig, so ziehen etliche starke und schleierlüftende Werke doch sehr. Und viele Schleier sind da wirklich noch zu lüften. Aus tausend Schicksalen gebären sich höchstens hundert brauchbare Bücher. Darunter befinden sich die stillen, abseitigen Erfahrungen dieser fünf Schicksalsjahre, die vielen Schweigsamen die Zunge lösen. Aus der Not eines Volkes erhebt sich das mitteilsame Wort und der rufende Schrei. Das mutz so sein, weil es Psycho logisch notwendig ist. Darin liegt aber zugleich die Prognose für einen Aufschwung des deutschen Büchermarktes. Er war schon im Kriege nicht schlecht, aber er wird gewiß jetzt noch besser werden. Kein Volk hat in diesem Kriege so viel gelernt wie das deutsche (keines auch so viel Lehrgeld bezahlt). Der Nibelungen Not hat uns Augen und Sinne geöffnet und öffnet sie uns weiter, denn diese Not ist noch lange nicht vorbei. Not macht erfinderisch und arbeitsam — das eine davon h a t sie schon ge zeigt, das andere wird sie gewiß bald wieder in vollem Maße zeigen. Und vor aller Praxis steht der Geist. Daß wir das Unglaublichste geleistet haben, als wir vier Jahre laug einer Welt von Feinden trotzten; nach der Theorie schon längst hätten erledigt sein müssen und dennoch leben; daß wir oftmals aus dem Nichts das Etwas gemacht, wie Stick stoff aus der Luft, Armeen des Schwertes und der Arbeit aus dem Boden gestampft und Kornfelder in der flachen Hand haben wachsen lassen: das alles war nur möglich, weil ein über alles disziplinierter Geist Deutschlands Eigen ist. Mögen die Indi viduen darüber hingehcn, dieser Geist ist unsterblich, unzerstörbar, unverlierbar. Er schasst Urproduktion. Und Urproduktion ist heute Deutschlands einzige Rettung. Von Rohstoffen entblößt, vom Weltverkehr abgeschnitten und ausgeschlossen, kann es seine Eintrittskarte in die große Welt des Handels nur durch Urproduktion erkaufen. Auch die Fi nanzen lassen sich nur durch Urproduktion bessern. Wir müssen möglichst aus dem Nichts erschaffen, das heißt so schaffen, daß wir nicht zu kaufen brauchen, was wir wieder verkaufen wollen, 266 sondern unmittelbar aus Arbeit leben, also aus deutscher Erde oder aus deutschem Geist. Da ist also das Buch der Bruder der Kohle. Je stärker sich unser Wille zur Selbstbehauptung regt, je wagemutiger wir in dem Gefühl unseres Könnens an neue Auf gaben gehen, um so weniger dürfen wir übersehen, daß uns viele Gebiete, die früher erfolgreich waren, verschlossen sind. Das ist eine wirtschaftliche Tatsache, die ihren Schatten auch auf die Bllcherproduktion werfen muß. Das Kapitel der Bücher- llberproduklion hat eine neue Farbe bekommen, ist klarer ge- worden angesichts der schweren Erfahrungen, die die deutsche Volkswirtschaft jetzt macht. Halten wir jede Überproduktion zurück, so gewinnen wir heute doppelt. Wir werden Gedanken und Kapital um so «her freibekommen für diejenigen Arbeits gebiete, die uns den langsamen aber sicheren Aufstieg ermög lichen oder gar gewährleisten. Aber der Begriff der Über produktion kann nur aus dem Gesichtspunkt des Werturteils gewonnen werden. Je näher etwas der Urproduktion ist, je weiter also vom Referat und Aufguß entfernt, um so wertvoller ist es heute. Jede Arbeilsvereinsachung, jede Entdeckung und Erfindung, jede Entbehrlichmachung aller umständlichen Zwi schenarbeiten, jede ideale Gabe für die Menschheit ist in diesem Sinne Urproduktion. Die kann uns keine noch so schwere Frie densbedingung nehmen, die kann kein Feind wertlos machen. Gerade die geistige Arbeit, sei es des Unternehmers oder des Gelehrten, des Ingenieurs, des Technikers, Chemikers, ist solche Urproduktion; auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften liegt da ein wichtiges Stück zum wirtschaftlichen Wiederaufbau. Eng. land hat auf der Verkehrsvermittlung, auf dem Umschlag von Waren und Ideen, auf Schifsssrachtraten und Weltpolitik sein Glück aufgebaut — als wir das nachmachen wollten, schlug es uns fehl. Wir dürfen nicht mehr nur Vermittler, wir müssen immer in erster Linie Erzeuger sein — und auf literarischem Gebiet genau so und erst recht! Also jedes Buch, das notwendig ist, gleichviel, ob es lehrhaft oder unterhaltend sei, liegt im Rahmen unserer Aufgaben, lind ebenso sicher gehört hierher das Buch nicht, das nicht not wendig ist. Je weniger notwendig, um so weniger ist es Ur- Produktion, oder umgekehrt, je weniger Urproduktion, um so weniger ist es notwendig. Alles, was nur neu aufgießt, aus Vorhandenem Neues macht, um überhaupt nur etwas zu machen, muß noch sorglicher gemieden werden als vorher. Dazu haben wir jetzt kein Geld und keine Zeit. Mithin muß da auch der wirkliche geschäftliche Erfolg auf die Dauer ausbleiben, wenn sich der mit unnötiger Literatur überzogene des Reinfalls be wußt wird. Nur um Bedarf zu »Wecken«, der, eben aufgeweckt, alsbald wie ein Kranker wieder einschläft, dazu sind unsere Zeit und unsere Kraft jetzt zu kostbar. Flüchtigen Bedarf zu befrie digen kann in den nächsten Jahren die Aufgabe des deutschen Verlagsbuchhandels nicht sein. Aber straffes, nüchternes Zu sammenraffen all der Kraft, die zum Lernen tauglich ist, und darüber hochbaucndes ideales, also keineswegs nüchternes Wei sen neuer Wege der Menschheit, der Wissenschaft, der Kunst mutz das Ziel sein. Solches zu fördern, anzuregcn und zu ver breiten darf als die vornehme und einzige Aufgabe des deutschen Verlagsbuchhandels bezeichnet werden. Engherzig soll das nicht sein, aber streng nach dem Werte soll gefragt werden. So muß auch das Buch heute unter dem Zeichen der Not und des Auf baus stehen; das heißt nicht, daß es Not Widerspiegeln dürfe, nein, die Rot soll nur Wächter sein bei dem Entschluß, es entstehen zu lassen; kann dieser Wachtposten passiert werden, dann soll der Aufbau kühn, schön und groß sein. Wird solche Selbstzucht bei Autoren und Verlegern Gemein gut, dann dürfen wir einer neuen Blüte des deutschen Buches ent gegensehen. Dann wird es neue hohe Achtung in der Welt er- ringen, weil es deutsche Geistesarbeit gesichtet und geläutert vermittelt und der Menschheit dient. Rötung das Schwert wird Rötung das Buch. Rötung ist das Buch, das aus tiefem Wissen notwendig ist und der Welt notlut. Das ist eine Idee, die (wie manche andere) aus dem Opfertod der deutschen Männer für den deutschen Geist erwächst. vr. Alexander Elster.
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