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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.04.1917
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1917-04-03
- Erscheinungsdatum
- 03.04.1917
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- Deutsch
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- Saxonica
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Buch und Volk und die volkstümliche Bücherei. Eine Berichtigung und Ergänz u u g. Ich bitte, zu den Ausführungen, die Kurt Loele kürzlich im Buch händler-Börsenblatt zu meiner Schrift -»Buch und Volk« gemacht hat*), einige Worte sagen zu dürfen. Wer Loeles Besprechung liest,! muß zu der Überzeugung kommen, daß der Urheber der Schrift ohne Kenntnis der wirklichen Verhältnisse vom grünen Tisch aus eine idealistisch verstiegene Volksbildungspolitik einleiten wolle, im Gegen satz zu den Praktikern hinter dem Schalter der Bücherei und dem La dentisch des Buchhändlers. Diese Diskreditierung allein kann genü gen, verständige Männer von der Lektüre des Heftchens abzuhalten. Aus meiner Schrift selbst geht aber unmißverständlich hervor, daß die dort vvrgetragenen Anschauungen Voraussetzung und Ergebnis einer mehr als zehnjährigen praktischen Arbeit hinter der Ausleihbank der volkstümlichen Bücherei sind. Es dürfte Loele auch nicht unbe kannt sein, daß ich in diesem Zeitraum die Entwicklung der deutschen volkstümlichen Bücherei nicht nur miterlebt, sondern im Sinne jener »utopistischen« Anschauungen mitgestaltet habe. Loele hat auch vor gar nicht langer Zeit in diesem Blatte die Einrichtungen und Leistun gen der Zentralstelle für volkstümliches Biichereiwesen besprochen**). Er hat dabei das Unternehmen der Aufmerksamkeit und dem Wohl wollen des deutschen Buchhandels empfohlen, ja sogar ein Hanöin- handarbeiten von Zentralstelle und Buchhandel angeregt. Diese Em pfehlung und Anregung bezogen sich besonders auf die »Literatur beratung« des Publikums und auf die damit verbundene Ausarbei tung von Bücherverzeichnissen, wie sie von der Zentralstelle heraus gegeben werden. Nach Loeles heutiger Stellung müßte man anneh men, daß jene von ihm so verständnisvoll gewürdigte Zentralstelle, deren Einflußsphäre heute von Rotterdam bis Budapest reicht, nun ein Institut sei, das mit meinen utopistischen Bestrebungen nichts zu tun habe und bei dem ich recht gut in die Schule der Praxis gehen könnte. Aber seltsam, — eben diese Zentralstelle ist eine Schöpfung des Urhebers jener Schrift, deren Gedanken Loele heute dem deutschen Buchhandel als zu utopistisch, um »ernsthaft darüber zu. reden«, hin stellt. Noch einige sachliche Bemerkungen seien mir gestattet, nicht zu dem sozialpädagogischen Grundgedanken meiner Schrift selbst, aber zu einigen, vielleicht an dieser Stelle besonders interessierenden Neben- sragen von großer praktischer Bedeutung. Loele schreibt, bei der Verfolgung meiner Ziele würden »die öf fentlichen Büchereien das Ziel der literarisch gebildeten Kreise werden, also gerade dem Publikum dienen, für das sie nicht bestimmt sind«. Mit solchen Behauptungen sollte man vorsichtig sein. Wer den Grund gedanken meiner Schrift erfaßt hat, nämlich die Heranziehung aller lebendigen Kräfte der Nation für das lebendige Buch (die Begriffe »literarisch-« und »ästhetisch-wertvoll« kommen bei der Begründung meiner Lehre überhaupt nicht vor), der wird von vornherein nicht einsehen können, wie mit dieser Forderung nur die »literarisch gebil deten Kreise« berührt werden sollen. Wenn Loele glaubt, daß die Fähigkeit, ein Buch von Gustav Freytag, von Theodor Storm, von Peter Nosegger, von Auguste Supper, von Willibald Alexis, von Heinrich Sohnrey, von Charles Dickens, von Max Eyth mit Genuß lesen zu können, literarische Bildung erfordere, so würden wir be rechtigt sein, seiner hinter dem Ladentisch erworbenen Menschenkennt nis zu mißtrauen. Nicht literarische Bildung, sondern reinen Sinn, lebendiges Gefühl, noch nicht verbogen und verdorben durch die Sen sation des Massenbuches, erfordert die Lektüre jener Schriftsteller. Aber den Beweis der wirklichkeitsfremden Konstruktion in jener Loele- schen Annahme kann ich auch statistisch erfahrungsgemäß führen. Die von mir geschaffene und von mir sieben Jahre lang im Sinne meiner Schrift geleitete Freie öffentliche Bücherei Dresden-Planen ist die allgemeine öffentliche deutsche volkstümliche Bücherei, die mit größerem Erfolge als irgend eine andere ähnliche Anstalt gerade die proletari schen und jugendlichen Leser an sich hcrangezogen hat. Und wenn Loele sich einmal die Mühe machen würde, hinter die Schalter der großen, von drängendem Leben erfüllten städtischen Bücherhallen zu Leipzig zu treten oder in den Leserregistern dieser volkstümlichen Bü chereien nachzuschlagen, so würde er sehen, daß die überwältigende Mehrzahl ihrer bisher eingeschriebenen 12 000 Leser wenn auch nicht ausschließlich den proletarischen, so doch den arbeitenden Kreisen der Bevölkerung angehört. Und auch die Leipziger Bücherhallen, gleich falls von mir eingerichtet und geleitet, stehen auf jenem in meiner Schrift Buch und Volk entwickelten Standpunkt, von dem Loele eine *) Bbl. 1917, Nr. 60. **) Bbl. 1916, Nr. 209. Abstoßung der breiten Volkskreise, eine Bevorzugung der »literarisch ge bildeten« Zirkel erwartet. Das sind Tatsachen der Praxis. Gewiß, — die Freunde der ge fühlsverlogenen Pseudoliteratur werden durch eine unter dem Zeichen Peter Roseggers stehende Bücherauswahl von der Bücherei fernge halten. Darin hat Loele vollständig recht. Aber er macht von dieser i Erkenntnis einen schiefen Gebrauch. Denn Freunde dieser Pseudv- literatur gibt es in allen Kreisen und Schichten, und es ist eine ganz willkürliche und durchaus unrealistische - Konstruktion, anzunehmen, daß die Schicht der Ullstein- und Eschstrnthleser etwa mit den breiten, arbeitenden Schichten des Volkes zusammenfalle. Im Gegenteil — jeder Bibliothekar, der einmal den Versuch mit dieser Literatur ge macht hat, weiß ganz genau, daß die schmarotzenden, jeden Tag nach einem neuen Marlitt- oder Ullsteinband verlangenden Leser zu einem sehr großen Teil gewissen wenig- oder nichtstuenden Frauenkreisen gehobener bürgerlicher Schichten angehören. Damit komme ich zu einer Seite der ganzen Angelegenheit, die schon bisher die größte Beachtung verdiente, nach dem Kriege aber entscheidend für unser gesamtes volkstümliches Büchereiwesen werden wird. Der Krieg bringt uns eine alle Begriffe übersteigende Ver nichtung von Kräften und Rohstoffen und eine finanzielle Belastung der öffentlichen Gewalten, die ohne jedes Beispiel in der Geschichte öasteht. Unsere gesamte Wirtschaft, Produktion und Verbrauch, wird sich auf diese Verhältnisse einstellen müssen, mit den Methoden und kleinen Mittelchen der bisherigen Wirtschafts- und kulturpolitischen Routiniers werden wir nicht mehr auskommen. Eine der dringend sten Aufgaben, vielleicht die dringendste, wird die Regelung des Ver brauchs, vor allem die Einschränkung, besser die Vermeidung alles törichten Tandes und Luxus, aller Veranstaltungen sein, die des inne ren Wertes entbehren und die für das Leben der Gemeinschaft nicht notwendig sind. Hierüber lese man, was ein Mann von umfassender Praxis und größter Wirtschaftsverantwortung, Walther Ratheuau, in seinen soeben erschienenen Schriften dem deutschen Volk zu sagen hat*). Wir werden zu einer neuen Sittlichkeit im wirtschaftlichen Leben kommen müssen, oder wir werden nach den ungeheuren Blut-, Material- und Geldopfern dieses Krieges nicht mehr sein. Wird dieser Maßstab mit unerbittlicher Notwendigkeit an die Privatwirtschaft des Einzelnen gelegt werden, so mit noch größerer Entschiedenheit an die Wirtschaft und Geschäftsführung der öffentlichen Gewalten. Unter dem Drucke dieser Tendenzen werden wir die größte Mühe haben, den verantwortlichen Stellen und der öffentlichen Meinung klar zu machen, daß Pflege des geistigen Lebens unseres Volkes, daß Volksmnseen, Volksbühnen, Volkskonzerte, Volksbüchereien nicht zu jenem verwerf lichen Tand und Luxus, sondern zu den dringendsten Notwendigkeiten eines Volkes gehören, das das Schwere dieses Krieges getragen hat, das das Schwere der kommenden Zeiten tragen soll, das in der Be schränkung materiellen Lebens auf die wahren Güter des Lebens ge wiesen werden und von hier zu neuer Größe, zu innerer Stärke und änßerer Macht aufsteigen soll. Alle diese Gedanken und Forderungen aber werden als leere Deklamationen beiseite geschoben werden — und das mit Recht —, wenn wir die von mir gemeinte, von Loele und Ladewig geforderte alberne, törichte, sensationelle, gefühlsverlogcne Literatur mit zu jenen dringendsten Notwendigkeiten rechneil, wenn wir verlangen, daß nicht nur Zehntansende im Jahre für die Stil lung echten Geisteshungers, sondern Hunöerttausende dafür aus- gegeben werden sollen, daß Herr Schulze seinen neuesten Detektiv roman, Frau Schulze ihre Marlitt und Eschstrnth, Fräulein Klärchen Schulze ihren neuesten Nllsteinband lesen können, daß Zehntausende, Hunöerttausende jetzt an den Schaltern der öffentlichen Büchereien auf öffentliche Kosten das unentgeltlich bekommen sollen, was sie bisher in der Leihbibliothek, mit der Berliner Illustrierten oder in der Buchhandlung gegen entsprechende Gebühren bezogen. Das ist es, — jenes Ladewigsche Programm, dem Loele zustimmt, und das jetzt den deutschen Bücherhallen aufgezwungen werden soll, führt, von allen ethischen, kulturellen Bedenken abgesehen, ins Uferlose: diese Uferlosigkeit im Interesse des literarischen Schmarrens wird die kom mende Zeit weder ertragen wollen, noch finanziell ertragen können. Mit dem Protest gegen diese Vergeudung öffentlicher Mittel in einer Zeit der Einschränkung und der Konzentration auf das Wesentliche würde dann wahrscheinlich die öffentliche Bücherei überhaupt weg gefegt werden. Und hier zeigt sich die große praktische, realistische Be deutung jenes von mir vertretenen Gedankens der dynamischen Volks- bildungsarbeit, den Loele glaubt der Lächerlichkeit der erfahrenen Praktiker hinter dem Ladentisch der Buchhandlungen preisgeben zu müssen. Dieser Gedanke trägt in sich, aus dem Gedanken echter Bolks- bildungsarbeit hervorgehend, jene materielle Beschränkung der Auf- *) »Probleme der Friedenswirtschaft« und »Von kommenden Dingen«. Beide S. Fischer, Verlag, Berlin. 1917. 32«
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