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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.05.1920
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1920-05-29
- Erscheinungsdatum
- 29.05.1920
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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Paket selbst in Empfang nahm, meinen erbarmungswürdigen Zustand sah, bot sie mir 5 Sgr. an. In meinem Standesbewußt- sein lehnte ich natürlich dankend ab. Sie lud mich nun in ihr Wohnzimmer ein, unterhielt sich mit mir und ließ mir eine Tasse Fleischbrühe reichen, die mir freilich sehr Wohltat. Der Rückweg war nun wesentlich angenehmer. Für das Packen von Paketen und Ballen bekam ich von Herrn Borstell selbst genaue Anweisung, und ich habe es auch so gut gelernt, datz ich in jüngeren Jahren wohl mit Leipziger Markthelsern hätte in Wettbewerb treten können. Der Lesezirkel, Borstells eigenste Schöpfung, war in den sechs Jahren seines Bestehens bereits derartig bekannt und beliebt geworden, daß er den größten Raum und die meisten Arbeits kräfte beanspruchte. Durch die zweckmäßige Verteilung der Arbeit war fast jeder auf seinem Posten selbständig. Die Neuig keiten kamen in Mengen von 14—100, auch mehr an. Von Frey- tags Ingo und Jngraban erhielten wir eine Kiste mit etwa 500 Stück. Diese blieb gleich im Laden stehen, und alles war in 2—3 Tagen verausgabt, da neue Bücher, vom Verleger ge heftet geliefert, gleich so ausgegeben wurden und erst von den Lesern ausgeschnitten werden mutzten. Zu den fruchtbarsten No manverlegern gehörten damals die inzwischen längst eingegan genen oder veränderten Firmen: B. Brigl, A. Saeco Nachf. in Berlin, Ed. Trewendt in Breslau, Carl Nümpler in Hannover (mit hellgelben Umschlägen), Ernst Jul. Günther, Joh. Fr. Hartknoch und Bernh. Schlicke in Leipzig, Ad. Hildebrandt in Schwerin, Ed. Hallberger in Stuttgart u. a. Rorsiane wurden damals fast ausschließlich von den Leihbüchereien gekauft, da nach richtete sich der Verleger bei der Bestimmung der Auf lage, wobei die Beliebtheit des Schriftstellers mit berücksichtigt wurde. Den Leihbüchereien lag mit Rücksicht auf die Leihgebühr an möglichst vielen Bänden. Deshalb sind die Romane damaliger Zeit häufig sehr weitläufig gesetzt und meist auf gutem, starkem Papier gedruckt. Der Preis für einen 3—4bändigen Roman, den man bequem in einen Band hätte bringen können, betrug gewöhnlich 12—18 Einige Beispiele: Raabe, Schüdderump, 3 Bde., 15 Christoph Pechlin, 2 Bde., 8 Gerstäcker, IM Eckfenster, 4 Bde., 15 Die vielfach sehr gesuchten Roman titel brachten natürlich manchen Scherz. In der ersten Zeit meiner Wirksamkeit kam mir folgendes vor: Mit einem Porzel lanteller tritt der Bursche des Generals von Bonin ein, er solle ein paar Hosen von einem Herrn von? (Namen habe er vergessen) abholen, und einen Hering. Einen Irrtum vermutend, weise ich ihn ab. Er läßt sich aber nicht be deuten, der General habe ihn ausdrücklich nach dieser Buch handlung geschickt. Eine Umfrage bei den andern Herren hatte zunächst keinen Erfolg, bis endlich ein älterer Gehilfe auf den richtigen Gedanken kam, er meinte die Hosen des Herrn von Bredow von Alexis (W. Häring). Den Porzellanteller hatte er also vergeblich mitgebracht. Ein scherzhaft veranlagter Ge hilfe leistete sich nachstehendes Stück:-Eine Dame: »Haben Sie ,ein hartes Herz'?« Gehilfe K.: »Wer, ich? (auf die Brust schlagend, dann sich besinnend), ach so, Sie meinen das Buch. Ich bedauere, ,ein hartes Herz' habe ich nicht, aber darf ich Ihnen mit .Verschmähter Liebe' aufwarten?« Beides Titel von neu erschienenen Romanen. Als einen großen Segen damaliger Zeit habe ich in späteren Jahren empfunden, daß in dem großen Lager keine unsittlichen oder anstößigen Bücher vorhanden waren. Wohl wußten wir durch die älteren Gehilfen vom Vorhandensein derartiger Schrif ten, auch wurden uns einige Titel genannt; aber gesehen habe ich auch während meiner Gehilfenzeit nur wenige. Die betref fenden Verleger waren im anständigen Buchhandel damals ver pönt. Daß sich die Zeit hierin schon seit einigen Jahrzehnten geändert hat, ist nicht zum Besten des deutschen Volkes geschehen. Am Niedergang unseres Volkes hat nach der Überzeugung vieler der Verleger und Verbreiter unsittlicher Bücher ein groß Teil Schuld. Die früher ganz verstohlen genannten und in den Ge schäften, wo sie geführt wurden, versteckt gehaltenen Bücher er scheinen jetzt in illustrierten Ausgaben und Auflagen von 100 000 und mehr und sind auch vielfach, als »Feld«ausgaben unseren Truppen nachgesandt worden. Es ist mir ganz unverständlich, k>44 Wie es Väter geben kann, die in ihrem Laden und Schaufenster schandbare Bücher ausstellen und verkaufen mögen, ohne vor ihren Kindern zu erröten. Es wäre mir ein entsetzlicher Ge danke, durch meine Handlungsweise dazu beigetragen zu haben, wenn die Seele auch nur eines Kindes vergiftet worden wäre. Junge Leute im Buchhandel müssen innerlich schon stark ge festigt sein, wenn sie den an sie in den verschiedensten Arten herantretenden Versuchungen nicht unterliegen. Und sind's nicht oft, auch junge Mädchen, die diese Bücher verkaufen müssen? Sollte ihnen wohl der Inhalt unbekannt blciben? Gott sei Dank, daß es auch heute noch Handlungen gibt, die sich, ihrer Verantwortung bewußt, von der gekennzeichneten Art freihalten. Den Leserkreis bildeten nicht nur das gelehrte und vornehme Berlin, sondern auch der Adel, Gelehrte usw. in weitestem Um kreise. In besonderer Erinnerung sind mir geblieben der sehr kurzsichtige Karl Gutzkow, der Kunstschriftsteller Professor Ad. Ro senberg, damals noch Student, der den »Salon« von uns bezog, Prinz Georg von Preußen, unter dem Schriftstellernamen G. Conrad bekannt. Auch von Fritz Reuter fand sich ein Brief im Brieffach vor. In den ersten Wochen meiner Lehrzeit ging ich Herrn Lemke bei der Auslieferung gelesener Bücher an die Leihbüchereien zur Hand. Als dieser aber nach sechs Wochen zu Meinhold L Söhne nach Dresden kam, wurde mir von Herrn Borstell dieser Teil selbständig übertragen. Dazu gehörte auch die Preisberechnung und Aufstellung von Verzeichnissen, über dieses Vertrauen meines Lehrherrn war ich ganz überrascht. Zu meiner Auf gabe gehörte auch das regelmäßige Lesen des Börsenblatts, be sonders mit Bezug auf die »Gesuchten Bücher«. Die Fakturen waren nachzurechnen und danach die Auslieferungspreise für Leihbüchereien und den Buchhandel zu bestimmen. Dadurch be kam ich gleich von vornherein einen näheren Einblick in den Buchhandel, wie er wohl selten einem Lehrling zuteil wird. Eine neue statistische Arbeit wurde mir im ersten Winter zugeteilt, die ich aber morgens von 7—8 Uhr in Borstells Woh nung zu erledigen hatte. Meine Entlohnung geschah dadurch, daß ich nach getaner Arbeit mit dem Ehepaar Borstell Kaffee trank, ein ganz besonderer Genuß. Mit inniger Dankbarkeit ge denke ich dabei der lieben Frau Borstell, die sich des linkischen, wenig weltgewandten jungen Mannes mit herzlicher, mütter licher Teilnahme annahm. Auch war ich einige Male des Sonn tags zum Mittagstisch bei der lieben Familie eingeladen. Sehr bedauerlich war es, daß ich in den Jahren meiner Ent wicklung niemand fand, an dem ich einen Halt gehabt hätte. Zwar schloß ich mich leicht an meine Altersgenossen an, machte mit, was sich mit meinen Geldverhältnissen vertrug, wurde auch vielen Freund; aber die wahre, veredelnde Freundschaft fand ich nicht. Von klein auf war ich an den sonntäglichen Besuch des Gottesdienstes gewöhnt, als Kind hinter dem Platze meines Vaters auf der Orgelbank, dann im Kinderchor; auch als Gym nasiast erschien ich regelmäßig in der Kirche. Im Geschäft wurde nun aber auch Sonntags gearbeitet (während des Gottesdienstes hinter verhängten Fenstern). Auf meinen Wunsch erhielt ich aller vierzehn Tage die Stunden für den Kirchenbesuch frei. Meist ging ich in den alten Dom, nicht wegen der Anwesenheit des Hofes, sondern weil dieser auf meinem Wege lag und ich am wenigsten Zeit versäumte. Mag auch sein, daß die Predigten dort auf mich besonderen Eindruck gemacht haben, obwohl ich von der Bedeutung der hier wirkenden berühmten Kanzelredner keine Ahnung hatte. Auch in der Sophien- und Petrikirche bin ich mehrfach gewesen. Daß ich es versäumt habe, die anderen Kir chen Alt-Berlins mit ihren bekannten Geistlichen kennen zu lernen, habe ich nachträglich sehr bedauert. Häufig besuchte ich Sonntags das Alte und Neue Museum, erfreute mich an den Werken der Bildhauerkunst, der Malerei und an den Altertümlichkeiten, wo es mir besonders die Ägyptische Ab teilung angetan hatte, aber ohne Anleitung und deshalb ohne richtiges Verständnis. Ähnlich ging es mir als Musikfreund beim öfteren Besuch der Konzerte der berühmten Meister Bilse und Gungl. Zweimal ermöglichte ich den Besuch des Opernhauses, wo ich an den Opern »Tannhäuser« und »Prophet« mit den Größen Niemann, Beetz, P. Lucca, K. Grossi u. a. mich
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