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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.04.1913
- Strukturtyp
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- 1913-04-19
- Erscheinungsdatum
- 19.04.1913
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- Deutsch
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pk 89, 19. April 1913. Redaktioneller Teil. BörleEtt s. b. Lisch,,. SuchlMidcl. 4199 <üor,scjjung zu Seile Ilöv.i Urteilskraft schwache Menschen bis an die äußerste Grenze der Kriminalität, bis zum Morde geführt ... So wäre es meiner tiefen Überzeugung nach denn auch ein verhängnisvoller Fehler, diese Verführten ihre an sich furchtbare Tat mit dem Tode büßen zu lassen. Daß solche jugendliche Mensche», denen das Elternhaus keine rechte Stütze bietet, die zu früh und unvorbereitet in das Leben der Großstadt mit seinen bunten Zufällen, seinen Ver lockungen hinaustraten, auch durch schlechte Lektüre beeinflußt werden können, halte ich nicht für ausgeschlossen. Aber dieser durch das gedruckte Wort hervorgcrusene Anreiz ist sicherlich kaum ins Gewicht fallend im Verhältnis zu den Gesellschasts- momenten, die in solchem Ansall zur Kriminalität den Aus schlag geben. Ich habe es in meiner Broschüre »Sherlock Holmes als Erzieher«*) eingehender ausgesllhrt, wie ich über die Be einflussung des jungen Menschen durch die Lektüre denke. Ich wiederhole mich, indem ich sage: unsere bürgerliche Geseu schaft ist weder intellektuell fähig, noch materiell willens, die wirklichen, das sind die sozialen Ursachen des Verbrechens zu beseitigen; sie sucht krampfhaft nach Gründen zu dem bedroh lichen Anwachsen der Kriminalität und greift nach jeder Mög lichkeit, dem Problem durch Verbote und leicht erlassene Vor schriften beizukommen. Wobei ich nicht verkennen will, daß eine Anzahl großüenkender, kluger und wohlwollender Leute — ich nenne nur den viel zu früh verstorbenen Geh. Regierungsrat Krohne I — bemüht sind, auf diesem noch so dunklen Gebiet Licht und Wandel zu schaffen. Die andere Frage: welche Lektüre bevorzugt der erwiesene Kriminelle, liest er die »Rinnsteingeschichten von Hans Hyan« oder vielleicht die Kritik der reinen Vernunft von Kant? — Diese Erwägung des Herrn Lindekam vietet sicherlich kulturell uiw psychologisch interessante Gesichtspunkte; aber sie muß bei der Beurteilung einer etwaigen Beeinflußbarkeit des werdenden Menschen in krimineller Hinsicht, wie gesagt, vollkommen aus- scheiden! Ich weiß nicht, woher Herr L. die Kenntnis seiner Beispiele nimmt, jedenfalls sind sie sehr eingehend und setzen, wenn zu treffend, eine intime Kenntnis der Kriminalakten voraus. Ich selbst kenne die Verbrecher mehr als Menschen, denn als Gefangene; als in der Freiheit befindliche und gänzlich unbe einflußte Leute habe ich sie in großer Anzahl kennen gelernt. Bet diesem mannigfachen Bekanntwerden habe ich vor allem auf die psychische Artung der Individuen geachtet, die sich immer wieder als psychopathische Entartung kennzeichnete. Diese, verbunden mit einem zweifellosen Aufstreben, bet vielen mit dem stärksten Wunsch, auch in ihrem Bildungsgrade mehr zu scheinen, als sie wirklich sind, läßt die Leute sehr häufig nach Büchern greisen, die ihnen unverständlich bleiben, die sie zwar — da ja bei ihnen das Geldausgeben meist ebenso Manie ist wie die Art, es sich zu verschaffen — aus ein auffallendes Inserat, eine zufällige Er wähnung hin kauften, aber oft gar nicht lasen. Der Krimi nelle, besonders der rückfällige, kann eben absolut nicht nach der Norm des gesetzmäßig lebenden Menschen gewertet werden. Bei ihm sind Exzentrizitäten, Launen, Exzesse jeder Art das Normale! Ich beschäftigte mich, und tue es noch, auch mit den ergriffe nen Schwerverbrechern der letzten fünfzehn Jahre; ich erfreue mich gewisser Verbindungen, die mich tiefer sehen lassen, als manchen andern; ich habe es zu meiner Lebensaufgabe ge macht, das Dasein dieser Allerärmsten zu studieren, ihnen viel leicht ein wenig zu Helsen, jedenfalls aber ihr Los in der Zu kunft zu mildern, und ich versuche in meinen Arbeiten, dichteri schen wie wissenschaftlichen, für das Verständnis der Kriminellen und ihrer psychischen Mißbildung immer weitere Kreise zu inter essieren; aber eine so intime Kenntnis der Lieblingslektüre jener Armseligen habe ich mir trotzdem nicht verschaffen können. Und doch bin ich beispielsweise über Karl Koppius, den Leipziger Zweckmörder und Monomanen, gewiß gut informiert. Ich bestreite auch im Gegensatz zu Herrn L-, daß bei einem er- *) Selbstverlag 19V9. Berlin. — Otto Maier, Leipzig. wiesenen, d. h. rezidiven Verbrecher von einer Intelligenz in unserem Sinne überhaupt zu reden ist. Denn die Logik, das wesentlichste Korrelat unserer Intelligenz, ist bei jedem Ver brecher so brüchig, ja sie schaltet zeitweise so vollkommen aus, daß sie überhaupt nicht vorhanden zu sein scheint! Es ist dies Moment, in seiner außerordentlichen Bedeutsamkeit für die Er forschung des kriminellen Gehirns, wahrscheinlich eine Parallel erscheinung der an sich schwachen, zeitlich oft ganz ausgelösten Hemmungen im Seelenleben der Verbrecher. Bet Karl Koppius war eine Logik Wohl kaum vorhanden. Er hätte sonst das Ver gebliche in seinen Jahre währenden Erpressungsversuchen an dem Verleger Weber einsehen müssen und hätte sich nicht durch diese mit manischem Eigensinn immer wiederholte Straft« seiner endlichen Ergreifung ausgesetzt. Richtig ist, daß ungebildete männliche Verbrecher, ebenso wie der ungebildete männliche Proletarier überhaupt, keine Bücher lesen. Anders ist es bei der Frau, der eifrigsten Kon sumentin der Hintertreppenromane, gleichviel ob sie ehrlich oder kriminell ist! Prostituierte lesen, ihrer vielen freien Zeit wegen, alles, oft ohne auch nur den Sinn des Gelesenen zu erfassen... In den Gefangenanstalten lesen die Verbrecher beinahe alle gern. Nur die ganz Stumpfen und die in der Tat Geistes kranken wenden sich vom Buche. Die andern griffen anfangs vielleicht aus Langeweile danach, die Isolierten, um eines an dern Menschen Stimme wenigstens mit den Augen zu hören. Bald aber erfaßte auch sie die Welt des Gedankens, zog sie immer mehr an sich, und oft entwickelte sich dann ein merkwürdig seines Verstehen für gute Lektüre bei den Einsamen. Hier, im völligen Abschluß von der Außenwelt, gewinnen die Verbrecher die Bücher oft so lieb, daß sie dieser Neigung auch draußen in der Freiheit treu bleiben. Im übrigen wird der Grad der geistigen Hochentwicklung des Verbrechers auch der Maßstab seiner Vorliebe für diesen oder jenen Lesestoff sein. So kann man leicht zu der Feststellung gelangen, daß Mano« lescu, der dem feudalsten Klub durch seine Bianieren imponierte, auch gern Gesellschaftsromane gelesen hat. Daß Manolescu, wie Linüekam meint, »sein verbrecherisches Können einzig einem oft einsetzenden traumartigen Zustande ver dankte«, ist eine Behauptung, die M. selbst aufgestellt haben mag, die aber dem wissenschaftlich gebildeten Kriminalisten gegenüber nicht stichhaltig sein kann. Es müßte sich, wollte man Manolescu oa folgen, um den sogenannten »Trancezustand« handeln, der als hypnotisch-mediale Form oder als eine auf der Basis krankyast veränderten Nervenlebens zustandegelommene Auto suggestion heute als wissenschaftlich erwiesen gelten darf. Als hauptsächliche Emanation solcher Psychosen hatte man früher die Clairvoyauce (Hellesehen) betrachtet, später hat die Telepathie sich hinzugesellt — Materien, denen die Wissenschaft nicht mehr so absolut abweisend gegenübersteht, die sie aber vorläufig mit Recht voll kritischen Mißtrauens beobachtet. Dem Kriminalforscher würde zu der Behauptung des Mano lescu jedes Analogon fehlen; außerdem aber steht der fahrig tastenden Art des Sonnambulen die mit letzter Konzisität ar beitende Geste des xicxokst (Juwelenüiebes) diametral gegen über. Im übrigen war Manolescu sicherlich ein Psychopath allerschwersten Grades, ü. h. er litt wahrscheinlich an ererbter Hysterie und war, eine oft beobachtete Begleiterscheinung, Eroto mane. Daß damit ein partieller Schwachsinn, der einseitig hohe Fähigkeiten nicht ausschließt, Hand in Hand ging, ist nicht ver wunderlich. Und derart hochgesteigerte Kapazitäten können sich natürlich ebenso asozial wie sozial manifestieren. Ob Manolescu außerdem an Dämmerzuständen litt und diese vielleicht im Auge hat, wenn er von der das Bewußtsein ebenso ausschließenden »Trance« spricht, das wird sich heute nach seinem Tode kaum mehr feststellen lassen. übereinstimmen kann ich mit Herrn Lindekam auch keines wegs in der Beurteilung Otto Sternickels. Diesen Fall habe ich an Ort und Stelle studiert und das Resultat meiner Beobachtungen in einer Broschüre*) niedergelegt. Nach meiner Information *) Sternickel, ein Verbrecherleben. Von Hans Hyan. Berlin 1913, Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst.
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