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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.03.1929
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- 1929-03-19
- Erscheinungsdatum
- 19.03.1929
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6S, IS. März IS29. Redaktioneller Teil. können. Das mag wieder den Verleger trösten. Denn den von ihm selbst verursachten Schaden L I trägt doch nur der Sorti menter, und bei 6 III ist wirklich manchmal nichts zu machen. Nach dem allen liegt die Erhaltung eines leistungsfähigen Sortiments, das ein gewähltes Lager unterhält und sich eine Stammkundschaft heranziehen kann, unbedingt im Interesse des Gesamtbuchhandels. Nietzsche über Dilcherschrelben und Dücherlesen. Von Or. Richard Ochler. Nietzsche hat in feiner Selbstbiographie »Ecce Homo« ein Kapitel liberschrieben »Warum ich so gute Bücher schreibe«. Dort über stürzen sich förmlich die Verherrlichungen der hohen Atmosphäre, in die seine Schriften gehören. (»Es gibt durchaus keine stolzere und raffiniertere Art von Büchern«; »Die Kunst des großen Rhythmus, der große Stil der Periodik... ist erst von mir ent deckt. Mit einem Dithyrambus wie dem letzten des dritten Zarathustra, ,Die sieben Siege? llberschrieben, flog ich tausend Meilen über das hinaus, was bisher Poesie hieß« usw.). Nur Unvernunft kann diese Äußerungen als unberechtigte Selbstüber hebung ausehen. Streicht man — was man allenthalben bei dieser Selbstcharakterisierung ohne Gleichen tun muß — die Übersteigerung der Tonart im Stillen für sich immer ab, so bleibt eine tatsächliche Nichtigkeit bestehen. Nietzsche hat alle seine Schriften mit seinem Herzblut geschrieben, mit einer in der Geschichte der menschlichen Geistesschöpfuugen jedenfalls ganz seltenen, vielleicht sogar noch nicht dageweseucn Zusammenfassung von Leib, Seele, Geist, oder wie man die Erscheinungsformen der einheitlichen Persönlichkeit auch bezeich nen mag. Das fühlt jeder, dem nur irgendein Zugang zu Produk tionen des Genies gegeben ist, gleichviel, ob das Inhaltliche der Schöpfungen bei ihm einschlägt oder nicht. Dieser aber wird auch ohne weiteres die Fähigkeit besitzen, ein Zwiegespräch in angemesse ner Verfassung nachzufühlen, wie es Nietzsche am Schluß von »Jen seits von Gilt und Böse« mit seinen eigenen Büchern hält und das in eine wett sympathischere Stimmungsregion hineiuführt als viel fach die Selbstsezierungen in »Ecce Homo«: »Ach, was seid ihr doch, ihr meine geschriebenen und gemalten Gedanken! Es ist nicht lange her, da wart ihr noch so bnnt, jung und boshaft, voller Stacheln und geheimer Würzen, daß ihr mich niesen und lachen machtet — und jetzt? Schon habt ihr eure Neuheit ausgezogeu, und einige von euch sind, ich fürchte es, bereit, zu Wahrheiten zu werden: so unsterb lich sehn sie bereits aus, so herzbrechend rechtschaffen, so langweilig! Und war es jemals anders? Welche Sachen schreiben und malen wir denn ab, wir Mandarinen mit chinesischem Pinsel, wir Ver- ewiger der Dinge, welche sich schreiben lassen, was vermögen wir denn allein abzumalen? Ach, immer nur das, was eben welk werden will und anfängt, sich zu verriechen! Ach, immer nur ab ziehende und erschöpfte Gewitter und gelbe späte Gefühle! Ach, immer nur Vögel, die sich müde flogen und verflogen und sich nun mit der Hand Haschen lassen — mit unserer Hand! Wir ver ewigen, was nicht mehr lauge leben und fliegen kann, müde und mürbe Dinge allein! Und nur euer Nachmittag ist es, ihr meine geschriebenen und gemalten Gedanken, für den allein ich Far ben habe, viel Farben vielleicht, viel bunte Zärtlichkeiten und fünf zig Gelb's und Braun's und Grün's und Roth's: — aber niemand erräth mir daraus, wie ihr in eurem Morgen aussahet, ihr plötz lichen Funken und Wunder meiner Einsamkeit, ihr meine alten ge liebten schlimmen Gedanken!« Und doch: roenngleich Nietzsches Schriften zu den bestgeschrie benen Büchern der Weltliteratur gehören, so hat er selbst, wie auch durch den angeführten leicht melancholischen Epilog hindurchklingt, alles von ihm Geschriebene, einschließlich des Zarathustra, nicht für sein Letztes, Höchstes angesehen. Lockspeise für Menschen im Grunde nur sollten diese Schriften sein, Anreizungen für Gleichgeartete, die sich ganz ihm und feiner Gedankenwelt verschreiben würden, damit er in sie, in diese lebendige Pflanzung seiner Hoffnungen, seine Ge danken unmittelbar, von Person zu Persoll hineintragen könne. Mit- schaffcnde, Freunde, wirkliche Freunde wollte er mit seinen Büchern gewinnen: »O Lebens Mittag! Feierliche Zeit! O Sornmergartenk Unruhig Glück im Stehn und Spähn und Warten: — Der Freunde hacr ich, Tag und Nacht bereit, Wo bleibt ihr Freunde? Komnit! 's ist Zeit, 's ist Zeit. Diesen Mitschaffcnden glaubte Nietzsche noch weit Tieferes geben zu können, als alle seine Bücher enthielten. 304 Die persönliche, aus dem eigenen Schriftstellertum gewonnene Überzeugung wird verallgemeinert. Bücher überhaupt gelten Nietzsche nicht als die Ubermittler des Höchsten, was einer in sich trägt: »Der Einsiedler glaubt nicht daran, daß jemals ein Philosoph seine eigent lichen und letzten Meinungen in Büchern ausgedrückt habe«. »Ein Mensch, dem fast alle Bücher oberflächlich geworden sind, der vor wenigen Menschen der Vergangenheit noch den Glauben übrig hat, -aß sie Tiefe genug besessen haben, um — nicht zu schreiben, was sie wußten«. So ist Nietzsche der Meinung, daß auch Lessing in seinen Werken nicht sein Letztes, Bestes gegeben habe: »Fast jeder gute Schriftsteller schreibt nur ein Buch. Alles andere sind nur Vorrede«, Voroersuche, Erklärungen, Nachträge dazu; ja mancher sehr gute Schriftsteller hat sein Buch nie geschriebene Zum Beispiel Lessing, dessen intellektuelle Bedeutsamkeit sich hoch über jede seiner Schriften, jeden seiner dichterischen Versuche erhebt«. Die naheliegende Folgerung pessimistischer Stimmung allen Büchern gegenüber wäre aber nicht in Nietzsches Sinne. Er hat auch wieder Worte voller Ehrfurcht vor den wirklich großen Büchern der Weltliteratur gefunden: »Daß es Bücher gibt, so wertvolle und königliche, daß ganze Gelehrten-Geschlechter gut verwendet sind, wenn durch ihre Mühe diese Bücher rein erhalten und verständlich erhalten werden, — diesen Glauben immer wieder zu befestigen, ist die Philologie da«. Was aber ist ein gutes Buch, wie entsteht ein gutes Buch? Jedenfalls dürfen cs keine »Särge und Leichentücher« sein wie die meisten Bücher. Innere Freiheit, Mutwille, Tanz sollen gewiß noch eher darin zu Hause sein als schleichende Langweiligkeit, selbst wenn es sich um Fragen der Wissenschaft handelt. Denn »was ist an einem Buche gelegen, das uns nicht einmal über alle Bücher hinwegträgt?« Die wirklich guten Bücher können »tanzen lehren«. »Es gibt Schrift steller, welche dadurch, daß sie Unmögliches als möglich darstellen und vom Sittlichen und Genialen so reden, als ob beides nur eine Laune, ein Belieben sei, ein Gefühl von übermütiger Freiheit Her vorbringen, wie wenn der Mensch sich auf die Fußspitzen stellte und vor innerer Lust durchaus tanzen müßte«. Den gelehrten Büchern merkt man so leicht die Stubenluft, die Stubenenge, das Drückende an. Aber »unsere Gewohnheit ist, im Freien zu denken, gehend, schwingend, steigend, tanzend, am liebsten auf einsamen Bergen oder dicht am Meere, da, wo selbst die Wege nachdenklich werden«. Dann entsteht auch ein Buch wie die »Fröhliche Wissenschaft« es ist »ein Meerwind, ein Anker-Lichten, ein Näder-Brausen, ein Steuer-Nichten, es brüllt die Kanone, weiß dampft ihr Feuer, es lacht das Meer, das Ungeheuer!« Die innere Notwendigkeit muß das Buch geschaffen haben, das Buch muß zu Feder und Tinte, nicht Feder und Tinte zum Buch geführt haben. Wie selten sind derartige wirklich gute Bücher! »Die Menschheit bringt so selten ein gutes Buch hervor, in dem mit kühner Freiheit das Schlachtlied der Wahrheit, das Lied des philosophischen Herois mus angestimmt wird«. Aber es ist eben auch »unter vielen Tausen den kaum einer berechtigt, sich schriftstellerisch vernehmen zu lassen, und alle anderen, die es auf ihre Gefahr versuchen, verdienen unter wahrhaft urteilsfähigen Menschen als Lohn für jeden gedruckten Satz ein homerisches Gelächter«. Das beste Buch ist auch für Nietzsche die Bibel, aus ihr »kann ein Kluger alle Mittel lernen, wodurch ein Buch zum Weltbuch, zum Jedermanns-Freund gemacht werden kann«. »Unser einziges Buch ist immer noch die Bibel.« »Solche Bücher der Tiefe und der letzten Bedeutsamkeit brauchen zu ihrem Schutz eine von außen kommende Tyrannei von Autorität, um jene Jahrtausende von Dauer zu ge winnen, welche nötig sind, sie auszuschöpfen und auszuraten«. Und dann ist bemerkenswert, welche Bedeutung Nietzsche unter weitesten Menschheitsperspektiven den deutschen Klassikern einräumt. »Es ist ein hoher Zustand der Menschheit möglich, wo das Europa der Völ ker eine dunkle Vergessenheit ist, wo Europa aber noch in dreißig sehr alten, nie veralteten Büchern lebt: in den Klassikern«. Schärfer noch als mit dem oberflächlichen Bücherschreiber geht Nietzsche mit dem leichtfertigen Bücherlesen ins Gericht. Ernster nehmen, höher schrauben kann man die Forderungen an den Leser kaum, als es hier geschieht. Die Hast und Flüchtigkeit unseres moder nen Leitbetriebes wird in der bekannten Stelle über die Philologie gegeißelt. »Philologie ist jene ehrwürdige Kunst, welche von ihrem Verehrer vor allem eins heischt, beiseite gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam werden —, als eine Galdschmiedekunst und — Kennerschaft des Wortes, die lauter feine vorsichtige Arbeit ab zutun hat und nichts erreicht, wenn sie es nicht lento erreicht. Gerade damit aber ist sie heute nötiger als je, gerade dadurch zieht sie und
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