R»226,28. September 192S. Künftig erscheinende Bücher. Bsrsrnblaiis.b.Dtichn. Buchhandel. ?gzi st weder das „Berliner Tageblatt" noch die „Vossische Zeitung" haben bisher die „Deutsche Volkheit" besprochen. Der „Vorwärts" hat sie prinzipiell als nicht zeitgemäß abgelehnt, dagegen hat neuer dings das „Reichsbanner" sich sehr zustimmend ausgesprochen und zwar im Sinne einer Ablehnung der Rede von Rudolf G. Binding am Tage des Buches im Alten Theater in Leipzig. „Diese Zeit bat das Merkmal, keine Vergangenheit zu haben." Damit kennzeichnet der Dichter Rudolf G. Dinding ihre Situation. Die Besonderheit der industrialisierten und technischen Welt — meinen viele — sei so überzeugend, daß ein organischer Zusammenhang mit früheren Geschichtsepochen fortfalle. Sowie der Schaffcnsraum sich wandele, versinke die Geschlechter-Erinnerung, die im Blute liege. So wird auch oft wiederholt, daß die Zeit Vergangenheit«!»» sei. Rann man annehme», dag sie ge schichtslos ist — sie und der Mensch, der in ihren Tagen lebt^ Man kann Stolz dahinter wittern — Stolz, auf neue» 8»»damc»ten beginnen und Vergangenheit erst schaffen z» dürfe». Aber die fordernde Gewalt des 8rüheren wird durch solche Einstellung nicht ausgclöscht. wir stehe» im Schlagschatten der Jahrhunderte — auch wenn ein Geschlecht traüitionslos zu sei» glaubt. Der Mangel eines solchen Gegenwartsdcnkcns liegt »n 8cblen des Bewußtseins vom Recht des Histo rischen. Es fehlt das wissen um die Welt von gestern. Ein Zeitabgrund verschleiert die wirkliche Nähe zum deutschen Geschick aller verflossenen Tage, wem jedoch die wissentliche Beziehung zu den Erleb nissen seines Volkes fehlt — wie leicht ist der geneigt, alles vergangene für eine Last zu halte», die der Rluge sich nicht aufbürdet^ Es ist ei» einzigartiges Verdienst des Verlegers Eugen Dicdcrichs, die Lon- sequenzcn dieses Tatbestandes gezogen zu haben, plan und Ziel der Volkheit könnten Skeptiker fröhlich machen. Es muß ausgesprochen werden, daß nicht das Lesen, nicht die Einverleibung neuen Wissens Wertvollerscheint, sondern das Erleben des völkischen Geschicks, die Einfühlung in den Lebensraum vergangener Jahrhunderte, der den früheren Geschlechtern Schicksal war. Nicht die Aneignung von Tatsachen bedingt Einklang mit dem vergangenen Geist: Rhythmus und Ge sicht der deutschen Geschichte wollen erfüllt sein. Es ist eine rechtmäßige 8olgeru»g, der Jugend, der nach der Meinung aller die Zukunft gehört, auch die Vergangenheit nahezulegen, wer das Rommende erkämpft, entgeht dem Verhängnis, wegen der Zugehörigkeit zum 8rühern angeklagt zu werden. Die Schau der Jugend ergibt leichter, daß Zukunft und Vergangenheit gleichwertige Größen sind. Ist es doch die Berufung der Jugend, stürmischer und hemmungsloser in die Dunkelheit des Lünftigen vorzudringcn. Nur der Winkelbcwohner lebt ganz und gar „Gegenwart", nur er ist mit alle» Rleinheite» und Gemeinheiten der Stunde vertraut, nur er vertauscht Unentschlossenheit mit Entschiedenheit, viel Worte mit stumme» Handeln. Die Jugend aber sieht sich als Lraftmitte zwischen zwei 8erncn — einer, in der das Bild ringender, bewegter Genera tionen, die Vision deutscher Volkheit ersteht und einer Horizontticfe, durch die ihr Schritt gehen wird. Ist damit aber nicht das Geschrei lächerlich geworden, welches wisse» will, dag ein Eingehen auf Ver gangenes eine Schmälerung gegenwärtiger Aktionskraft bedeutet Der technische Lkarakter der Gegenwart entscheidet nicht über das Verhältnis des Menschen zum Ver gangenen. Das hieße doch, den „8u»kturm" gegen den „Bamberger Reiter" ausspielcn. Als Schöpfer einer andere» härteren Umwelt muß er erst recht soviel innere 8teiheit besitze», um stets die Verbunden heit mit anderen Geschichtsläufen seines Volkes zu spüren. Vom Boden der Republik kann man das vielfältige Schicksal Deutschlands wie von einem Plateau be trachten. Von hier aus ist die Zugehörigkeit zum toten Volke — das in dieser Sicht so lebt wie nur Lebende es vermögen — keine 8tage der Taktik, sondern eine Angelegenheit der Gesinnung. Nur wer sich selbst verleugnen will, kann annehmen, von der Welt der Vergangenheit wie von einer Insel ab stoßen zu können, wenn Binding meint, daß die Anschauung der früheren Zeiten gleich der „Betrachtung des Schauplatzes eines abgeschlossenen Dramas" sei, so glauben wir, daß er das Ende eines Aktes mit dem Abschluß einer fest verkett e ten Handlung verwechselt hat. Eugen Diederichs Verlag in Jena