Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.11.1932
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1932-11-01
- Erscheinungsdatum
- 01.11.1932
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19321101
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-193211011
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19321101
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1932
- Monat1932-11
- Tag1932-11-01
- Monat1932-11
- Jahr1932
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
M 255, l. November 1832. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d.Dtschn.Buchhandel. 4929 eine andere Wahrheit in diesem Krieg gab als für die Juden. Was ist Wahrheit? Er hat fitst seine Person und für sein Buch die Frage auf eine großartige und eigentümliche Art gelöst. Er hat weder die römische Wahrheit gegeben, noch die jüdische: er hat feine Wahrheit gegeben. Er hak nicht Geschichte geschrieben, sondern einen historischen Roman. Seine Wahrheit weicht zweifellos von der Wahrheit der Mten ab. Aber ebenso zweifellos ist sie die bessere Wahrheit. Dieser Doktor Josef Ben Matthias aus Jerusalem lebte in der größten Zeit des Imperiums Romanum, da das zivilisierte Europa und die angrenzenden Gebiete Asiens und Afrikas in einem mächtigen Reiche geeint waren, in einem Etaatsgebilde, das die Vereinigten Staaten Europas zur Tatsache machte. Das riesige Gebiet, das heute bei einer dreimal größeren Bevölkerung zur Aufrechterhaltung der Ordnung einer Armee von fünf Millionen Mann bedarf, be nötigte damals ganze 200 000 Mann. Es kannte, hoch zivilisiert wir es war, keinen Nationalsozialismus und keinen Militarismus. Es gab in ihm eine einzige nationalistische Gruppe: die Juden. Und grade dieser Gruppe gehörte Iosephus an. Er ernannte, daß die kosmopolitische Ordnung des römischen Reiches die vernünftige, die einzig mögliche war. Aber grade sein« Gruppe, sein Volk, lehnte sich gegen diese Ordnung auf, wollte das Unmögliche, wollte national sein inmitten einer kosmopolitischen Welt. Was sollte Joseph tun? Sei» Hirn bejahte das Imperium, sein Herz zog ihn zu der unvernünftigen nationalistischen Gruppe, der er durch Geburt und Erziehung verhaftet war. Was ist Wahrheit? Welches ist seine wirkliche Wahrheit? Die römische, kosmo politisch«? Oder die jüdische, nationalistische? Sowohl die eine wie die andere. Daß er mit der Vernunft anders antwortet als mit dem Gefühl, dieser Zwiespalt ist es, der seine Darstellung so lebendig macht. Die latenten Probleme der Situation werden, gegen den Witten dos Autors, immer wieder sichtbar. Er setzt sich immer wieder, gegen seinen Willen, mit ihnen auseinander. Die inneren Probleme werden beispielhaft vorgelobt. Die ganze Geschicht schreibung des Mannes ist eine einzige, persönliche Recht fertigung, Grade durch die Verschleierungen, die Ent schuldigungen, die Polemiken erkennen wir dos Leben des Mannes und seiner Zeit mit besonderer Klarheit. Die innere Wahrheit wird durch diese zwiespältige Darstellung viel deut licher als durch den exaktesten Bericht. Diese innere Wahrheit der Bücher des Iosephus wird durch den Nachweis, daß das oder jenes nicht stimmt, so wenig ver ringert wie die Wirkung von „Dichtung und Wahrheit" durch die Ergebnisse der Goethe-Philologie. Di« Tatsache, daß innere, dauerhafte Wahrheit nur entstehen kann, wenn objektive Ereignisse mit persönlichen Erlebnissen verschmolzen werden, wird durch nichts besser demonstriert als durch die Dauerwirkung der Schriften des Iosephus. Nicht die mög lichst präzis« Wiedergabe der Akten, nur die Intensität des Erlebens erzeugt Wahrheit. Die Frage, die die Jahrtausende hindurch vor dem Werk des Iosephus gestellt wurde: was ist Wahrheit?, wird jetzt auch ungewöhnlich oft vor meinem Iosephus-Nomon gestellt. Der gläubige Leser, der das Buch als Ganzes vertrauens voll hinnimmk, fragt vor Einzelheiten immer wieder: Stimmt das? Was ist Wahrheit? Manche Leser historischer Dichtungen werden von einer quälenden Neugier gepackt, uachzuspüren, ob die Details stimmen oder nickst. Auch meine anderen historischen Bücher hoben viele solche Nachforschungen her- vorgerufcn. Es gibt Leser, die ungemütlich werden, wenn sie keine befriedigende Antwort erhalten. Was nun den Iosephus anlangt, so sind da die weitaus meisten Details, die ich gebe, durch Quellen belegbar, und vieles, was nicht belegbar ist, kann zumindest nicht wider legt werden. Einiges freilich, ich gebe es glatt zu, stimmt nicht. Da steht zum Beispiel mein Josef, wie er zum ersten mal nach Rom kommt, auf dem Capitol uud überlegt: Rom, Rom, und er weiß, das Wort bedeutet „Kraft", und er über setzt das Wort ins Hebräische, da heißt cs Gewurah, und das ist richtig, und dann übersetzt er es ins Aramäische, da heißt es Kochbah, uud das ist leider fasch. Daß es falsch ist, das haben nun verschiedene Leser bemerkt,,u>id sie nehmen, die einen höflich, die andern grob, Anstoß daran, und sie be lehren mich, daß Kraft aramäisch Kochah und nicht Kochbah heißt. Kochbah, teilen sie mir empört mit, heißt bekannt lich Stern. Das heransz-ubekommen, ist nun nicht sehr schwer, und ich hatte es, ossengestandcn, schon seit einem Menschenalter ge wußt. Wenn ich gleichwohl das falsche b in das richtige Kochah einschlupfen ließ, so geschah dies deshalb, weil für mich das Wort Kochah phonetisch einen leicht komischen Bei geschmack hat, den ich an dieser Stelle durchaus nickst brauchen konnte, während mir das Wort Kochbah die Assoziation von „Kraft" zu wecken scheint. Ich stehe oft vor diesem Problem. Soll ich, um historisch oder grammatikalisch exakt zu bleiben, die Assoziation gefährden, die ich brauche? Oder soll ich im Detail von dieser Exaktheit abweichcn, um die gewünschte Assoziation zu erzielen? Unter meinen römischen Ministern zum Beispiel sind einige, deren Namen für mein Gefühl komisch klingen. Ich habe diese Namen ge ändert. Auch das haben einige Leser gemerkt. Was soll ich tun? Doll ich in der nächsten Auftage die fatschen, wirk samen Namen beibehalten oder die richtigen, komischen hin setzen? Und wie mache ich es wirklich mit dem b von Kochbah? Soll ich es tilgen? Eigensinnig, wie ich bin, habe ich vornächst auf das Telegramm eines ausländischen Ver legers, was mit dem b geschehen solle, erwidert, er möge cs stehen lassen. Aber heute habe ich schon wieder drei Briefe wegen des b bekommen. Was soll ich tun? Schiller, angezapft daraufhin, daß er recht erheblich von der historischen Wahrheit abgewichen sei, erwiderte grob und klar: „Es ist die poetische, nicht die historische Wahrheit, aus welche alle ästhetische Wahrheit sich gründet." Shakespeare hat es in seiner Praxis ähnlich gehalten, ebenso Goethe. Er hak, wissend um den dicklichen, verheirateten, kinder reichen Egmonk, bekanntlich einen sehr unverheirateten Egmont gemacht. Es ist merkwürdig, daß offenbar alles, was mit jenem Doktor Josef Ben Matthias zu tun hat, heute noch eine ge reizt« Stimmung auslöst. Wie anders kann man cs sich erklären, wenn mir ein Herr folgendes mitteilt: Es sei richtig, daß im ersten nachchristlichen Jahrhundert das Wort Rom dem griechischen Wort gleichgestellt und mit „Kraft" übersetzt wurde. Aber die Forschung des 19. Jahrhunderts habe ermittelt, daß das Wort Rom auf einen etruskischen, weiter nicht deutbaren Wortstamm zurückgeht. Und der Herr verlangt bitterböse, ich solle meinen Josef das Wort nach den Forschungsergebnissen des 19., nicht des 1. Jahr hunderts, übersetzen lassen. Der Doktor Josef Ben Matthias war ein wilder Polemiker. Er hat sich mit seinen Gegnern auseinandergesetzt, auch wenn sie die absurdesten Argumente gegen ihn varbrachken. Mer wenn man aus dem von Joses eingefckstagenen Weg weitcrgeht, wird man friedlicher. Was ist Wahrheit? Was ich geben will, was alle Kunst geben will, ist Glaube, nickst Wissen. Ich sage meine Wahrheit. — Ich weiß, daß es meine Wahrheit ist, nicht die Wahrheit. I^sclikestellunFen mit 8em IieutiZeii Zettel erbeten! HI Oer k'rop^Iäen-VerlsZ, Lerliri 68 A
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder