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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.06.1931
- Strukturtyp
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- 1931-06-08
- Erscheinungsdatum
- 08.06.1931
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- Deutsch
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36,0 X- 12S, 8. Juni 1931. Fertige Bücher. Börsenblatt s. d.DtIchn.Buchhand-I, ,Zuc golünen Gans^ srbroßmulter sitzt sonst teilnahmslos am Fenster und starrt leer hinaus. Das Hecht, wir meinen leer. Sie selbst — nun früher hatte sie vor diesem Fenster einen Spiegel, in alten Zeiten hieß man das Spion, durch den man alt« Leute auf der Straße schon von fern erspähen konnte. Der Spiegel erblindete. Später zerschmissen ihn Straßenhoben. Durch den leeren Rahme» blickte unve,wandt die Ahne ihre« Lebens Straße auf und ad. Was im Zimmer um sie vorgeht, davon schlagen nur verworrene Laute an ihr Ohr, das hineinhorcht in Vergangenheiten. Auf einmal hebt sie ihren weißen Scheitel, ihre guten Kinderaugen haften mir am Munde: .Nimm mich mit, Fritz." Wir sind bestürzt: „Du hast verstanden - ?" „ daß dich deine Reise in die große Stadt führt, wo auch ich einmal — ja, vor fünfzig Jahren mag es wohl ge- wesen sein — oh, Kinder war da« schön — gelt, ich darf mit?" Sie ist achtzig. S:e kann heule oder morgen abgerufen werden. Aber kann das nicht ein jeder? Ich versuche es mit einem andern Einwand: „Mein Zug geht aber in zwei Stunden schon." „Ich bin in einer fertig, lieber Enkel." Ungläubigkeit im Kreise. „Bitte, Kinder, damals konnte ich in einer halben Stunde fertig sein." „Damals? Wann denn?" „Auf der LochzeitSreise." „Kind," sagte sie im Abteil, als der Schnellzug immer näher an die große Stadt heranklirrte. „Kind, weißt du, wo wir übernachten werden?" Ich zeigte ihr im Fahrplan eine Znseratenseite. „Wir haben die Wahl." „Du vielleicht, nicht ich. Ich wohne in der goldnen GanS." „Gibt's denn die?" sagte ich ungläubig. „Aber Kind, wenn ich doch auf meiner LochzeitSreise —" Sie unterbrach sich, wurde rot und schaute aus dem Fenster „And wie gut man aufgehoben war", ergänzte sie nach einer Weile schüchtern. Ich nickte. „Und io gar nicht teuer — denke dir, nur 75 Pfennige das Bett." „Lm, und die Betten selber — ?" „Sehr gut, Kind, und zwanzig Pfennig für reichlich zuge- mesienes Frühstuck, ist das teuer?" „Märchenhaft" „Bitte, das sind keine Märchen, daS ist Wahrheit — nun, du wirst dich selber überzeugen " Am Bahnhof standen Reihen glänzender Lotelbemützter: Grandhotel, Lotel Esplanade, Savoy-Lotel ... Ich wandte mich an einen Auekunflsmann: „Bitte, Gasthof zur goldnen Gans?" „Gibt's nicht," sagte er verächtlich „Siehst du —" wandte ich mich um. Aber sie stand nicht mehr da. An einem Wagen stand sie, die Lorgnette hochgeschoben. , Frohlockend kam sie auf mich zugetrippelt, faßte mich am Ärmel, zog mich, wies auf die goidne Wagenaufschrift. — „Siehst du, stehst du!" „Ich sehe, da steht nur Savoy-Lotel." „Drunter, drunter!" Wahrhaftig, drunter stand in Klein schrift, kaum zu sehen, schamhaft eingeklammert: Goldne Gans. Wir saßen allein in dem großen tutenden Wagen, welcher durch die Straßen fauchte. Sie hatte selig mein« Land er griffen: „Alles noch wie damals —" „Na, Auto seid ihr kaum gefahren." Sie hörte nicht. Sie glänzte: „Paß auf, jetzt um die nächste Ecke Hab ich's nicht gesagt, da ist sie" — „Sie?" — »Die Goldne Gans — weißt du, Kind, ich könnte sie im Dunkeln finden — kaum verändert übrigens." „Wie, schon damals dieser riestglange Gasthof?" „Ach, Kind, es kommt nicht auf die Länge an." — „Und sechs Stockwerk?" Fast böse schaute fie. „Zählt ihr jetzt Stockwerke auf der Lovzeitsreüe?" „Und diese Flügeltüren —?" — „Alle Türen hatten Flügel." Im Vorraum stand der Grußdirektor. Er verbeugte sich feierlich. Sie sah ihn forschend an: „Sie sind der Sohn, nicht wahr?" Der Würdevolle ward verlegen. Sie deutete es falsch und schlug, so alt sie war, kokett nach ihm mit ihrem Stielglas: Verstellen Sie sich nicht, ich weiß es bester — ganz der Vater — Bichelsberger — Anton Bichelsberger —" „Bitte sehr, ich heiße Bottner." Sie Hörle wieder nickt. Sie strahlt«: „Und erst seine Frau — das war eine Wirtin, Kinder." Der Pförtner schob uns Formulare hin. Sie sah mich fragend an. „Unsere Namen — eintragen —" „Papperlapapp — wird uns wohl noch kennen." „Mich kaum, auch meine Eltern nicht, und ob dich —?" „Müller," stellte sie sich dem Betreßten vor, „Julie Müller — ich steige immer hier ab, — immer - " „Gewiß, gewiß," verneigte sich die Mütze. „Siehst du — sagen Sie, der alte Kappler lebt wohl nicht mehr?" „Kappler? Kappler? Einer von den Vorbestyern, gnädige Frau?" „2 wo, der Lausknecht — das war einer — Lochzeitspaare hätte der aus seiner Schulter spielend von der Bahn herlragen können." Man hatte sich um uns gesammelt. Man hörte lächelnd von vergangnen Gasthofzeilen. Man nickte meiner alten Dame zu: „Ja, damals . . ." Dann fuhren wir im Lift hinauf. „Den hat es zu deinen Zeiten nicht gegeben — mühsam habt ihr Treppen steigen müssen, gelt?" „Wühmm? Daß ich lache! Man ist damals auch geflogen, immer je drei Stufen " Das Zimmermädchen wies uns unsere Zimmer: „Bitte, die Lerrschaften, Z54 und 356." „Nummern?" mißbilligte fie, „ist das nötig — find Sie verwandt mit Bichelsberger, Fräulein — was sollen diese Lähne hier — wie, kaltes und warmes Wasser — Hab ich nicht bestellt — werd'ich nicht bezahlen — ihr seid viel zu luxuriös, das ist vom Abel, Kindchen." Andern Morgens hörte ich, fie sei schon über eine Stunde aufgestanden, sei treppauf treppab gewandert in dem ganzen Lause ... „Lör mal," sagte ich beim Frühstück, „hast du irgend was gesucht?" Ein wunderschönes Spätrot überzog langsam ihr Helles Gesicht: „Gesucht? Ja, aber nicht gefunden, weißt du, wo wir damals wohnten, Max und ich —" Sie war richtig schon vorausgegangen an den Bahnhof, als ich nachmittags die Rechnung zahlte. Lächelnd wehrte der Portier mein Trinkgeld ab: „Lat die Dame schon erledigt, bitte." Wieder unterwegs mit ihr im Zuge, sah ich fie in ihrer Ecke gegenwarisverlaffen glücklich lächeln. Sie erlebt« ihre LochzeitSreise wieder. „Es war so schön," sagte sie laut, daß die Mitreisenden die Köpfe hoben. Ich schämte mich, daß ich mich schämte: „Ja," bog ich's um, „es ist ausgezeichnet, das Savoy-Lotel." „Kenn' ick nicht, du meinst die Goldne Gans?" „Lm, sag mal, warum hast du denn das Trinkgeld für uns zwei voraus bezahlt? „Trinkgeld?" droht« schallhaft einer ihrer Jeigeflnger, „sieh mal den Verkleinere,:; die ganze Rechnung habe ich bezahlt, mein Lieber, ich hatte den Belrag noch gut im Kopf von damals, als es Max bezahlte — gelt, du wunderst dich — ja, wir Alten wollen auch einmal splendid sein, lieber Enkel..." Leseprobe aus Sem neuesten Vuch von: krilr klüIIsr-psrlsnItircksiH ScHS« Ls/« «u/ LDSl/ H! Inhalt: rs Geschichten. Reich illustriert von Kritz Lggerch Berlin. Drosch. RM / ln Leinen RM 4.50 A i» riaacxnann / ».eipris
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