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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.12.1930
- Strukturtyp
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- 1930-12-02
- Erscheinungsdatum
- 02.12.1930
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279, 2. Dezember 1930. Redaktioneller Teil. VSr1-»»I-N I. d. DNch» vi-chha»drl. bürg erreicht. Bei freundlichen, netten Wirtsleuten gefiel cs ihnen hier so gut, daß fie beschlossen, an diesem Fleckchen Erde, »hoch über dem Silberband der Weser-, einige Tage zu ver schnaufen. Von der »arx speculationis« — an schnurrigen La tinisierungen war der Dichter immer unerschöpflich — ging ein Brief an Im in er mann, den leidenschaftlich verehrten Ver fasser des eben in den ersten Lieferungen erschienenen -«Ober- Hofs», dessen kernige Schilderung westfälischer Menschen und westfälischen Landes Freiligrath begeistert hatten. Die Wirtsleute weinten, als die beiden Reisenden, die mit ihnen geplauscht und gesungen und eine wackere Zeche gemacht hatten, weiter die Weser aufwärts zogen über Hameln, Holzminden nach Höxter. Mittlerweile hatten sie ein gutes Stück Weges auf Schusters Rappen abgerissen und sich recht und schlecht die Hacken schief gelaufen. Als sie bei Corvey über die Weser setzten, riefen ihnen die Dorsjungen nach: »Nimm diun nich, nimm djun nich, hei hett en scheufen Fant!« In Höxter aber wartete der müden Wanderer ein »wohl- conditionierter Abendfraß». Von hier schrieb Freiligrath einen Brief an seine Braut Karoline Schwollmann in Soest und be richtete ihr die »Affentheuer des irrenden Ritters«. Prachtvoll sind die Reisebriefe, bezaubernd und lebendig in der Schilderung des Erlebten und Geschauten. Hätte der Dichter diese Briefe später dem Verleger übergeben oder besser, hätte er alle acht Tage einen Reisebrief an Langewiesche geschrieben, — ja, hätte — hätte. Aber das konnte Freiligrath nicht: seine Muse kommandieren. Das hat er sein Leben lang nicht gekonnt. Dazu ist er viel zu sehr nur Dichter gewesen. Von dem Buch war nämlich außer Schlickums fleißigen Zeichnungen und den ersten Strophen des Gedichtes noch keine Zeile geschrieben. Langewiesches leise mahnende Briefe beantwortete der Dichter mit höchst ergötzlichen und immer neuen Entschuldigungen und Versicherungen zur Besserung. Besonders mußten die Festivi täten und »Begießungen», die seinetwegen veranstaltet wurden, immer wieder herhalten. Von Höxter gestattete er sich einen Abstecher in seine Vater stadt Detmold. Das gab eine lustige Partie. Die Haupt- und Residenzstadt bereitete einen süperben Empfang; des Feste- seierns war kein Ende. Zwei Wochen, vierzehn kostbare Reise tage, wurden hier vertan; zwar nicht allein in dulci jubilo. Es gab eine ernste Besprechung. Die seit kurzem freie Stelle des sürstlich-lippischen Hofbibliothckars wurde ihm in aller Form an getragen. Aber er schlug sie aus. Die eben gewonnene, köstliche Freiheit wieder mit der Enge kleinstädtischer Gebundenheit zu vertauschen, konnte er sich nicht entschließen. Außerdem glaubte er, Freund Levin machte sich Hoffnungen auf die Stelle; und das hätte dieses lautere Herz niemals fertiggebracht, einem Freund in den Weg zu treten. Endlich ging die Reise weiter nach Paderborn und Soest. Hier wohnten seine Braut und Onkel Moritz, bei dem er seine Kaufmannslausbahn begonnen hatte. Wieder gab es einen län geren Aufenthalt. Aber dieses Mal war er vorgesehen. Die ab gerissene Reisekleidung mußte instandgesetzt werden, und auch sonst erforderten die Anstrengungen der ununterbrochenen Fuß wanderung einige Erholung. Immerhin sollten Exkursionen in die nähere und weitere Umgebung den Aufenthalt dem Zwecke der Reise nutzbar machen. Der brave Schlickum tat das auch. Aber der Dichtersmann konnte noch nicht den passenden Feder kiel finden. Inzwischen hatte er sich auch einen anderen Plan zurecht gelegt. Mit dem Schreiben unterwegs war es doch nichts. Er würde seine Reise zu Ende bringen, Eindrücke sammeln wie bisher und sich dann auf ein ruhiges Plätzchen an den Rhein zurückziehen, Bücher beschaffen, geschichtliche Studien treiben und in aller Ruhe das Werk vollenden. So marschierte er mit seinem getreuen »Amanuensis» nach drei Wochen weiter. Die Socstcr Freunde hatten ihm beim Ab schied einen Hund geschenkt. »Strolch» wurde dieses Tier getauft und war von nun an der Dritte im Bunde. Schlickum hat das Kleeblatt so verewigt. Auf den. Bilde von den Externsteinen sind sie zu sehen, wie sie — in reichlich gemessener Würde — einher- 1130 schreiten: der Dichter mit dem Reiseranzen, hinter ihm der Maler mit der Zeichenmappe unter dem Arm und endlich brav und sittsam, wie es sonst nicht war, das »Strolchenvieh». Jetzt wurde ein anderes Tempo vorgelegt. »In einem wahren Kreislauf«, schrieb der Dichter, »ging es über Arnsberg, Meschede, Bredelar, Marsberg, Marburg, Arolsen, Korbach, Berleburg, Siegen, Hilchenbach, Limburg, Altena, nach Eilpe, wo im elter lichen Hause Schlickums eine letzte, kurze Rast gemacht wurde. Merkwürdigerweise wußte der Dichter mit dem Sauerlande wenig anzufangen. »Es hat», schrieb er, »etwas für meinen Charakter Deprimierendes». (Der Brief ist von Guisberte mit geteilt und wahrscheinlich an seine Braut Lina gerichtet. Er enthält einen ausführlichen Reisebericht.) Man darf aber an nehmen, daß die allgemeine Ermüdung nach der langen Reise seine Aufnahmefähigkeit beeinträchtigt hatte. Auch hatte er leicht sentimentale, um nicht zu sagen melancholische Anwandlungen, die ihn für Stunden und Tage in eine unbegreifliche Traurig keit versetzen konnten. — Uber Blankenstein ging es weiter das Tal der Ruhr aufwärts, und im August war man wieder in Barmen, dem Ausgangspunkt der Reise. Dem Dichter aber schlug das Gewissen. Wie sollte er sei nem Auftraggeber gsgenübertreten? Die ganze Ausbeute dieser viermonatigen Reise waren von seiner Seite aus ein paar küm merliche Verse, die zusammen gerade die ersten Strophen eines Gedichtes ergaben. Nun schämte er sich wirklich. Er verheim lichte seine Ankunft, verkroch sich vierzehn Tage lang in einem Gasthofzimmer und wagte sich nicht eher hinaus, als bis er das Manuskript für den ersten Druckbogen aus sich herausgepreßt hatte. Von diesen ersten zwanzig Seiten nimmt das einleitende Gedicht allein die Hälfte ein. Versemachen war sein Metier, Prosaschreiben eine Strafarbeit. Dennoch sind seine einleitenden Betrachtungen über die »Westfälische Pforte» als die Pforte seines Buches, sein Rundblick vom Wittekindsberge über das Westfalenland von hinreißender Schönheit, zwar mit klirrender Rilterromantik durchtränkt, aber auch mit echter Freiligrath- scher Poesie gewürzt, wenn er das zu seinen Füßen liegende Wiehengebirge mit einem zusammengesunkenen Roß vergleicht, dessen Laubslanken zittern vor Erschöpfung. »Wär' ich ein Gigant», schreibt er, »ich spräng' ihm auf den Nacken und ritt' es in die Nordsee — zur Schwemme!« Die exakte Beschreibung mit den begleitenden historischen Notizen, wie sie der Verleger wünschte, war dies noch nicht. Wenigstens war es ein Anfang und Langewiesche gab sich zufrieden. Der Dichter zog nun an den Rhein und schlug in Unkel im Hause »Strolchenscls« seine Zelte aus. Schlickum begleitete ihn, ein paar Literaten fanden sich ein, ein paar Studenten, darunter ein Enkel Goethes, Simrock wohnte in der Nähe auf seinem Weingut und war in seiner behaglichen Beschaulichkeit und un verbesserlichen Faulheit das Vorbild aller, die »morr)- «lies o! IVincksor« fehlten nicht, der Rolandsbogen und die Berge rings herum luden zu Ausflügen ein und der Wein perlte so golden in den Römern — wer mochte da in staubigen Folianten und Chroniken lesen? Die guten Vorsätze blieben alle wohl verwahrt in der untersten Herzenskammer liegen. Endlich aber riß dem Verleger der Geduldsfaden. Er ent schloß sich, in das Idyll am Rhein hineinzustechen. Also kam er eines Tages, nachdem der Herbst und Winter hingegangen waren, im Frühling 1840 mit dem Dampfschiff in Unkel ange reist, so erzählt Büchner, der spätere treue Freund Freiligraths, in seinem obengenannten Werk. Mit Hallo wurde er empfan gen. Das Manuskript? — Ja, ja, das schrie zum Himmel! Der Dichter schimpfte sich sofort in einen heiligen Zorn hinein. Eine wahre Flut von Selbstvorwürsen prasselte herunter. Seine dreimal verfluchte Faulheit, die herrliche Gegend hier, die Freunde, der Wein, die . . . Langewiesche kam überhaupt nicht zu Worte. Mittlerweile war man in dem Heim der Künstler- Kolonie angekommen. Eine festliche Tafel war gedeckt, die Gläser klangen zum Wiedersehen, der Wein floß in Strömen. Als der Abend kam und das Dampfschiff, trugen sie den guten
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